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Die Wissenschaft ist produktiv wie nie zuvor. Jedes Jahr werden etwa 2,5 Millionen wissenschaftliche Artikel publiziert, Tendenz steigend. Vieles an wissenschaftlichen Informationen ist offen zugänglich: dank der Open-Access-Bewegung können wir mittlerweile auf über 100 Millionen wissenschaftliche Outputs frei zugreifen. Beim Zugang wurden also große Fortschritte gemacht – doch wie ist es um die Auffindbarkeit bestellt? Letztendlich nützt uns diese große Menge wissenschaftlicher Information ja nur, wenn sie bei ihren potentiellen Rezipienten auch ankommt, wenn die Ergebnisse in der Forschung wiederverwendet oder in die Praxis transferiert werden. Hier zeigt sich eine große Lücke: je nach Disziplin werden 12% bis 82% der wissenschaftlichen Publikationen nicht zitiert.Das bedeutet, dass diese Publikationen nicht als Grundlage für spätere Forschung genutzt werden. Beim Transfer in die Praxis sieht es noch schlechter aus: selbst in anwendungsorientierten Disziplinen wie der Medizin finden nur ein Bruchteil der wissenschaftlichen Ergebnisse Eingang in die Praxis – und das mit erheblicher Verzögerung.

Woran scheitert der Wissenstransfer in die Praxis?

Ein Grund für diese Misere sind die Werkzeuge, die uns zur Literaturrecherche zur Verfügung stehen. Großteils werden für diese Aufgabe Suchmaschinen verwendet. Suchmaschinen sind hilfreich, wenn man eine recht genaue Vorstellung davon hat, was man sucht. Dann liefern sie mit zunehmend traumwandlerischer Sicherheit das gewünschte Ergebnis. Will man aber beispielsweise einen Überblick über ein unbekanntes Forschungsgebiet bekommen, dann ist die listenbasierte Ansicht mit 10 Ergebnissen pro Seite ungeeignet. Damit dauert es sehr lange, bis man in einem Bereich die wichtigsten Begriffe, Artikel, Autorinnen und Autoren sowie Zeitschriften identifiziert hat. So können Wochen und Monate vergehen – in vielen Dissertationsstudien ist das komplette erste Jahr diesem Vorgang gewidmet. Das ist Zeit, die viele Forscherinnen und Forscher und vor allem Personen in der Praxis nicht haben, man denke an Wissenschaftsjournalistinnen oder Patienten. Zusammengefasst kann man sagen: wissenschaftliche Erkenntnisse könnten viel mehr Menschen nützen, wenn es bessere Werkzeuge zur Erfassung von Forschungsergebnissen gäbe.

Wissenslandkarten statt Listen

Bei Open Knowledge Maps wollen wir diese Lücke schließen und den Missing Link zwischen Zugänglichkeit und Auffindbarkeit bereitstellen. Anstelle von Listen verwenden wir Wissenslandkarten (sogenannte Knowledge Maps) für die Literaturrecherche. Wissenslandkarten zeigen die wichtigsten Bereiche in einem Forschungsfeld auf einen Blick. Jedem Bereich sind bereits relevante Publikationen zugeordnet. Dies ermöglicht es den Suchenden, einen schnellen Überblick über ein Feld zu bekommen.

Zudem lernt man über die Benennung der Bereiche wichtige Themen im Feld kennen. Alleine für diese Information muss man oft wochenlang recherchieren, nur um dann festzustellen, dass einem ein wichtiger Teil eines Feldes durch die Lappen gegangen ist, weil man den falschen Suchbegriff verwendet hat. Des Weiteren ermöglicht die Wissenslandkarte, in Bezug auf das eigene Informationsbedürfnis die Spreu vom Weizen zu trennen. Bei mehrdeutigen Begriffen werden die Publikationen beispielsweise automatisch nach den verschiedenen Bedeutungen sortiert.

Open Knowlege Maps als frei zugänglicher Service

Derzeit bieten wir auf Open Knowledge Maps einen frei zugänglichen Service, bei dem man eine Wissenslandkarte für einen beliebigen Suchbegriff erstellen kann. Nutzerinnen und Nutzer können dabei zwischen zwei Datenbanken wählen: der Bielefeld Academic Search Engine (BASE) mit über 110 Millionen wissenschaftlichen Dokumenten aus allen Disziplinen, und der PubMed, der biomedizinischen Datenbank mit über 26 Millionen Referenzen. Als Basis für eine Landkarte dienen die 100 relevantesten Ergebnisse für den eingetippten Begriff aus der jeweiligen Datenbank. Die Anordnung auf der Karte und die Bestimmung der Bereiche erfolgt auf Basis der Wortähnlichkeit zwischen den Metadaten der Publikationen. Das heißt: je mehr Worte zwei Papers in Titel, Abstract, Autor und Journal gemeinsam haben, desto näher werden sie auf der Karte angeordnet und desto wahrscheinlicher werden sie einem Bereich zugeordnet. Für alle, die mehr erfahren wollen, bietet sich der tiefergehende Artikel in der Zeitschrift 027.7 an: Open Knowledge Maps: Creating a Visual Interface to the World’s Scientific Knowledge Based on Natural Language Processing.

Passend zum aktuellen Wetter kann die Wissenslandkarte für den Begriff „summer heat“ unten gesehen werden. Wie im Beispiel stellen die Bubbles die unterschiedlichen Bereiche dar. Mit dem Klick auf eine der Bubbles werden die zugeordneten Publikationen angezeigt. Open-Access-Artikel werden gekennzeichnet und können direkt im Interface gelesen werden. Unser Ziel ist es, dass man bei der Literaturrecherche nicht mehr den Browsertab verlassen muss. Unter Open Knowledge Maps können Sie diesen Service nutzen.

Abbildung: Wissenslandkarte für den Begriff „summer heat“. Für eine interaktive Version, klicken Sie bitte hier.

Dieser Service hat uns viel Lob aus der Community eingebracht. Zu unserer großen Freude haben wir mehrere hundert positive Posts in Blogs, auf Facebook und bei Twitter erhalten. Auch das IT-Branchenblatt c’t widmete uns einen eigenen Artikel . Zudem haben wir es im November 2016 auf die Startseite von reddit geschafft. Daher haben wir bereits jetzt, knapp ein Jahr nach dem Start, eine große Nutzerbasis: seit dem Launch von Open Knowledge Maps im Mai 2016 verzeichneten wir über 120.000 Zugriffe und es wurden mehr als 33.000 Wissenslandkarten erstellt

Open Knowlege Maps leben Open Science

Bei Open Knowledge Maps steht das „Open” im Namen, aber nicht nur für Open-Access-Artikel. Wir wollen Open Knowledge Maps vollkommen im Open-Science-Gedanken führen und ein Gemeingut (englisch: public good) schaffen. Dies bedeutet, dass alle unsere Software open source entwickelt wird und auch die Roadmap für die Entwicklung auf Github offen eingesehen werden kann. Kommentare können durch die Eröffnung einer Issue hinterlassen werden. Die Wissenslandkarten, die auf unserer Seite erstellt werden, stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz und können unter Namensnennung frei geteilt und verändert werden. Aber nicht nur die Maps, auch die zugrunde liegenden Daten werden wir in Zukunft frei zur Verfügung stellen, etwa als Linked Open Data. So wollen wir gemeinsam mit unseren zahlreichen Partnern, wie rOpenSci, ContentMine, Open Knowledge, den Internet Archive Labs und Wikimedia am digitalen Ökosystem für Open Science mitarbeiten.

Bibliotheken sehen wir auf diesem Weg als wichtige Kollaborationspartner. Unter anderem kooperieren wir mit den Bibliotheken der Universität Bielefeld und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Auch die ZBW setzt bereits Software von Open Knowledge Maps in einem gemeinsamen Projekt mit dem Know-Center ein. Diese Zusammenarbeit ist für beide Seiten fruchtbar: Open Knowledge Maps ist ein stabiles, nutzerfreundliches System, um Dokumentenbestände von Bibliotheken strukturiert darzustellen und besser durchsuchbar zu machen. Auf der anderen Seite fließen die Weiterentwicklungen stets in die Software von Open Knowledge Maps ein und verbessern das System somit für alle Anwenderinnen und Anwender.

Vision: Kollaborative Literaturrecherche

In Zukunft wollen wir mit Open Knowledge Maps kollaborative Literaturrecherche ermöglichen. Derzeit wird zum überwiegenden Teil alleine recherchiert; dabei wurden die allermeisten Recherchevorhaben bereits einmal durchgeführt. Das dabei gewonnene Wissen verbleibt aber zumeist in den Köpfen. Wir wollen Open Knowledge Maps nun dahingehend weiter entwickeln, dass Wissenslandkarten verändert, erweitert und anschließend wieder geteilt werden können. Die Idee ist, dass man bei der Recherche auf existierendem Wissen aufbauen kann und nicht bei null beginnen muss. Wie das aussehen könnte, haben wir in einem kleinen Video zusammengefasst.

Auch hier sehen wir Bibliotheken beziehungsweise Bibliothekarinnen und Bibliothekare als wichtige Partner. Ein kollaboratives System kann nicht ohne Expertinnen und Experten für Wissenskuratierung und –strukturierung funktionieren. Gemeinsam mit den anderen Stakeholdern aus Wissenschaft und Gesellschaft, Wissenschaftlerinnnen und Wissenschaftlern, Studierenden, Journalistinnen und Journalisten, Citizen Scientists und vielen anderen wollen wir so ein System schaffen, in dem wir einander Pfade durch die Wissenschaft legen, um von diesem einzigartigen Wissen besser profitieren zu können.

Autor: Dr. Peter Kraker ist Gründer und Leiter von Open Knowledge Maps. Zudem ist er Postdoc am Forschungszentrum Know-Center im Bereich Social Computing. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Themen Altmetrics, Open Science und der Visualisierung wissenschaftlicher Kommunikation im Netz.

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