ZBW MediaTalk

von Nicki Lisa Cole und Thomas Klebel

Eines der Hauptziele von Open Science ist die Förderung der Chancengleichheit durch transparente, partizipatorische und kollaborative Prozesse und durch den Zugang zu Forschungsmaterialien und -ergebnissen. Der akademische Kontext, in dem Open Science stattfindet, ist jedoch ungleich. So gibt es beispielsweise eine Zentrum-Peripherie-Dynamik, bei der Forscher:innen aus dem globalen Norden die Autor:innenschaft und die kollaborativen Forschungsnetzwerke dominieren. Es gibt Sexismus, wobei Frauen in der Wissenschaft unterrepräsentiert sind (siehe auch) , insbesondere in höheren Positionen (PDF); und es gibt Rassismus in der Wissenschaft, wobei Weiße unter den Hochschullehrer:innen überrepräsentiert sind. Ungleichheit ist das Wasser, in dem wir schwimmen, daher können wir nicht naiv sein, was die Versprechen von Open Science angeht.

Vor diesem Hintergrund hat sich das Projekt ON-MERRIT zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, ob Open-Science-Policies bestehende Ungleichheiten tatsächlich noch dadurch verschärfen, dass sie kumulative Vorteile für bereits privilegierte Akteur:innen schaffen. Mit dem Projekt haben wir diese Frage im Kontext von Wissenschaft, Industrie und Politik untersucht. Wir fanden heraus, dass einige Erscheinungsformen von Open Science in der Tat kumulative Vor- und Nachteile auf verschiedene Weise fördern, einschließlich epistemischer Ungerechtigkeit.

Miranda Fricker definiert epistemische Ungerechtigkeit auf zwei Arten. Sie erklärt, dass testimoniale Ungerechtigkeit “auftritt, wenn Vorurteile dazu führen, dass ein Hörer dem Wort eines Sprechers weniger Glaubwürdigkeit verleiht”, während hermeneutische Ungerechtigkeit “in einem früheren Stadium auftritt, wenn eine Lücke in den kollektiven Interpretationsressourcen jemanden in unfairer Weise benachteiligt, wenn es darum geht, seinen sozialen Erfahrungen einen Sinn zu geben”. Wir werfen einen Blick auf die Art und Weise, in der das Open-Access-Publizieren, so wie es derzeit gelebt und gefördert wird, beide Arten von epistemischer Ungerechtigkeit begünstigt.

APCs und die Stratifizierung des OA-Publizierens

Untersuchungen zeigen, dass die Bearbeitungsgebühren für Artikel (APCs) zu ungleichen Chancen für Forscher:innen führen, im Open Access zu veröffentlichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass US-Forschende OA-Publikationen veröffentlichen, insbesondere wenn APCs im Spiel sind, ist bei männlichen Forschenden aus angesehenen Einrichtungen, die Mittel aus staatlicher Forschungsförderung erhalten haben, höher. Ebenso werden APCs mit einer geringeren geografischen Vielfalt der Autor:innen in Zeitschriften in Verbindung gebracht, was darauf hindeutet, dass sie vor allem für Forscher:innen aus dem globalen Süden ein Hindernis darstellen. In unserer eigenen Forschung, in der wir speziell die Rolle institutioneller Ressourcen untersucht haben, fanden wir heraus, dass Autor:innen aus gut ausgestatteten Einrichtungen sowohl mehr Open-Access-Literatur veröffentlichen als auch zitieren und insbesondere mehr in Zeitschriften mit höheren APCs publizieren als Autor:innen aus weniger gut ausgestatteten Einrichtungen. Unterschiede in Bezug auf Maßnahmen zur Förderung und Finanzierung von Open-Access-Publikationen sind wahrscheinlich eine wichtige Ursache für diese Trends.

Während diese Maßnahmen für diejenigen, die davon profitieren, offensichtlich hilfreich sind, reproduzieren sie die bestehenden strukturellen Ungleichheiten innerhalb der Wissenschaft, indem sie die kumulativen Vorteile bereits privilegierter Akteur:innen verstärken und die Stimmen derjenigen, die über weniger Ressourcen verfügen, weiter ins Abseits drängen. Diese Form der Ungerechtigkeit in Bezug auf Aussagen (testimonial injustice) ist in der Wissenschaft historisch verwurzelt und weit verbreitet, wobei Forschung aus dem globalen Süden oft als weniger relevant und weniger glaubwürdig angesehen wird (siehe auch). Mit dem Aufkommen des APC-basierten Open Access sehen sich Akteur:innen mit geringeren Ressourcen zusätzlichen Hindernissen gegenüber, zum wissenschaftlichen Diskurs in den anerkanntesten Journalen beizutragen, nachdem zwischen dem Prestige einer Zeitschrift und der Höhe der APC eine mäßige Korrelation besteht. Angesichts der Erwartung, dass wissenschaftliche Forschung zur Bewältigung dringender gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen kann und soll, ist es alarmierend, dass die derzeitigen Trends in der wissenschaftlichen Kommunikation die Marginalisierung von Forschung und Wissen aus dem globalen Süden und von Wissenschaftler:innen mit geringeren Ressourcen im Allgemeinen noch verstärken.

Zugang allein reicht nicht aus

Eines der Argumente für Open Access ist, dass es eine stärkere Nutzung der Wissenschaft durch gesellschaftliche Akteur:innen fördert. Dies ist ein häufig zitierter Satz in der Literatur, aber wir haben festgestellt, dass Open Access in dieser Hinsicht praktisch keine Auswirkungen hat. Vielmehr haben wir von politischen Entscheidungsträger:innen gehört, dass sie sich auf bestehende persönliche Beziehungen zu Forscher:innen und anderen Expert:innen verlassen, wenn sie Expert:innenrat suchen. Und wir haben von Forscher:innen gehört, dass es viel wichtiger ist, dass wissenschaftliche Ergebnisse kognitiv zugänglich oder verständlich sind, wenn sie an ein Laienpublikum weitergegeben werden.

Die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse an ein Laienpublikum erfordert Zeit, Ressourcen und besondere Fähigkeiten. Wird dieser Tatsache nicht Rechnung getragen, wird der Kreis der Akteur:innen, die dazu in der Lage sind, eingeschränkt (auf diejenigen, die bereits gut ausgestattet sind und “mit am Tisch sitzen”), und es wird verhindert, dass die Wissenschaft Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen und für die betroffenen Gemeinschaften von Nutzen sein kann. Auf diese Weise schafft Open Access ohne Verständlichkeit hermeneutische Ungerechtigkeit bei allen Bevölkerungsgruppen, die davon profitieren würden, die Forschung und ihre Auswirkungen auf ihr Leben zu verstehen, insbesondere aber bei denjenigen, die an den Rand gedrängt werden, die möglicherweise an der Forschung teilgenommen haben oder Gegenstand von Studien waren und denen die Ergebnisse der Forschung einen direkten Nutzen bringen könnten. Die Menschen können sich nicht für ihre Rechte und für ihre Gemeinschaften einsetzen, wenn sie nicht über die Mittel verfügen, um soziale, ökologische und wirtschaftliche Probleme und mögliche Lösungen zu verstehen. Auf diese Weise muss das Konzept von Open Access über die Beseitigung einer Bezahlschranke für die Leserschaft hinausgehen und für Verständlichkeit sorgen, was dem “Recht auf Forschung” entspricht, wie es Arjun Appadurai formuliert hat.

Was wir dagegen tun können

Als Reaktion auf diese und andere Fragen der Gerechtigkeit im Kontext von Open Science hat das ON-MERRIT-Team mit einer Vielzahl von Interessenvertreter:innen aus der gesamten EU und darüber hinaus zusammengearbeitet, um gemeinsam umsetzbare Empfehlungen zu erarbeiten, die sich an Geldgeber:innen, Leiter:innen von Forschungseinrichtungen und Forscher:innen richten. Wir haben 30 auf einem Konsens basierende Empfehlungen erarbeitet und veröffentlicht, von denen wir hier einige herausgreifen, die auf epistemische Ungerechtigkeit reagieren und von Bibliotheken umgesetzt werden können.

  • Die Unterstützung alternativer, inklusiverer Publikationsmodelle ohne Gebühren für die Autor:innen und die Nutzung einer nachhaltigen, gemeinsam genutzten und Open-Source-Publikationsinfrastruktur könnte dazu beitragen, die ungerechte Stratifizierung des Open-Access-Publizierens zu mildern.
  • Die Unterstützung von Forscher:innen bei der Erstellung offenerer und verständlicherer Ergebnisse, gegebenenfalls auch in lokalen Sprachen, könnte dabei helfen, die hermeneutische Ungerechtigkeit, die sich aus der Unzugänglichkeit der akademischen Sprache ergibt, zu mildern. In Verbindung damit könnte auch die Unterstützung von Partnerschaften mit anderen gesellschaftlichen Akteur:innen bei der Übersetzung und Verbreitung verständlicher Forschungsergebnisse zu diesem Ziel beitragen.
  • Wir glauben, dass Bibliothekar:innen besonders hilfreich sein könnten, indem sie eine (offene und nachhaltige) Infrastruktur unterstützen, die die Auffindbarkeit und Verständlichkeit von Forschungsergebnissen für ein Laienpublikum ermöglicht.

Weitere Informationen über ON-MERRIT und unsere Ergebnisse sind auf unserer Projektwebsite verfügbar, genauso wie unser Briefing mit den gesammelten Empfehlungen.

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Zum Weiterlesen:

Über die Autor:innen:

Nicki Lisa Cole, PhD, ist Senior Researcher am Know-Center und Mitglied der Open and Reproducible Research Group. Sie ist Soziologin mit einem Forschungsschwerpunkt auf Fragen der Gerechtigkeit beim Übergang zu offener und verantwortungsvoller Forschung und Innovation. Sie war an mehreren Arbeitspaketen im Rahmen von ON-MERRIT beteiligt. Sie ist auch auf ORCID, ResearchGate und LinkedIn zu finden.
Porträt: Nicki Lisa Cole: Copyright privat, Fotograf: Thomas Klebel

Thomas Klebel, MA, ist Mitglied der Open and Reproducible Research Group und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Know-Center in Graz. Er ist Soziologe mit einem Forschungsschwerpunkt auf wissenschaftlicher Kommunikation und reproduzierbarer Forschung. Er war Projektleiter von ON-MERRIT und hat sich mit Open-Access-Publikationen sowie mit Einstellungen und Richtlinien zu Promotion, Review und Tenure beschäftigt. Er ist auch auf Twitter, ORCID und LinkedIn zu finden.
Porträt: Thomas Klebel: Copyright privat, Fotograf: Stefan Reichmann

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