Open Science und Organisationskultur: Offenheit als Kernwert in der ZBW

Im Interview mit Klaus Tochtermann

Die ZBW engagiert sich seit Jahren bei der Erforschung von Open Science, beim Aufbau geeigneter Infrastrukturen sowie in der wissenschaftspolitischen Beratung zu Open Science. Dies hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsalltag und die Organisationskultur, die zunehmend durch das Prinzip der Offenheit geprägt werden. Um Aspekte von Open Science wie Partizipation, Kollaboration, Zugänglichkeit, Nachnutzung sowie Transparenz intern strategisch zu fördern, wurde an der ZBW das Eckpunktepapier “Offenheit als Handlungsfeld für die ZBW” (PDF) erarbeitet, das den eigenen Handlungsrahmen für die nächsten fünf Jahre absteckt. Im Interview erklärt Klaus Tochtermann die Hintergründe dieses Papiers und welche Ziele damit verbunden sind.

Warum hat die ZBW dieses Eckpunktepapier auf den Weg gebracht?

Die ZBW befasst sich seit vielen Jahren mit Open Science und seinen konkreten Merkmalen. Dabei ist sie auch im Bereich der wissenschaftspolitischen Beratung auf nationaler und internationaler Ebene zu allen Offenheitsthemen in den entsprechenden Gremien aktiv.

Irgendwann stellt man sich als Organisation dann die Frage: Was bedeutet die Umsetzung von Open Science eigentlich für die eigene Einrichtung? Das war für uns der Impuls, für die ZBW eine Position zu definieren, wie wir im eigenen Tun, also in den eigenen Arbeitspraktiken mit Open-Science-Themen umgehen.

Für mich ist das Teil der Authentizität der ZBW. Weil wir uns nach außen hin sehr stark für Open Science einsetzen, ist es wichtig, dass wir auch intern eine Position haben – mit konkreten Handlungsfeldern und Zielen, die man für das eigene Tun erreichen möchte.

Welche Themen werden in dem Papier adressiert? Wie wurden diese ausgewählt?

Wir adressieren insgesamt sechs Themen: zwei kulturelle und vier inhaltliche. Bei den kulturellen handelt es sich um

  1. “Wissensvermittlung und Kultur der Offenheit”
  2. sowie “Offenes kollaboratives Arbeiten”.

Diese kulturellen Themen haben wir aufgegriffen, weil es wichtig ist, nicht nur inhaltlich an Open-Science-Themen zu arbeiten und sich dafür einzusetzen, sondern auch an der grundsätzlichen Einstellung der Beschäftigten. Nur wenn das Bewusstsein für Offenheit in der eigenen Arbeit vorhanden ist, kann man diese Themen auch inhaltlich weiterentwickeln.

Neben diesen beiden kulturellen Themen haben wir anhand von gängigen Definitionen im Bereich Open Science diese vier inhaltlichen, für die ZBW relevanten Themenblöcke entwickelt:

  1. Open Access (OA),
  2. Open Data / FAIR Data,
  3. Open Source Software
  4. und Open Educational Resources (OER).

Wir sind in diesen Bereichen bereits aktiv. Beispielsweise haben wir offene Katalogdaten, oder eigene Softwareentwicklungen sind als Open Source verfügbar. Aber dies wird noch unterschiedlich gehandhabt, z.B. wann wird etwas offen gestellt und unter welcher Lizenz. Dies wird mit Hilfe des Eckpunktepapiers zukünftig einheitlich geregelt.

Bedeutend ist auch zu akzeptieren, dass Offenheit nicht alle Arbeitsbereiche gleichermaßen betrifft. Aber zumindest sollten alle Beschäftigen sich einmal damit auseinandergesetzt haben, welche Anknüpfungspunkte die eigene Arbeit mit dem Thema Offenheit hat.

Welche Kernbotschaft sendet das Papier aus? Was ist das Besondere daran?

Üblicherweise wird sich vor allem mit offenen Praktiken in Forschungsprozessen beschäftigt, aber diese Praktiken können auch jenseits der Forschung eingesetzt werden. Uns war wichtig, diese anderen Tätigkeitsfelder, die man insbesondere auch in wissenschaftlichen Bibliotheken antrifft, mehr in den Fokus zu rücken.

Das Besondere am Eckpunktepapier sind seine zwei Dimensionen: die (organisations-)kulturellen und die inhaltlichen. Der kulturelle Wandel passiert nicht von selbst. Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen. Wir haben uns gefragt: Wo können wir in der ZBW in möglichst vielen Tätigkeitsbereichen zu etwas mehr Offenheit beitragen?

Daher haben wir uns bewusst dafür entschieden, nicht – wie häufig verwendet – von einer „(Open-Science-)Policy“ zu sprechen, sondern über ein Eckpunktepapier, das die Position der ZBW zum Thema Offenheit festlegt.

Wie ist das Papier entstanden? Wie war der Prozess dahinter?

Zunächst haben wir Verantwortliche für die sechs Themenfelder definiert. Diese sechs Personen haben eigene Arbeitsgruppen (AGs) gebildet. Daraus entwickelte sich ein großer Beteiligungsprozess: Letztlich haben 30 Beschäftigte bei der Erstellung des Eckpunktepapiers mitgewirkt.

Zum Start gab es ein Treffen mit den sechs Themenverantwortlichen und mir, bei dem die Intention des Papiers besprochen wurde. Der springende Punkt war, ob wir mit dem Papier eine Position der ZBW für das Wirken nach außen festlegen, oder ob wir nicht vielmehr unser eigenes Tun im Hinblick auf Offenheit definieren wollen. Das war eine relativ lange Diskussion, die bis zum Ende des Prozesses angehalten hat. Danach wurde in den Arbeitsgruppen gearbeitet.

Als dann die Ergebnisse zusammengetragen wurden, wurde deutlich, dass auf sehr unterschiedlichen Detailniveaus gearbeitet wurde: Bei einigen Arbeitsgruppen ging es schon um sehr konkrete Umsetzungsmaßnahmen, während andere Metaziele definiert haben. Hier musste eine Feinjustierung stattfinden. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir bei der Handreichung an den Zielen arbeiten und nicht schon an Umsetzungsoptionen. So konnten wir die Arbeit der AGs in eine gemeinsame Richtung steuern und für alle sechs Themenfelder Ziele auf gleichem Abstraktionsniveau finden.

Am Ende hat sich aus dem starken Beteiligungsprozess und der intensiven Diskussion über die Zielsetzung ein Dokument eingependelt, mit einer Zielsetzung, die das eigene Tun der ZBW definiert. Vor Veröffentlichung habe ich das Papier dann in zwei Treffen der gesamten Belegschaft intern vorgestellt. Dabei habe ich auch die Intention und den Aufbau erläutert und exemplarisch Ziele und Handlungsfelder aufgezeigt.

Wie geht es jetzt weiter? Wie werden die Inhalte aus dem Papier mit Leben gefüllt? Was sind dabei die großen Herausforderungen?

Das Eckpunktepapier hat einen Zukunftshorizont bis 2025. Zur Umsetzung der Ziele habe ich alle Themenverantwortlichen gebeten, für den eigenen Bereich möglichst ein Ziel pro Jahr zu definieren, das in dem jeweiligen Jahr erreicht werden soll. Dadurch findet eine kontinuierliche Auseinandersetzung statt, es werden konkrete Ziele angegangen und Rahmenbedingungen geschaffen für Aspekte, die bisher nicht klar definiert waren.

Herausfordernd wird es sicherlich, wenn Ziele adressiert werden, die nicht rein von einer einzelnen Gruppe erfüllt werden können, sondern von mehreren involvierten Abteilungen erreicht werden müssen. Das betrifft vor allem die beiden kulturellen Bereiche. Dann stellt sich ein größerer Aufwand bei der Koordinierung und Fortschreibung ein. Wir haben zum Beispiel Checklisten als ein Ziel formuliert, über die man Hilfestellungen zu „guten“, offenen Tools oder offene „Ablageorte“ für unsere Vortragsfolien anbietet. Das ist natürlich etwas hochgradig Dynamisches. Wenn wir heute geeignete Werkzeuge definieren, wie zum Beispiel Zenodo, können in zwei Jahren ganz andere sinnvoll sein. Die Herausforderung ist, dass wir uns in einem dynamischen Feld bewegen und die Bewegung in der Bewegung immer wieder einfangen müssen.

Natürlich fangen wir nicht bei null an, weil wir in vielen Open-Science-Bereichen schon lange tätig sind, bei Open Source oder Open Data beispielsweise. Trotzdem wird nie der Zustand erreicht sein, in dem eines der Ziele 100%ig erreicht ist, eben weil das Umfeld so dynamisch ist. Das heißt, wir müssen es stetig beobachten und diese neuen Entwicklungen in Richtung Offenheit abbilden. Was wir anstreben, ist eine bessere Koordinierung, Fokussierung, Systematisierung und Bündelung der bestehenden Aktivitäten im Haus.

Ich bin fest davon überzeugt, dass im Jahr 2023/2024 schon erste Anpassungen stattfinden müssen, weil sich bis dahin die Open-Science-Bewegung so enorm weiterentwickelt hat. Ein konkretes Beispiel ist das gerade in Gründung befindliche German Reproducibility Network (GRN) in Deutschland, das auch viel mit Offenheit zu tun hat, aber das Thema ist in der Handreichung noch überhaupt nicht adressiert.

Inwiefern könnten andere Bibliotheken das Eckpunktepapier für sich nutzen? Sind die konkreten Umsetzungen nachnutzbar?

Was Open Science angeht, passiert bei wissenschaftlichen Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen schon viel. Offene Katalogdaten ist hier beispielsweise ein großes Thema. Bibliotheken bekommen durch das Eckpunktepapier ein Spektrum eröffnet, was Open Science in Infrastruktureinrichtungen bedeuten kann. Es soll deutlich machen: Bei Open Science geht es nicht nur um offene Wissenschaft, sondern auch um offene Infrastruktur für offene Wissenschaft. Das ist eine Dimension, die durch das Papier adressiert wird und die für andere Bibliotheken einen gewissen Neuheitswert hat.

Bei der Nachnutzbarkeit der konkreten Umsetzung sind sicher offene Bildungsressourcen zur Vermittlung von Informationskompetenz und offene Daten Themen, die auch für andere Bibliotheken eine große Rolle spielen können. Unsere Umsetzung kann hier beispielhaften Charakter haben, wie man Offenheit für die verschiedenen inhaltlichen Dimensionen gestalten kann.

Das heißt nicht, dass andere das genauso machen müssen, aber es stiftet Orientierung für Einrichtungen, die sich bisher noch nicht so leicht damit getan haben, Open Science für sich zu interpretieren. Deswegen ist das Eckpunktepapier sehr nützlich für andere Einrichtungen unserer Art.

Welche Empfehlungen könnten andere Bibliotheken mitnehmen, die mehr Offenheit leben und Open Science fördern wollen?

Wir sind überzeugt, dass offene Wissenschaft ohne offene Infrastruktur nicht gut funktioniert. Meine Empfehlung für wissenschaftliche Bibliotheken ist deswegen, dass sie zur Förderung von Open Science für sich selbst definieren, was Offenheit für sie bedeutet. Dann ist die ganze Wirkungskette offen abgebildet – nicht nur die der Wissenschaft. Denn die offene Infrastruktur ist eben auch enorm wichtig.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wir sprachen mit Klaus Tochtermann

Prof. Dr. Klaus Tochtermann ist Direktor der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Seit vielen Jahren engagiert er sich auf nationaler und internationaler Ebene für Open Science. Er ist Mitglied im Vorstand der EOSC Association (European Open Science Cloud). Er ist auch auf Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

EdTech KreativHack: EdTech entwickeln – und selbst viel lernen Perspektiven zu Open Science und Ungerechtigkeit: Wer wird zurückgelassen? Open Science in Europa fördern: Die entscheidende Rolle der Bibliotheken

View Comments

InnOAccess-Workshops: Gebührenfreie Open-Access-Zeitschriften nachhaltig publizieren
Nächster Blogpost