Diskussionspapier „Future Skills”: Warum neue Skills neue Strategien erfordern

von Birgit Fingerle

Im März 2019 veröffentlichten der Stifterverband und McKinsey das Diskussionspapier „Future Skills: Strategische Potenziale für Hochschulen“.

Darin behandelt wird der Bedarf an Zukunftskompetenzen wie komplexer Datenanalyse oder kollaborativem Arbeiten. Dabei geht es nicht alleine um die Ausbildung Studierender, sondern ebenso um die Weiterbildung von mehr als 2,4 Millionen bereits Erwerbstätigen, die Schlüsselqualifikationen wie agiles Arbeiten, digitales Lernen oder Kollaborationstechniken erlernen sollen. Wie dieser Bedarf von Hochschulen adressiert werden kann und wie stark Hochschulen und Unternehmen bei der Qualifizierung mit Future Skills aufeinander angewiesen sind, wird ebenfalls in dem Diskussionspapier thematisiert.

Das Diskussionspapier wurde auf der Basis einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden geschrieben. Auf einen Workshop mit 30 Teilnehmenden aus Start-ups, etabliertenUnternehmen, Bildungseinrichtungen, Politik, Verwaltung und Verbänden folgte eine standardisierte Onlinebefragung von 607 deutschen Unternehmen. Dies wurde von 20 leitfadengestützten Experteninterviews mit Personalverantwortlichen flankiert.

Das Ergebnis sind sieben strategische Handlungsbereiche für Hochschulen: „Lernhinhalte sollten weiterentwickelt werden, indem 1. neue Studiengänge konzipiert, 2. bestehende Curricula weiterentwickelt und 3. Data Literacy als Querschnittskompetenz in allen Studiengängen vermittelt werden. Neue Lernorte können dabei unterstützen, Future Skills zu vermitteln, insbesondere durch 4. neue Lernumgebungen und agile Innovationsräume. Hochschulen sollten sich 5. auf dem Weiterbildungsmarkt positionieren und dafür 6. auch Plattformmodelle für lebenslanges Lernen nutzen. Schließlich gilt es 7. insbesondere im Bereich der Weiterbildung neue Formen des Qualifikationsnachweises durch neue Zertifizierungsformen zu entwickeln.“ (Seite 5 des Diskussionspapiers). Im Folgenden fassen wir einige Punkte zusammen, die im Kontext von Open Science und Infrastruktureinrichtungen besonders interessant erscheinen:

Studiengänge und Curricula neu konzipieren

Die Vermittlung von Future Skills wird als Aufgabe von Hochschulen gesehen, die ihnen Chancen wie Lehrinnovationen und das Besetzen neuer Felder in Forschung und Lehre bieten und zugleich notwendig sind, um sich an den wandelnden Arbeitsmarkt und die Gesellschaft anzupassen. Dafür sind deutlich mehr Ressourcen sowie die Weiterentwicklung von Studiengängen und von Lehr- und Lernformaten erforderlich. Da sich digitale Grundfähigkeiten und klassische Fähigkeiten nicht alleine in Vorlesungen und Seminaren vermitteln lassen, ist eine Weiterentwicklung der Formate erforderlich, hin zu stärker aktivierenden Formen wie problem- und projektorientiertem Lernen oder Design Thinking.

Eine große, fast paradoxe, Herausforderung für Hochschulen dabei: Sie sollen Vorreiter bei der Entwicklung des neuen Wissens und der Vermittlung der Future Skills für die Arbeitswelt der Zukunft sein – und konkurrieren dabei auf dem Arbeitsmarkt mit Unternehmen um knappes Personal, das sie benötigen, um Nachwuchs überhaupt ausbilden zu können. Da Unternehmen oft attraktive Gehälter bezahlen können, sind Digital- und Big-Data-Spezialisten für Hochschulen schwierig zu finden oder als Arbeitskräfte zu halten. Die Weiterqualifizierung des vorhandenen Hochschulpersonals und mehr Kooperationen mit Hightech- und daten-getriebenen Unternehmen könnten eine Lösung für die Themen Curriculumsentwicklung, Rekrutierung und Weiterbildung ergeben.

Data Literacy fördern

Data Literacy bezeichnet die Fähigkeiten, planvoll mit Daten umzugehen, diese im jeweiligen Kontext bewusst einzusetzen und hinterfragen zu können. Dazu gehören das Erfassen, Erkunden, Managen, Kuratieren, Analysieren, Visualisieren, Interpretieren, Kontextualisieren, Beurteilen und Anwenden von Daten. Alle Studierenden und Promovierenden sollten über diese grundlegenden Kompetenzen verfügen. Viele Hochschulen engagieren sich bereits intensiv bei der Vermittlung von Data-Literacy-Kompetenzen und sind dabei, ihr Lehr- und Weiterbildungsangebot in dieser Richtung auszuweiten, etwa indem sie anwendungsorientierte interdisziplinäre Data Labs schaffen.

Neue Lernumgebungen und agile Innovationsräume schaffen

Neue Formen des Lernens und neue Räume sind für die Vermittlung vieler Future Skills erforderlich. Viele Hochschulen richten daher neue Lernumgebungen, Orte für kollaboratives Arbeiten sowie Innovationsräume ein, in denen flexibel und experimentell gemeinsam an konkreten Projektherausforderungen gearbeitet werden kann, auch zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft. Diese neuen Räume stimulieren selbst wiederum die Weiterentwicklung von Lernkonzepten.

Hochschulen als Weiterbildungsanbieter positionieren

Da der Bedarf an technologischen Future Skills durch die Anzahl an Studienanfängerinnen und -anfängern nicht gedeckt werden kann, sollten sich Hochschulen verstärkt der Weiterbildung von Berufstätigen widmen. Dazu sind verschiedenste Weiterbildungsformate, vom Onlineseminar bis zum Teilzeitstudiengang, denkbar. Bislang gibt es im Bereich der Weiterbildungen ein großes noch nicht gehobenes Potenzial. Damit verbunden ist ein Strategiewechsel für Hochschulen, die gefordert sind, ihre Lehrangebote und -formate zu verbreitern und für Durchlässigkeit und Synergieeffekte zwischen dem eigenen Lehrangebot und anderen Weiterbildungsmöglichkeiten zu sorgen.

Plattformen für lebenslanges Lernen nutzen

Für die Ansprache sehr unterschiedlicher Zielgruppen und die Entwicklung flexiblerer Studien- und Bildungsangebote müssen sich Hochschulen um die (onlinebasierte) Skalierung ihrer Angebote kümmern. Auch in Deutschland werden globale Onlineplattformen wie edX, Coursera oder Udacity mit ihrem vorwiegend englischsprachigen Angebot bereits von unterschiedlichen Zielgruppen genutzt, jedoch stellen bislang nur wenige deutsche Hochschulen dort eigene Angebote ein und nur wenige haben eine eigene Plattform entwickelt. Auf Landesebene gibt es zum Teil Plattformmodelle wie die Hamburg Open Online University HOOU, die jedoch keine bundesweite oder internationale Reichweite besitzen und nur in Ansätzen dem Nachfragepotenzial gerecht werden. Für den Erfolg einer solchen Plattform, die auch Hochschulen als Weiterbildungsanbieter stärker in den Fokus rücken soll, ist ihre Integration in ein umfassendes System an Online- und Offlineangeboten und die Ergänzung der Kurse durch digitale Beratungs- und Unterstützungsangebote zentral.

Neue Zertifizierungsformen

Im Gegensatz zu der weiterhin hohen Bedeutung formaler Bildungsabschlüsse in Deutschland, vor allem im öffentlichen Dienst, legen internationale Unternehmen und Start-ups eher Wert auf den Nachweis relevanter Kompetenzen bei der Rekrutierung und der Ausgestaltung von Karrierechancen. Dies wird von kommerziellen Anbietern mit modularen Weiterbildungsangeboten bedient, die die zeitliche und inhaltliche Fokussierung ihrer Angebote hervorheben und Nanodegrees oder Microdegrees vergeben. Insbesondere was technologische Skills betrifft, findet Weiterbildung vermehrt informell statt, sodass neue Zertifizierungsmodi gebraucht werden. (Open) Badges sind ebenso wie in Deutschland stattfindende Experimente mit Peer-to-Peer-Zertifizierungen in diesem Zusammenhang als interessant zu nennen.

Diesen Blogpost teilen:

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

8 Thesen für die Arbeitswelt 4.0 – Hochschul-Bildungs-Report 2020 Die Zukunft wissenschaftlicher Kommunikationsweisen Best Practice: Die ersten sechs Monate Open Science an der Universität von North Carolina Wilmington

View Comments

Open Science Conference 2019: Jetzt werden die Empfehlungen umgesetzt
Nächster Blogpost