Open Science Conference 2019: Jetzt werden die Empfehlungen umgesetzt

von Susanne Melchior und Dr. Guido Scherp

Die letzten Jahre war die Open Science Conference stark durch wissenschaftspolitische Entwicklungen geprägt. Thematisiert wurden unter anderem das Aufgreifen von Open Science auf europäischer Ebene, die daraus resultierenden Bestrebungen zum Aufbau der European Open Science Cloud (EOSC) sowie die FAIR-Prinzipien im Kontext von Open Data. Zwischenzeitlich hat sich der Schwerpunkt in Richtung Open-Science-Praxis verlagert. Auf der Open Science Conference 2019, die in diesem Jahr vom 19. bis 20. März in Berlin durchgeführt wurde, waren die Vorträge und Poster fast ausschließlich Beispiele aus der Praxis. Und die Tagung wird zunehmend internationaler – neben Europa kamen die 220 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch aus Afrika sowie Nord- und Südamerika.

Vom Empfehlungsmodus zum Umsetzungsmodus

Auf europäischer Ebene war Open Science in den letzten Jahren stark durch die Arbeit der Open Science Policy Platform (OSPP) sowie der zahlreichen durch die Europäische Kommission einberufenen Expertengruppen (“Expert Groups”) geprägt. Hier sind eine Vielzahl von Berichten mit Empfehlungen entstanden. Dr. Bianca Kramer von der Universität Utrecht, stellte mit dem “Report from the EC expert group on the Future of Scholarly Publishing and Scholarly Communication” den jüngsten Bericht vor, der auch im Rahmen eines gleichnamigen Panels diskutiert wurde.

Prof. Dr. Eva Méndez, Vorsitzende der zweiten OSPP, betonte in ihrem Vortrag “Open Science?… Darling, we need to talk!” (PDF), dass es jetzt einen Wechsel vom “Declaration Mode” zum “Implementation Mode” geben müsse. Allein die letzten vier Berichte enthielten 87 Empfehlungen, die auf ihre Umsetzung warteten. Daher liege der Fokus der zweiten OSPP darauf, diese Umsetzung in ihrer Komplexität und mit all ihren Herausforderungen und Akteuren zu begleiten und zu gestalten. Dafür sollen sogenannte “Practical Commitments for Implementation” (PCI) identifiziert und vorangetrieben werden. Kurz gesagt, sollen sich alle Akteure die Frage stellen: Was kann ich tun, um Open Science zu ermöglichen? Und dies dann umsetzen. Initiativen wie Plan S oder University Journals sind für Eva Méndez existierende Beispiele für ein PCI, bei dem sich Förderer und Universitäten organisieren, um Open Access zu fördern. Aber genauso wichtig ist es, dass individuelle Forschende einen Beitrag als PCI leisten.

Auch beim Aufbau der European Open Science Cloud (EOSC) liegt derzeit der Fokus auf der Implementierungsphase, den Dr. Isabel Campos als Mitglied der zweiten High Level Expert Group (HLEG) der EOSC in ihrem Vortrag “Building an EOSC in Practice: a summary of the 2nd EOSC HLEG work” (PDF) vorgestellt hat. Dieser Fokus zeigt sich auch durch das Einrichten einer Governancestruktur für die EOSC im letzten Jahr in Wien und den Abschlussbericht “Prompting an EOSC in practice” (PDF) der High Level Expert Group EOSC. Angesichts der Komplexität sei es wichtig, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden und ein “Minimales funktionsfähiges Ökosystem” (Minimum Viable Ecosystem / MVE) der EOSC aufzubauen. Das MVE wird inkrementell über “minimale funktionsfähige Produkte” (Minimum Viable Product / MVP) ergänzt. Ein MVP löst beispielsweise ein bestimmtes Problem für eine Community und wird dann sukzessive weiterentwickelt.

Breite Community gestaltet die Umsetzung von Open Science

Betrachtet man die Vorträge und insbesondere die Poster Session mit 24 Beiträgen (bei über 90 Einreichungen), so sieht man, dass sich eine breite Open-Science-Community mit der ganz konkreten Umsetzung von Open Science beschäftigt. Es gibt eine Vielzahl an Projekten, die Forschende dabei unterstützen, ihre Arbeit zu öffnen. Es werden Werkzeuge entwickelt, die beim Datenmanagement helfen, Infrastrukturen aufgebaut, auf denen Forschungsergebnisse frei veröffentlicht werden können, oder Handreichungen und Trainings für Forschende sowie Open-Science-Trainerinnen und -Trainer angeboten. Aus den Forschungscommunities kommen immer mehr Anwendungsbeispiele für Open Science, die teilweise getrieben sind durch die Herausforderungen des traditionellen Wissenschaftssystems, wie die Replizierbarkeit und die Verarbeitung von immer größeren Datenmengen.

Bei Open Science wird häufig der “bottom-up”- oder “grass-root”-Charakter betont, denn der kulturelle Wandel zu offener Forschung beginnt beim einzelnen Forschenden. Zwei Vorträge machten dies besonders deutlich.

Dr. Peter Kraker stellte seine Initiative “Open Knowledge Maps” (OKM) vor “#DontLeaveItToGoogle: How Open Infrastructures Enable Continuous Innovation in the Research Workflow” (PDF), aus der vor zweieinhalb Jahren ein gemeinnütziges Startup in Österreich gegründet wurde. Laut Peter Kraker ist die Zugänglichkeit von Publikationen nicht mehr die größte Herausforderung – Open Access nimmt stetig zu. Vor dem Hintergrund eines stark ansteigenden Publikationsvolumens wird es aber zunehmend schwieriger, wissenschaftliche Erkenntnisse zu filtern und Relevantes zu “entdecken”. Dies behindert beziehungsweise verzögert derzeit den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Dort setzt OKM mit der Entwicklung einer innovativen, grafischen und komplett offenen Suchmaschine mit kollaborativen Funktionen an. Alle Inhalte, Daten und Quelltexte werden unter einer freien Lizenz veröffentlicht, selbst deren Roadmap ist offen. Denn laut Peter Kraker sind offene Infrastrukturen zentral für Open Science. Mit seiner Kampagne #DontLeaveItToGoogle versucht er darauf aufmerksam zu machen, dass kommerzielle Anbieter wie Google und Elsevier nicht offen arbeiten und somit eine “Mauer des dunklen Wissens” (“Wall of dark knowledge”) errichten, die die Entdeckung wissenschaftlicher Erkenntnisse erschwert.

Mark Wilkinson stellte in seinem Vortrag “Measuring FAIRness” die Initiative FAIRmetrics vor. Deren Ziel ist es, Metriken beziehungsweise Indikatoren zu definieren, die eine qualitative und quantitative Bewertung der Umsetzung von FAIR-Prinzipien für Forschungsdaten ermöglichen. Bereits zu Anfang der Initiative wurde klar, dass diese Metriken nicht dazu dienen, über die Qualität einer Ressource zu urteilen. Vielmehr geht es darum, eine Einschätzung zu bekommen, wie hoch der Reifegrad einer Ressource in Bezug auf die Erfüllung der FAIR-Prinzipien ist (“FAIR Maturity”). Um geeignete “Maturity Indicators” zu bestimmen, die über ein offenes Framework implementiert werden, wurde ein Community-getriebener Ansatz gewählt. Diese sind automatisch ausführbar, so dass Interessierte nach ihren eigenen Bedürfnissen die Indikatoren aussuchen und zusammenstellen können, um Informationen über die “FAIR Maturity” einer Ressource zu erhalten.

Bibliotheken wichtige Akteure bei der Umsetzung von Open Science

Bei der Umsetzung von Open Science sind Bibliotheken an vielen Stellen eingebunden. Auf der Tagung waren gleich zwei Beispiele aus Finnland zu sehen. Zunächst stellte Minna Marjamaa die Erweiterung des primär für Abschlussarbeiten an finnischen Fachhochschulen genutzten Forschungsinformationssystems Theseus um ein Repository vor “Open Repository Developed into Full Service platform for Open Publishing – The Case of 25 Universities of Applied Sciences in Finland promoting Open Publishing” (PDF). Zukünftig sollen dort sämtliche Publikationen der Forschenden aufgenommen werden. Ab 2020 müssen finnische Universitäten 100% in Open Access publizieren. Das finnische Nationalarchiv verlangt zudem eine Langzeitarchivierung aller Publikationen. Bereits an der Entwicklung und Betreuung des bestehenden Systems Theseus hat die finnische Nationalbibliothek mitgewirkt. Bei der Erweiterung um ein Repository besteht die Rolle der Bibliotheken vor allem in der Qualitätskontrolle auf Metadatenebene sowie der Unterstützung von Forschenden.

Mari Riipinen berichtete in ihrem Vortrag “Open Science Angle Throughout the Research Process: From Open Science Policies to Actions at the University of Turku” (PDF), wie die Open-Science-Initiative des finnischen Ministeriums für Bildung und Kultur von der Universität Turku in die Praxis umgesetzt wird. Dazu werden Open-Science-Services an der Universität angeboten. Die Bibliothek ist dabei für Open Access (publizieren, archivieren, Guidelines, …) und Open Data (Forschungsdatenmanagement, Guidelines, …) verantwortlich. Open-Science-Spezialistinnen und -Spezialisten unterstützen Forschende und bieten entsprechende Trainings an.

Einen ungewöhnlichen Weg geht die Universitätsbibliothek Lille in Frankreich, vorgestellt durch Romain Féret “Including open science to research projects since their submission: a library perspective” (PDF). Die Universitätsbibliothek bietet einen Service an, der Forschende bei sämtlichen Open-Science-Aspekten in Projektanträgen unterstützt. Dies bezieht sich in der Regel auf Open Access und Datenmanagementpläne. Der Dienst der Universitätsbibliothek hilft, diese Aspekte der Offenheit bereits in der Antragstellung zu berücksichtigen, was sich auch positiv auf die Begutachtung auswirken kann. Wird das Projekt gefördert, koordiniert und überwacht ein Open-Science-Manager der Universitätsbibliothek alle Aspekte rund um Open Science.

Fazit: Ein offener Austausch ist wichtig – auch global

Die Implementierung von Open Science wird an vielen Stellen vorangetrieben. Dabei müssen Aspekte von Open Science einfach praktisch erprobt und Erfahrungen gesammelt werden. Der regelmäßige Austausch zwischen allen Akteuren ist für ein gemeinsames Verständnis und Lernen voneinander immens hilfreich (Eva Méndez: “Darling, we need to talk!”). Auch das Barcamp Open Science als Pre-Event der Konferenz hat gezeigt, dass entsprechende Austauschformate gefragt sind. Dass dieser Austausch auch global, über Europa hinaus, stattfinden muss, war auch in dem Vortrag von Johanna Havemann What role can Open Science play in enabling South-North dialogues?” (PDF) zur Rolle des AfricArXiv in Afrika zu sehen. Die Förderung dieses internationalen Austausches wird die Open Science Conference künftig stärker berücksichtigen.

Weiterführende Informationen:

Autor:innen:

Susanne Melchior | Koordinationsassistentin des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science

Dr. Guido Scherp | Leiter der Abteilung “Soziale Medien” an der ZBW und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science.

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