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Ein Interview mit Juliane Finger und Marcel Wrzesinski

Öffentliches Geld, öffentliches Gut.

Das scholar-led.network möchte das ändern und setzt sich für faires, diverses und gemeinsinnorientiertes Publizieren ein. Dabei engagiert es sich für und bei Open-Access-Zeitschriften, -Verlagen und -Blogs, die in der Hand von Wissenschaftler:innen kollaborativ betrieben werden, um damit der vielfältigen Community aus Publikationsinitiativen eine Stimme zu geben. Das Netzwerk möchte für unabhängiges, nichtprofitorientiertes Open Access eintreten und für Nachhaltigkeit in diesem oft durch projektbasierte Fördergelder geprägten Feld sorgen. Im Interview stellen Netzwerk-Mitgründer:innen Juliane Finger und Marcel Wrzesinski die Initiative vor, sprechen über Herausforderungen, Ziele und erste Pläne.

Kürzlich hat sich das scholar-led.network gegründet. Wer und was steckt genau dahinter? Was sind eure Ziele?

Das scholar-led.network ist ein Zusammenschluss an Open-Access-Akteur:innen, der sich Anfang 2021 als „Digitale Fokusgruppe“ im Kontext des Projektes „open-access.network“ konstituiert hat. Die Arbeit des scholar-led.network knüpft an Projektergebnisse mehrerer Projekte zu gebührenfreiem Open Access, speziell mit Blick auf Scholar-led-Initiativen: beispielsweise dem Aufbau einer Community-Plattform im Projekt „Open Gender Platform“ oder zu innovativen Publikationslösungen im Projekt „InnOAccess“ (vgl. das White Paper zu Technik und zu Geschäftsmodellen).

Scholar-led, das heißt für uns: Publizieren im Auftrag der Wissenschaft und unabhängig von profitorientierten Großverlagen bzw. ausufernden kommerziellen Interessen.

Die Idee hinter dem scholar-led.network ist zunächst der Netzwerkgedanke: Herausgeber:innen von Scholar-led-Publikationsprojekten, Vertreter:innen von Infrastruktureinrichtungen, Stakeholder:innen von Forschungseinrichtungen und Universitäten – all jene kommen zusammen, um sich gemeinsam für ein starkes wissenschaftsgeführtes Publizieren zu engagieren. Scholar-led, das heißt für uns: Publizieren im Auftrag der Wissenschaft und unabhängig von profitorientierten Großverlagen bzw. ausufernden kommerziellen Interessen. Das scholar-led.network soll dann auch dazu dienen, den vielfältigen Publikationsinitiativen eine gemeinsame Stimme zu geben. Wir benennen Handlungsfelder und wollen Strategien erarbeiten, um die Situation von Scholar-led-Publikationsinitiativen zu verbessern.

Warum ist ein Handeln in diesem Bereich nötig? Was sind die Probleme/Herausforderungen?

Wir sehen trotz des momentanen Umbruchs im Publikationssystem die Gefahr, dass sich „alte“ Probleme fortschreiben. Die Open-Access-Bewegung ist ja ursprünglich aus dem Gedanken heraus entstanden, die sogenannte Zeitschriftenkrise zu lösen. Darunter fasst man gemeinhin die Bestrebungen einiger großer Wissenschaftsverlage in den 1990ern, durch ihre jeweilige Monopolstellung die Preise für den Zugriff auf wissenschaftliche Zeitschriften immer mehr erhöht zu haben. Diese großen kommerziellen Verlage haben nun aber auch Open Access für sich als Geschäftsmodell erkannt. Zur Finanzierung von Open-Access-Publikationen müssen Autor:innen bzw. deren Institutionen oft hohe Artikelgebühren zahlen. Das erzeugt neue Ungleichheiten. Denn die Artikelgebühren kann sich nicht jede:r leisten bzw. nur jene Personen, die mit einer zahlungskräftigen Institution affiliiert sind.

Scholar-led-Initiativen haben darüber hinaus mit besonderen Problemen zu kämpfen: Wie jede andere Zeitschrift auch, benötigen sie Geld für den laufenden Betrieb, die Technik, das Personal. Als gebührenfreies Open Access ist ihre finanzielle Situation aber höchst prekär und vielfach an die freiwillige bzw. „geschenkte“ Arbeit von Redakteur:innen gebunden. Dazu gibt es in Deutschland bislang und vor allem projektgebundene, zeitlich befristete Finanzierung. Das heißt, man kann vielleicht Geld beantragen, um eine Zeitschrift in das gebührenfreie Open Access zu überführen, z.B. bei der DFG, langfristig müssen die Zeitschriften aber eigene Finanzierungsstrukturen aufbauen – eine strategische Ausrichtung der Förderung fehlt. Ein weiteres Problem ist das mangelnde Verantwortungsbewusstsein von Fachverantwortlichen und Forschungsinstitutionen: Die vielfach kleinen und interdisziplinären Scholar-led-Projekte fallen oft unabsichtlich durch das disziplinäre oder institutionelle Raster und bleiben auf der Strecke.

Mit der Gründung habt ihr auch ein Manifest veröffentlicht. Was fordert ihr und von wem?

Das Manifest soll in durchaus provokanter Weise Aufmerksamkeit auf die prekäre Situation vieler Scholar-led-Projekte lenken. Es ist sozusagen ein Aufschlag für eine Diskussion über das Thema. Wir fordern, dass mehr getan wird, um Scholar-led Initiativen zu stärken. Wir haben im Manifest drei Handlungspunkte benannt:

  • Als erstes fordern wir mehr Vernetzung, Zusammenarbeit sowie einen strategischen Rahmen zur Verbesserung der Situation von wissenschaftsgeführten Publikationsinitiativen.
  • Zum zweiten fordern wir den Aufbau von nachhaltigen Finanzierungsstrukturen. Die derzeitige Finanzierung für nichtkommerzielle Publikationsinitiativen ist vorrangig projektbasiert und daher kurzfristig. Das erschwert es Scholar-led Initiativen, sich nachhaltig zu etablieren.
  • Und drittens sollte die Bibliodiversität gefördert werden. Dazu gehören neben der Akzeptanz für neue und heterogene Publikationsformate auch neue Standards für Aspekte der Qualitätssicherung und Zugänglichkeit von Publikationen.

Mit diesen Forderungen stehen wir übrigens nicht alleine da: Die jüngst erschienene Studie zu Diamond Open Access von OPERAS und SPARC Europe gibt ganz ähnliche Handlungsempfehlungen. All diese Punkte sind an ein breites Publikum adressiert: die wissenschaftliche Community, Wissenschaftspolitik, Förderorganisationen, Hochschulleitungen und Bibliotheken.

Wer kann mitmachen? Was und wen sucht ihr?

Das Netzwerk ist offen für neue Mitglieder. Scholar-led Initiativen sind willkommen, dem Netzwerk beizutreten und sich zu vernetzen. Aber auch andere Akteur:innen, deren vorrangiges Interesse es ist, nichtkommerzielle Publikationsinitiativen zu unterstützen, laden wir zur Beteiligung ein. Das können Bibliotheken sein, aber auch nichtprofitorientierte Verlage wie z.B. Universitätsverlage. Wir wollen so neue Kooperationen entlang gemeinsamer Interessen ermöglichen, z.B. eines nichtkommerziellen Hosting-Services und einer Scholar-led-Zeitschrift. Wer Interesse hat, findet weitere Informationen auf der Website des scholar-led.network.

Welche Aktivitäten plant ihr konkret?

Das Netzwerk trifft sich zunächst zum regelmäßigen Austausch. Bei den nächsten Treffen geht es darum, aktuelle Forschungen, nachhaltige Strategien und praktische Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren. Dazu gibt es bei jedem Treffen einen Input von laufenden Projekten zum Thema Scholar-led, um praxisnah ins Gespräch zu kommen.

Mittelfristig sind noch weitere Aktivitäten möglich. Zum Beispiel gemeinschaftlich erstellte Informationssammlungen (etwa ein eigenes Wiki) oder das Bilden von Zusammenschlüssen für strategisch abgestimmte Verhandlungen. Wir sind hier noch in der Findungsphase und offen für Vorschläge und Ideen aller Interessierten.

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Wir sprachen mit Juliane Finger und Marcel Wrzesinski

Juliane Finger ist Open-Access-Referentin an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Dort betreut sie das Pilotprojekt Open Library Economics, eine nichtkommerzielle Plattform für Diamant Open Access in den Wirtschaftswissenschaften. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Psychologin arbeitet bereits seit mehreren Jahren zu den Themen Open Access und Digitalisierung. Sie ist auch auf ORCID zu finden.
Porträt: Juliane Finger©

Marcel Wrzesinski ist Open Access Officer am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft und leitet das BMBF-Projekt „Scholar-led Plus“ (zusammen mit Knowledge Unlatched). Im Projekt werden Möglichkeiten gemeinschaftlicher Finanzierung von Open-Access-Zeitschriften entwickelt und erprobt. Dabei ist ihm die Professionalisierung, Absicherung und Vernetzung von Open Access in kleinen und interdisziplinären Fachzusammenhängen ein besonderes Anliegen. Er ist auch auf ORCID und Twitterzu finden.
Porträt: Marcel Wrzesinski, Fotografin: Franziska Cagic©

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