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Werden wissenschaftliche Bibliotheken überflüssig? Durch das Internet und vor allem durch Google Scholar hat sich das Nutzerverhalten bei der Recherche nach wissenschaftlicher Fachliteratur in den letzten Jahren stark verändert. Das EU-Projekt EEXCESS möchte diese Entwicklung für Bibliotheken zu einem Erfolgsfaktor machen.

Wissenschaftliche Bibliotheken stehen heute scheinbar vor einem Problem: Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Recherche nach Fachliteratur rufen nicht mehr automatisch den Bibliothekskatalog auf oder betreten ein Bibliotheksgebäude. Sie geben ihre Suchbegriffe in Google oder Google Scholar ein und erhalten dort den direkten Volltextzugriff auf tausende Dokumente.

Sogar zu Nischenthemen sind leicht Informationen zu finden

Die positive Seite dieser Entwicklung ist, dass über die riesigen Content Aggregatoren des Internet (neben Google sind das zum Beispiel auch Amazon, Facebook und Wikipedia) Nischenthemen heute potentiell viel sichtbarer sind als in den Zeiten vor dem Internet. Auch zu dem kleinsten Randthema ist es heute für jedermann ein Leichtes, entsprechende Literatur zu finden, dazu braucht es nur ein paar Klicks. Die sorgfältig gepflegten kulturellen und wissenschaftlichen Datenbanken haben die Möglichkeit, Millionen von Nutzern zu erreichen. Soweit die Theorie.

Die Großen werden immer größer

Die Praxis sieht etwas anders aus. Der Löwenanteil der Seitenbesuche wird von einigen wenigen Internetseiten verzeichnet.  Unbekannte Seiten und Portale dagegen haben es schwer, interessierte Leserinnen und Nutzer zu finden. Ein mögliches Konzept würde lauten, die Inhalte aus den Bibliothekskatalogen oder aus kulturellen Datenbanken wie Europeana in die Suchergebnisse der “Nischenaggregatoren” wie Google zu bringen.

Das ist aber aus zwei Gründen nicht einfach: Zum einen wird Spezialliteratur häufig nicht gefunden, weil dem Nutzer die richtigen Stichworte für die Suche nicht bekannt sind. In der Bibliothek vor Ort helfen in diesem Fall die Fachbibliothekare, bei der Onlinesuche muss sich der Nutzer auf die Suchergebnisse bei Google verlassen.

Zum anderen gibt es das so genannte “rich get richer”-Phänomen: Die Inhalte, die am häufigsten abgerufen werden, werden auf Portalen wie Google Scholar oder Amazon auch an prominentester Stelle angezeigt, so dass sich dieser Effekt laufend verstärkt. Unpopuläre oder unbekannte Themen haben kaum eine Chance, im Ranking aufzusteigen.

Passgenauer Content dort, wo die Nutzer sind

 

Das EU-Projekt EEXCESS arbeitet daran, genau für dieses Problem eine Lösung zu finden. Es trägt das Motto: bringt den Inhalt zum Nutzer, nicht den Nutzer zu den Inhalten. Anstatt mühsam zu versuchen, mögliche Nutzer auf die eigene Website mit dem eigenen Online-Katalog aufmerksam zu machen, sollen Literatur- und Bildvorschläge genau dorthin gebracht werden, wo sich die Nutzer ohnehin schon aufhalten.

Was genau wollen wir mit EEXCESS erreichen?
1. Die Nutzer bekommen auf das eigene Suchverhalten zugeschnittene Empfehlungen, deren Passgenauigkeit sich ständig verbessert. Sie müssen dazu keine explizite Suche formulieren.

2. EEXCESS integriert sich in den laufenden Arbeitsprozess. Nutzer müssen die gewohnte Umgebung beziehungsweise die Website, das Content Management System oder die Social Media-Seite, auf der sie sich gerade befinden nicht verlassen.

3. EEXCESS bietet direkten Zugang zu den Inhalten: das heißt mindestens zu den Metadaten, idealerweise natürlich direkt zum entsprechenden Dokument per Open Access.

Bibliothekscontent „to go“

Für Bibliotheken bedeutet EEXCESS die Möglichkeit, ihre Inhalte besser auffindbar zu machen, ohne Nutzer aufwändig auf ihre Seite locken zu müssen und ohne dass die Daten selbst ihren Ort verlassen müssen. EEXCESS selbst ist keine neue Datenbank, sondern eine Empfehlungssoftware.

Die Zukunftsvision des Projektes umfasst Szenarien wie dieses: Ein Wissenschaftler schreibt einen Projektförderungsantrag in Google Docs. Noch während er seinen Text verfasst, analysiert EEXCESS diesen und empfiehlt in einem eigenen Interface auf der gleichen Google Docs-Seite passende Fachliteratur, die der Wissenschaftler zum Beleg seiner Thesen zitieren könnte. Mit einem Klick kann er nun diese Referenzen in seinen Text integrieren. Viele ähnliche Möglichkeiten sind denkbar: für Wissenschaftler und für Studierende, die beispielsweise eine Hausarbeit oder ein Referat verfassen, aber auch für Bloggerinnen und Journalisten, die nach relevanten Links für ihren Artikel suchen.

Drei Anwendungen stehen zum Testen bereit

Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden im Projekt drei Anwendungen entwickelt: eine Erweiterung für den Google Chrome Browser (als Unterstützung der Recherche), ein WordPress Plugin und ein Google Docs Plugin (als Unterstützung für die Erstellung eigener Inhalte).

Noch befindet sich das Projekt in seiner Prototypenphase. Erste Versionen der Software sind aber schon öffentlich verfügbar und können getestet werden. Die Erweiterung für den Google Chrome Browser steht im Chrome Web Store zum Download bereit.

Ein Feedback ist erwünscht!

 

Autorin: Maren Lehmann (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft; Dissemination EEXCESS-Projekt)

 

Fehlende deutsche Übersetzung

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