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Am 28. Juni veröffentlichten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine von einer Arbeitsgruppe erarbeitete Stellungnahme „Social Media und Wissenschaftskommunikation – Analyse und Empfehlungen zum Umgang mit Chancen und Risiken in der Demokratie“.

Darin enthalten sind Empfehlungen an verschiedene Adressaten, etwa eine stärkere rechtliche Regulierung von Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen durch die Politik oder der Aufbau einer redaktionell unabhängigen Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform, die zum Teil kontrovers diskutiert wurden.

Bedeutungsverlust klassischer Intermediäre

Massenmedien, die mit ihren Redaktionen als Intermediäre und Qualitätsprüfer fungieren, haben ihre frühere Vormachtstellung verloren, während Social-Media-Plattformen wie etwa Facebook, Twitter und YouTube oder auch wissenschaftsspezifische wie ResearchGate eine große Bedeutung gewonnen haben. Da Social Media die direkte Kommunikation – potentiell – aller Gesellschaftsmitglieder ermöglicht, kann heute im Prinzip jede Person mit geringem Aufwand ohne redaktionelle Filter die Rolle des Kommunikators in der öffentlichen Kommunikation übernehmen.

Innerhalb der Wissenschaft werden Social Media-Plattformen je nach Disziplin und Funktion sehr unterschiedlich für die Erweiterung und Beschleunigung der Kommunikation eingesetzt. Für die externe Wissenschaftskommunikation (mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, darunter Politik, Wirtschaft und Medien) gibt es durch Social Media heutzutage direktere Kanäle, die es über die Information hinaus ermöglichen, Feedback oder Rückfragen direkt zu erhalten. So können zum Teil Öffentlichkeiten erreicht werden, die bislang nur schwierig anzusprechen waren, und auch direkt an der Wissenschaft mitwirken.

Allerdings – wird in der Analyse konstatiert – sei der zunächst von der Nutzung von Social Media erhoffte Effekt einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft und auch einer engeren Beziehung zwischen Wissenschaft und Bevölkerung mittlerweile einer gewissen Ernüchterung gewichen, etwa aufgrund von Hasskommentaren und Falschinformationen. Für Laien ist es zudem schwierig, „Pseudoscience“ zu erkennen, die sich nun aufgrund der nicht mehr so dominanten Stellung von journalistischen Qualitätsgatekeepern in den sozialen Medien leichter ausbreiten könne. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen Fach- und Publikumsöffentlichkeit und es ist nicht immer direkt erkennbar, wer aus welcher Rolle heraus kommuniziert.

Abbildung: Vielfalt und Struktur von Social Media (ohne Gewichtung der jeweiligen Bedeutung), Quelle: ethority 2016

Risiken von Social Media dominieren die Stellungnahme

Zwar werden in der Stellungnahme auch eine Reihe von Chancen von Social Media gesehen, wie die schnellere, persönlichere und teilweise auch emotionalere Kommunikation, der stärkere wechselseitige Austausch und die potentiell mögliche neue Dialogkultur zwischen Expertinnen und Experten sowie Laien. Den Risiken sozialer Medien wird jedoch mehr Raum eingeräumt. Dazu gehören:

  • Da die großen Social-Media-Anbieter wie Facebook Inhalte nach nicht transparenten Regeln bereitstellen, könnte dies ein Glaubwürdigkeitsproblem für diejenigen darstellen, die dort Inhalte veröffentlichen.
  • Die Beteiligung an Medien, die keine spezifischen Selektionsprogramme kennen, erfordere von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besondere kommunikative Kenntnisse und Kompetenzen, über die viele nicht verfügen würden.
  • Kommunizierte Inhalte könnten durch eine unmittelbare Kommentierung entwertet werden, und es könnten dann nur noch schwer Korrekturen vorgenommen werden. Zudem bestehe jederzeit die Gefahr eines Shitstorms oder dass aus Versehen oder gezielt Falschinformationen verbreitet werden sowie der Dominanz von Social Bots in der Debatte.
  • Die teilweise entstehenden „Echo Chambers“ in sozialen Medien könnten den potenziellen Demokratisierungseffekt zunichtemachen und ins Gegenteil verkehren.

Empfehlungen für verschiedene Zielgruppen

Aus den Analysen der Stellungnahme wurde eine Reihe von Empfehlungen für verschiedene Adressaten wie die Wissenschaft, Bildungseinrichtungen und die Forschungspolitik abgeleitet. Folgende erscheinen aus dem Blickwinkel von Open Science und Bibliotheken dabei am relevantesten:

  • Fehlanreize verhindern, geeignete Indikatoren erforschen
    Wissenschaftsorganisationen und Fördereinrichtungen sollten darauf achten, dass keine falschen Anreize für die Kommunikation von Forschungsergebnissen, etwa durch Aufmerksamkeits- oder Reichweitenkennzahlen, gesetzt werden. Zugleich sollte die Forschung intensiv gefördert werden, die sich mit der Entwicklung von sensiblen Indikatoren für ein verantwortungsvolles Kommunikationsverhalten beschäftigt.
  • Schulungsangebote für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
    Spezifische Schulungsangebote sollten interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Wege in die klassischen Medien und die Social-Media-Nutzung erleichtern, ohne einen Zwang dafür zu schaffen.
  • Verhaltenskodex entwickeln
    Eine Arbeitsgruppe sollte gemeinsam mit den verschiedenen Akteuren und unter Einbeziehung der Social Media Community Vorschläge für einen qualitätsorientierten Verhaltenskodex (Code of Conduct) entwickeln, der für Informationen im Web und insbesondere für Social Media als Grundlage dienen soll. Teil des Code of Conduct sollten unter anderem Vorgaben zur Sicherung der Transparenz sein, wie die Deklaration von Interessenbindungen beziehungsweise -konflikten, beruflicher Anbindungen, Finanzierung und die Angabe von Quellen.
  • Rollentransparenz sicherstellen
    Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden ermuntert, sich als Expertinnen und Experten öffentlich zu positionieren. Besonderes Augenmerk legen die Autorinnen und Autoren darauf, dass sie dabei ihre jeweilige Rolle (zum Beispiel Expertin, Lehrende oder Privatperson) transparent machen und verantwortungsvoll mit den Ressourcen zeitlicher und finanzieller Art umgehen, die ihnen neben Forschung und Lehre zur Verfügung stehen. Wie die Rollentransparenz allerdings in die Praxis umgesetzt werden könnte, etwa bei extrem kurzen Texten in Messengern oder Tweets, beantwortet die Stellungnahme nicht.
  • Digitale Medien- und Quellenbewertungskompetenz massiv fördern
    Gefordert werden massive Maßnahmen zum Erwerb und zur Verbesserung digitaler Medien- und Quellenbewertungskompetenz in Schulen und Hochschulen, Aus-, Fort- und Weiterbildung. Gegenstand sollte dabei auch sein: ein Raster zur Bewertung von Informationen und Intermediären und das Verständnis der Funktionsweisen und Auswahlprinzipien digitaler Medien. Auch sollten Aspekte des Daten- und Persönlichkeitsschutzes in diesem Zusammenhang eine größere Rolle spielen als bislang.

Auswirkungen digitaler Medien auf Wissenschaftskommunikation stärker erforschen

Ein erheblicher weiterer Forschungsbedarf zu den Funktionsweisen und Auswirkungen der digitalen Medien auf die Wissenschaftskommunikation wird von der Arbeitsgruppe gesehen, und sie hat dazu einen Themenkatalog vorgelegt.

Open Science: untergeordnete Rolle oder potentielle Gefahr?

Ganz deutlich wird das Verhältnis zu Open Science nicht in der Stellungnahme: Durch Social Media wird demnach zum einen die Beteiligung an Forschung (Citizen Science) und die Finanzierung von Forschung (Crowdsourcing) erleichtert. Dadurch dass Phasen des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns (Open Science) und der journalistischen Produktion (Open Journalism) unter Nutzung sozialer Medien transparent gemacht werden, die bislang geschützt vor den Blicken der Öffentlichkeit stattfanden, wird in der Stellungnahme einerseits ein Partizipations- und Transparenzgewinn gesehen. Andererseits wird der Verlust einer flächendeckenden Qualitätsprüfung befürchtet, die bislang in der Wissenschaft durch Peer Review und im Journalismus in Redaktionen vorgenommen wurde beziehungsweise wird. Werden jedoch die Vermittlungs- und Auswahlleistungen nicht mehr ausschließlich von professionellen Publikums- und Fachmedien erbracht, sondern mischen dabei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Open Access, Open Peer Review) und das Publikum (Citizen Journalism) selbst mit, oder übernehmen Algorithmen dies, so schwingt in der Stellungnahme mit, dass zunächst veröffentlichte falsche oder noch ungesicherte Informationen langfristig das kollektive Gedächtnis dominieren könnten.

An anderer Stelle wird dargelegt, dass Wissenschaftskommunikation drei grundlegende Funktionen oder Motive verfolgen würde: Bildung und Aufklärung, Legitimation sowie Aufmerksamkeitsbeschaffung. Bei dieser Feststellung scheint in den Hintergrund geraten zu sein, dass Wissenschaftskommunikation etwa im Kontext von Open Science aus ganz anderen Motiven geschehen kann: beispielsweise wenn einzelne Forscherinnen und Forscher den Austausch suchen, um wissenschaftliche Erkenntnisse voranzubringen, den wissenschaftlichen Diskurs zu fördern oder um Mitwirkende für Citizen-Science-Projekte zu gewinnen.

Überwiegen die Risiken – oder wie lässt sich das Potential für die Wissenschaft nutzen?

Die Stellungnahme stellt alles in allem eher die Nachteile in den Vordergrund. Sie differenziert nicht zwischen den verschiedenen sozialen Medien beziehungsweise blendet manche Arten von Medien anscheinend aus (Messenger beispielsweise). Eine differenzierte Betrachtung wäre hier hilfreich. Ebenso wie der Versuch, geeignete Maßnahmen zu finden, jenseits von den in der Stellungnahme prominenten Forderungen nach Regulation, die es ermöglichen, Risiken abzufedern und doch von den Potentialen des Internets zu profitieren.

Weiterführende Informationen

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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