ZBW MediaTalk

von Sabine Barthold, Loek Brinkmann, Ambreen Hamadani, Shweata Hegde, Franziska Günther, Peter Murray-Rust, Guido Scherp und Simon Worthington

Am 7. Oktober 2020 luden das Medienzentrum der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) und der Leibniz-Forschungsverbund Open Science Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen, die sich für Open Science engagieren, zum ersten “Barcamp Open Science@GeNeMe 2020” (Barcamp@GeNeMe’2020) ein. Es diente als Pre-Event der Konferenz “Gemeinschaften in Neuen Medien 2020” (GeNeMe 2020) und war gleichzeitig die erste Satellitenveranstaltung des etablierten Barcamp Open Science.

Wie so viele andere Veranstaltungen in diesem Jahr haben wir uns der Herausforderung gestellt, das Barcamp in einem reinen Online-Format zu organisieren. Gleichzeitig erwies sich diese Herausforderung aber auch als Chance, das Barcamp weiter für eine internationale Beteiligung zu öffnen und Open-Science-Enthusiast:innen aus der ganzen Welt einzuladen, sich mit uns auszutauschen, neue Entwicklungen zu diskutieren und ihre Erfahrungen bei der Verbreitung von offener, kollaborativer und digitaler Wissenschaft zu teilen. Am Ende waren unter den 40 Open-Science-Enthusiast:innen Teilnehmende aus Ländern wie Großbritannien, Russland, Indien, Iran, Deutschland, Chile und den Niederlanden.

Von der Krise der Wissenschaft zur Wissenschaft für Krisenzeiten?

Das Barcamp-Thema “Von der Krise der Wissenschaft zu Wissenschaft für Krisenzeiten?” wurde inspiriert durch den globalen Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, das seit dem Frühjahr 2020 das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den meisten Ländern der Welt beherrscht. Die aktuellen Krisenerfahrungen haben auch andere gesellschaftliche Bedrohungen wie den Klimawandel oder die globale Umweltzerstörung wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die enorme Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Bewältigung der aktuellen Krise unterstrich den Wert der Kernideale von Open Science – Transparenz, Kollaboration, schnelle und offene Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und -daten sowie die Wichtigkeit einer effektiven Wissenschaftskommunikation, um Forschung in soziales und politisches Handeln zu übersetzen. Die Frage, die wir diskutieren wollten, war: Welche Rolle kann Open Science bei der Bewältigung dieser Krise im Besonderen, aber auch bei anderen globalen Krisen, wie dem Klimawandel, im Allgemeinen spielen? Wir haben einige der Moderator:innen des Barcamps gebeten, ihre Highlights und persönlichen Eindrücke der Veranstaltung zusammenzufassen.

 
 

Starten Sie ihre eigene Open-Science-Community!

von Loek Brinkmann

Lokale Open-Science-Communities (OSCs) und -Initiativen spielen eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung von Open Science. OSCs sind Brutstätten für Open-Science-Initiativen und stellen innovative Open-Science-Praktiken im Kolleg:innenkreis vor, um einen Kulturwandel unter den Forschenden anzustoßen. Die meisten niederländischen Universitäten haben eine OSC eingerichtet, und das Format setzt sich nun auch im Ausland durch. Gemeinsam haben die Communities ein Open Science Community Starter Kit veröffentlicht, das wir in unserer Sitzung vorgestellt haben.

INOSC Starter Kit: The four stages of developing an Open Science Community, veröffentlicht unter der Lizenz: [CC BY NC SA 4.0].

Wir laden Forscher:innen rund um den Globus (Ja, genau Sie!) ein, ihre eigene OSC zu gründen und sie mit dem International Network of Open Science Communities (INOSC) zu verbinden.

Diese Communities sind Orte, an denen Neulinge von ihren Kolleg:innen lernen und sich leicht in die Open-Science-Praktiken einarbeiten können. Darüber hinaus bieten OSCs Werkzeuge und Schulungen für die Interaktion mit gesellschaftlichen Interessengruppen, sodass Forschende die gesellschaftliche Wirkung ihrer Arbeit erhöhen können. Zum Beispiel durch die frühzeitige Einbeziehung von Stakeholder:innen aus Regierung, Industrie oder Zivilgesellschaft in den Forschungszyklus, um Forschungsfragen und Output-Formate für relevante und sinnvolle Implementierungen in der Gesellschaft zu optimieren.

Während des Barcamps hatten wir eine angeregte Diskussion darüber, wie man den Nutzen von Open Science für die Gesellschaft artikuliert und wie Open-Science-Communities Forschende dazu inspirieren können, sich mehr mit gesellschaftlichen Stakeholder:innen zu beschäftigen. Eine sehr schöne Erfahrung! Vielen Dank für all den Input!

 
 

openVirus, Citizen Science und Neugierde

von Ambreen Hamadani und Shweata Hegde

Die COVID-19-Krise war ein Denkanstoß. Sie hat uns gelehrt, dass unser gemeinsamer Feind nur besiegt werden kann, wenn wir uns alle zusammentun und unsere intellektuellen Ressourcen teilen. openVirus verkörpert diese Idee und hat sich auf die Mission begeben, ein System zur Erschließung (Mining) offener Literatur zu schaffen, um nützliche Schlüsse daraus zu ziehen, wie Virusepidemien verhindert und kontrolliert werden können. Ziel ist es, durch die Zusammenarbeit mit Bürger:innen eine bessere Welt zu erschaffen. openVirus fördert den Austausch von Ideen und heißt Freiwillige selbst aus den entlegensten und abgeschnittensten Regionen der Welt willkommen. Dies ist entscheidend für den Aufbau einer unverbesserlich neugierigen Gemeinschaft, die entschlossen ist, die Wissenschaft mit neuen und revolutionären Ideen zu beflügeln.

Das Barcamp@GeNeMe’2020 bot dem openVirus-Team eine perfekte Plattform, um diese Ziele zu erreichen. Die Veranstaltung war in der Tat ein intellektueller Leckerbissen, und wir sind unendlich dankbar, dass wir eine Session über openVirus und Citizen Science halten durften. Es hat uns die Möglichkeit gegeben, das immense Potenzial von offenen Toolkits, Open Knowledge und den Beiträgen von Bürger:innen zur Wissenschaft zu demonstrieren. Es war auch eine wunderbare Gelegenheit zu lernen, Ideen auszutauschen und weitere Freiwillige in unsere vielfältige Gruppe aufzunehmen. Wir haben nicht nur neue Leute mit ähnlichen Interessen kennengelernt, sondern auch die Chance bekommen, mehr über großartige Open-Science-Initiativen und -Projekte zu erfahren. Physische Anwesenheit ist bei solchen globalen Veranstaltungen oft unmöglich, und das Barcamp@GeNeMe’2020 war eine großartige Lösung dafür!
 
 

Schulungsunterlagen zu Open Science

von Franziska Günther

In unserer Session haben wir Schulungsmöglichkeiten für Open Science aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert: Massive Open Online Courses (MOOCs) und ihre Plattformen sowie Open-Science-Schulungen und -Praktiken in unterschiedlichen Fachbereichen. Im letzteren Fall wies ein Teilnehmer darauf hin, dass beide stark vom Fachgebiet abhängen. Andere Wege des Lernens über Open Science, wie informelles Lernen oder durch Engagement in Projekten, waren ebenfalls von Interesse in der Sitzung. Im weiteren Verlauf der Diskussion konzentrierten sich die Teilnehmer:innen auf die Frage, wie ein nachhaltiges und fortwährendes Open-Science-Training angeboten werden könnte. Sie waren sich einig, dass Open Science Teil der Curricula für Hochschulabsolvent:innen sein sollte. Die letzte Frage in der Sitzung war, ob Open Science nur in der akademischen Welt relevant ist und wo Nicht-Akademiker:innen eine Open-Science-Ausbildung erhalten könnten, um Teil dieser Praxis zu werden.

Ich habe es genossen, Teil des Barcamp@GeNeMe’2020 zu sein. Die Diskussionen waren interessant und anregend. Für mich lag das vor allem an der Tatsache des vielfältigen Hintergrunds der Teilnehmenden. Menschen aus der ganzen Welt konnten mitmachen und taten dies am Ende auch. Ich habe neue Perspektiven auf Open-Science-Themen bekommen, und dafür bin ich dankbar.
 
 

Globale Fragen zu Open Science: Gleichheit, Ressourcen, Ziele

von Peter Murray-Rust

Wir stehen vor massiven globalen Herausforderungen wie Infektionskrankheiten (virale Pandemien, Antibiotikaresistenzen), Ernährungssicherheit und Klimawandel. Um diese anzugehen, brauchen wir eine globale Antwort, mit einem großen multikulturellen Beitrag von Open Science, basierend auf Gemeinschaftsaktionen und Inklusion, Gleichheit und Vielfalt. Alle Bürger:innen (nicht nur reiche Universitäten und Unternehmen) müssen zu den Lösungen beitragen, und ein wichtiger Weg ist die wissenschaftliche Forschung und Praxis. Wissenschaft basiert auf Gleichheit (jede:r kann Wissenschaftler:in sein), aber dies wird oft durch einen dominanten anglophonen kapitalistischen Norden verzerrt. Im digitalen Zeitalter ist Open Knowledge ein wesentliches Werkzeug, und wir müssen daran arbeiten, eine gemeinsame Ressource zu schaffen – Erstellung, Verbreitung, Wiederverwendung -, an der jede:r teilhaben kann.

Ich hoffe, dass das Barcamp@GeNeMe’2020 zu einer anderen Art von wissenschaftlichen Konferenzen führt. Wir mussten nicht zwei Tage lang reisen und viel Geld ausgeben. Natürlich hat es auch Nachteile: das Ausbleiben von informellen Treffen/Kaffeepausen, den zufälligen Begegnungen – aber für mich (im Ruhestand) und openVirus (Studenten, Indien) hätte es sonst keine Möglichkeit zur Teilnahme gegeben. Eine Vor-Ort-Veranstaltung wäre für uns nicht infrage gekommen!

Ich war sehr dankbar, am Barcamp@GeNeMe’2020 teilnehmen zu können, da es eine völlig neue Art ist, Menschen zusammenzubringen. Sowohl technisch als auch gesellschaftlich hat es sehr gut funktioniert. Es war toll, Teilnehmende aus der ganzen Welt zu haben, vor allem aus Indien.
 
 

Open Science und Klimawandel

von Simon Worthington

Die Session war aufschlussreich, hat sie doch gezeigt, wie die Arbeit von einzelnen Forschenden, Arbeitsgruppen und Communities, die Open-Science-Fragen stellen, einen Unterschied machen kann. Es macht einem klar, dass wir alle einen Teil unserer Zeit auf Klimafragen umlenken können.

Inspirierend ist der Forscher Joachim Allgaier im GenR-Interview: “YouTube – Fix Your AI for Climate Change! An Invitation to an Open Dialogue”. Wenn man auf YouTube nach “Klimawandel” (Climate Change) sucht, findet man zu 50% klimawandelfeindliche Inhalte, was darauf zurückzuführen ist, dass YouTube diese Art Content-Produzenten finanziell belohnt und so anzieht. Was bei Social-Media-Netzwerken wie YouTube passieren muss, ist eine gute Dosis an Open-Science-Transparenz und eine Regulierung ihrer Inhaltsalgorithmen.

Das Projekt Open Climate Knowledge FORCE11 Working Group setzt sich für 100% offene Forschung zum Klimawandel ein. In der Forschungsliteratur sehen wir, dass weniger als 30% der Papiere Open Access sind. Greta Thunberg sagt, sie “möchte, dass man den Wissenschaftler:innen zuhört”, aber wie kann die Öffentlichkeit das tun, wsich die entsprechenden Artikel hinter Bezahlschranken verbergen?

Enhancing Climate Change Research With Open Science, Travis C. Tai and James P. W. Robinson

Als Forschungsgemeinschaft arbeitet die Open Energy Modelling Initiative (openmod), deren Mitglieder hauptsächlich aus Deutschland kommen, an neuen Energiesystemen für eine kohlenstoffarme Zukunft. Sie hat die Open-Science-Praxis enthusiastisch angenommen. Bislang gibt es keine verlässlichen Pläne für eine kohlenstoffarme Zukunft, die nicht mit Energiemodellen unter Verwendung von Open-Science-Praktiken getestet wurden – im Grunde sind wir derzeit planlos.
 
 

Online-Barcamps: Können sie funktionieren?

Das Wichtigste vorweg: Ein Barcamp funktioniert auch virtuell. Natürlich konnten wir das schon bei anderen Barcamps sehen, aber ist man selbst der Veranstalter, ist es nochmal etwas anderes. Und auch die Beitragenden müssen sich auf diese neue Umgebung einstellen. Um die Atmosphäre aufzulockern, können einfache Elemente wie eine „soziale Pause“ mit Entspannungsübungen oder ein Kneipenquiz helfen. Und wie bei Vor-Ort-Veranstaltungen sind auch hier digitale Rückzugsräume (Kaffeeküchen) gefragt.

Der große Vorteil eines virtuellen Events liegt auf der Hand: Es nehmen Menschen aus aller Welt teil, die mit einem Face-to-Face-Event nicht erreicht werden könnten. Das war beim Barcamp@GeNeMe’20 sehr schön zu sehen, wobei Zeitzonenunterschiede die Teilnahme natürlich nur zu bestimmten Zeitfenstern möglich machen. Außerdem war im Vergleich zu früheren Vor-Ort-Barcamps eine höhere Fluktuation zu beobachten. Es ist einfach, die Veranstaltung zu verlassen und wieder zurückzukommen, und man ist selektiver, da die Teilnahme an Online-Veranstaltungen generell etwas anstrengender ist.

Virtuelle Barcamps kommen vielleicht (noch) nicht an den Spirit eines Vor-Ort-Barcamps heran, weil bestimmte Möglichkeiten der sozialen Interaktion und des Austauschs einfach fehlen. Aber wir werden in Zukunft sicher mehr Online-Formate sehen (möglicherweise als Ergänzung zu Offline-Formaten). Ein hybrides Barcamp ist allerdings im Moment noch schwer vorstellbar.

Barcamp-Tipps für 2021

Das kommende Barcamp Open Science (16. Februar 2021) findet wieder als Pre-Event der Open Science Conference statt. Beide werden komplett virtuell sein.

Außerdem möchten wir auf das Barcamp im Rahmen des Open Science Festivals (14. Januar 2021) hinweisen, das von Kolleg:innen aus den Niederlanden organisiert wird.

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Bei diesem Text handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen.

Autor:innen:

Sabine Barthold (Medienzentrum, TU Dresden), Loek Brinkmann (Assistenzprofessor in Open Science, Universität Utrecht, und Community-Koordinator/Mitbegründer @ Open Science Community Utrecht), Franziska Günther (Medienzentrum, TU Dresden), Ambreen Hamadani (SKUAST-Kashmir), Shweata Hegde (Regional Institute Of Education, Manasagangothri, Mysuru), Peter Murray-Rust (Universität Cambridge und @TheContentMine), Guido Scherp (Open Science Transfer, ZBW und Koordinator Leibniz-Forschungsverbund Open Science), Simon Worthington (Open Science Lab, TIB und GenR-Chefredakteur).

Referenzen Porträtfotos:
Loek Brinkmann: Ivar Pel© | Ambreen Hamadani: Ambreen Hamadani© | Shweata Hegde: Shweata Hegde© | Franziska Günther: Kirsten Lassig© | Peter Murray-Rust: Slowking – Own work, GFDL 1.2 | Simon Worthington: TIB / Christian Bierwagen©.

Fehlende deutsche Übersetzung

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