ZBW MediaTalk

von Claudia Sittner und Birgit Fingerle

Der 2022 EDUCAUSE Horizon Report Teaching and Learning Edition wurde Mitte April 2022 veröffentlicht. Er beschäftigt sich damit, welche Trends, Technologien und Praktiken die Lehre und das Lernen an Hochschulen in Zukunft maßgeblich beeinflussen werden. Wie seine Vorgänger spielt der Bericht anhand von vier unterschiedlichen Szenarien durch, wie die Zukunft der Hochschulbildung aussehen könnte.

Wir fassen einige für wissenschaftliche Bibliotheken und Informationsinfrastruktureinrichtungen interessante Trends daraus zusammen.

Hybrides Lernern: Gekommen, um zu bleiben

Nach rund zwei Jahren Corona-Pandemie haben wohl die meisten eingesehen, dass es keine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität geben wird; Online- und hybrides Lernen heißt die neue Normalität. Als Trend sieht der Horizon Report eine Fortführung von synchronen und asynchronen Lernerfahrungen gepaart mit einer minimalen Anwesenheitspflicht auf dem Campus. Dafür würden nun „nachhaltigere und evidenzbasierte Modelle für hybrides und Online-Lehren und -Lernen“ gebraucht, heißt es im Horizon Report (S. 7). Diese lösten nun die am Beginn der Pandemie eilig gestrickten Notfallpläne sukzessive ab und sollten durch neu entwickelte, solide Hybrid- und Online-Pädagogik sowie eine Investition in zusätzliches Personal und in Dienstleistungen flankiert werden. Hochschuleinrichtungen müssten sich auch darauf konzentrieren, Studierende fit für die Online-Lernerfahrungen zu machen. Hier können sicher auch wissenschaftliche Bibliotheken ihren Teil beitragen. Das neue Motto laute: Bildung für jede:n von überall.
Beispiel: Attend-Anywhere-Modell, Portland, USA

Mikrozertifikate gewinnen gegenüber klassischen Universitätsabschlüssen

Lebenslanges und passgenaues Lernen wird wichtiger im Kontrast zu klassischen, langwierigen Abschlüssen, heißt es im Horizon Report. Dafür eigneten sich sowohl Microcredentialing als auch Online-/Hybridbildung besonders. Bibliotheken und digitale Infrastruktureinrichtungen sollten deshalb den praktischeren, personalisierten und kompetenzbasierten Kursen und Mikrozertifikaten mehr Aufmerksamkeit schenken, die laut Horizon Report potenziell attraktivere Möglichkeiten für den beruflichen Aufstieg böten als das traditionelle Hochschulstudium. Bibliotheken könnten beispielsweise überlegen, selbst entsprechende Kurse anzubieten, um mit ihren Angeboten sichtbarer zu werden, und den großen Tech-Konzernen nicht alleine das Feld zu überlassen.

Hinzu komme, dass viele Menschen aufgrund von in der Pandemie erlebten signifikanten finanziellen Einbußen nun noch intensiver abwägen, ob sich ein klassischer Hochschulabschluss für sie auszahle. Mikrozertifikate, insbesondere kostenlose von Einrichtungen wie Bibliotheken, gewinnen dabei an Attraktivität.

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Künstliche Intelligenz: Lernanalyse und Lerntools

Auch wenn sie oft noch in den Kinderschuhen stecke, spielt die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) im diesjährigen Horizon Report gleich in zweierlei Hinsicht eine Rolle: in Bezug auf die Lernanalyse und auf Lerntools. In Bezug auf die Lernanalyse würden Institutionen KI vor allem nutzen, um auf der Basis vorhandener Daten den Lernerfolg von Lernenden zu fördern. Bei den Lerntools sind es die Lernenden selbst, die diese nutzen und so ihre Lernerfahrungen an den Universitäten verbessern.

Der pandemiebedingte digitale Schwenk habe auch eine große Menge an digitalen Daten mit sich gebracht. Das bedeutet auch für wissenschaftliche Bibliotheken, sich intensiver mit dem Potenzial erzeugter Daten auseinanderzusetzen und ihren Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen damit letztendlich eine verbesserte Lern- und Arbeitserfahrung zu bieten.

Eine Herausforderung hierbei seien Datensilos einzelner Abteilungen, Bereiche oder Institute. Sie sollten stärker integriert werden, um das Nutzungserlebnis zu verbessern und betriebliche Effizienz zu fördern. Trotz des großen Potenzials von KI gebe es auch einige Risiken zu bedenken, etwa dass KI-Systeme häufig bestehende Vorurteile (biases) übernehmen und damit bestimmte Nutzer:innengruppen vorziehen. So würden Ungleichheiten verstärkt. Außerdem müsse transparent kommuniziert werden, welche Daten zu welchem Zweck gesammelt würden, damit das Vertrauen der Nutzer:innen in die Institutionen nicht verloren ginge.

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Datenspuren erfordern kritischen Umgang mit Medien

Angesichts der wachsenden Datenmengen hinterließen Nutzer:innen von Infrastruktureinrichtungen vermehrt Datenspuren im Netz, etwa in Clouds oder in sozialen Netzwerken. Umso wichtiger sei es, sie mit ausreichend Informationskompetenz und einem medienkritischen Bewusstsein auszustatten, um beispielsweise Fake News, unseriöse Konferenzen und Predatory Jounals zu erkennen. Hier kommt wissenschaftlichen Bibliotheken mehr denn je eine wichtige Rolle zu, entsprechende Kurse und weitere Unterstützung anzubieten.

Nachhaltige Praktiken stärken und den Klima-Fußabdruck verringern

Für alle Hochschuleinrichtungen würden Umweltaspekte zunehmend auch im eigenen Handeln relevant. Es werde darum gehen, den eigenen Klima-Fußabdruck vor Ort zu verringern und mit gutem Beispiel voranzugehen. Hierbei können Bibliotheken den Blick auf das durch die Pandemie bedingte nachhaltig geänderte Verhalten und neue Bedürfnisse der Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen richten. Anhaltspunkte könnten beispielsweise das „Planetary Health Education Framework“ und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen liefern. Vielleicht ein guter Zeitpunkt für wissenschaftliche Bibliotheken, sich zu überlegen, wie sie nachhaltiger werden und umweltfreundliche Praktiken stärken können?

Behauptung gegen politische Einflussnahmen

In Zeiten von mancherorts zunehmendem Nationalismus und Populismus gepaart mit globalen Unsicherheiten täten Bildungseinrichtungen gut daran, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Aufgrund ihrer benötigten Finanzierung könnten sie sich politischen Anliegen aber nicht immer gänzlich entziehen. „In diesen Fällen müssen die Institutionen darauf vorbereitet sein, überzeugende Beweise für die Vorteile der von ihnen angebotenen Bildung und Ausbildung vorzulegen und den Bedürfnissen der zunehmend belasteten und abgelenkten Studenten und Familien gerecht zu werden“ (S. 13). Angesichts knapper werdender finanzieller Ressourcen könnten hier auch wissenschaftliche Bibliotheken stärker in den Fokus geraten.

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Über die Autorinnen:

Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. Sie ist auch auf LinkedIn, Twitter und Xing zu finden.
Porträt: Claudia Sittner©

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem “Open Economics Guide”. Birgit Fingerle ist auch auf Twitter zu finden.
Porträt, Fotograf: Northerncards©

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