ZBW MediaTalk

von Kristin Biesenbender und Ralf Toepfer

Auf den Open-Access-Tagen 2023, die Ende September an der FU Berlin stattfanden, haben Kristin Biesenbender und Ralf Toepfer aus der ZBW ausgewählte Ergebnisse ihrer neuen Untersuchung im Rahmen einer Poster-Session vorgestellt und mit den Teilnehmenden der Tagung diskutiert. Ihre Studie befasst sich mit dem Wandel des Publikationsverhaltens von Forschenden in den Lebenswissenschaften.

Worum geht es?

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gab es insbesondere in den Lebenswissenschaften eine regelrechte Flut an Vorabveröffenlichungen (Preprints) von Manuskripten, die auf sogenannten Preprint-Servern Open Access zugänglich gemacht wurden (Fraser, N., Brierley, L., Dey, G., Polka, J. K., Pálfy, M., Nanni, F., & Coates, J. A. (2021). The evolving role of preprints in the dissemination of COVID-19 research and their impact on the science communication landscape. PLOS Biology, 19(4) und Puebla, I., Polka, J., & Rieger, O. Y. (2022). Preprints: Their Evolving Role in Science Communication. Against the Grain (Media), LLC). Grund war das dringliche Anliegen, die Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Virus und der Entwicklung von Impfstoffen schnell öffentlich zu machen. Viele Forschende nutzten die Vorabveröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse, um die oftmals langwierigen Veröffentlichungsprozesse der traditionellen Fachzeitschriften zu umgehen. Ermöglicht wurde dies durch Preprint-Repositorien wie zum Beispiel bioRxiv, medRxiv oder auch Research Square, die vor der Pandemie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nur langsam angenommen worden waren.

Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie kam es ab April 2020 zu einem rapiden Anstieg an Preprints auf diesen Repositorien (Fraser, Brierley et al., 2021). Anders als in den Wirtschaftswissenschaften oder der Physik, in denen eine ausgeprägte Preprint-Kultur existiert, war dies für die Lebenswissenschaften ein neues Phänomen. Wir wollten herausfinden, ob es sich bei dem Anstieg von Preprints in den Lebenswissenschaften um ein einmaliges, quasi krisenbezogenes, Phänomen handelt oder um den Beginn eines dauerhaften (Kultur-)Wandels des Publikationsverhaltens der Forschenden.

Was haben wir gemacht?

Um unsere Forschungsfrage zu untersuchen, ob es sich bei dem beobachtbaren Zuwachs an Preprints um ein temporäres Phänomen handelt oder den Beginn eines dauerhaften Wandels des Publikationsverhaltens der Forschenden, haben wir zunächst eine Umfrage durchgeführt und diese dann mit einer bibliometrischen Output-Analyse unterfüttert.

Den Fragebogen der Umfrage, der 25 Fragen zu Erfahrungen, Motivation, Bedenken, der Rolle von Forschungsförderern und zukünftigen Entwicklungen enthielt, wurde an 24.219 Autor:innen von COVID-19-Preprints versandt, von denen wir 1.131 vollständig ausgefüllte Antworten erhielten. Auf unserem Poster auf den Open-Access-Tagen haben wir die Antworten zu zwei Fragen dokumentiert, die Hinweise auf das zukünftige Veröffentlichen von Preprints liefern.

In der bibliometrischen Outputanalyse haben wir die Anzahl von COVID-19- und Nicht-COVID-19- Preprints der Jahre 2020-2022 von acht Repositorien mit Hilfe der Datenbank Dimensions verglichen.

Was ist rausgekommen?

Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen, dass 67% der Befragten der Aussage zustimmen, dass die Vorabveröffentlichung von Forschungsergebnissen in Form von Preprints auch zukünftig eine gängige Praxis sein wird. Von den Befragten gaben 56% an, dass sie einige ihrer Arbeiten auch zukünftig als Preprints veröffentlichen werden und 23% gaben sogar an, alle ihrer Arbeiten in Zukunft als Preprints öffentlich zu machen.

Figure 1: “What do you think of the following statements?” (n=1,131)

Figure 2: “Do you intend to post your scholarly work on preprint servers in the future?”

In der bibliometrischen Outputanalyse fanden wir heraus, dass die Anzahl der COVID-19-Preprints in den Jahren 2020 bis 2022 kontinuierlich abnahm, während die Anzahl der NICHT-COVID-19-Preprints im gleichen Zeitraum zunahm.

Figure 3: Preprints count 2020 – 2022

Figure 3: Covid-19 preprints (n=73,839)

Figure 3: Non-covid-19-preprints (n=1,122,456)

Obwohl es für ein abschließendes Urteil sicherlich noch zu früh ist, lässt sich bereits jetzt festhalten, dass COVID-19 zu einem signifikanten Anstieg der Anzahl an Preprints geführt hat und es erste Anzeichen dafür gibt, dass sich Preprints als Publikationsart in den Lebenswissenschaften etabliert haben. Die seit Jahrzehnten in den Lebenswissenschaften befolgte „Ingelfinger-Regel“, die sicherstellen soll, dass medizinische Forschungsberichte zunächst einem Peer Review unterzogen werden sollten, bevor sie veröffentlicht werden, wird demnach heutzutage nicht mehr streng ausgelegt und tritt zugunsten einer raschen Bekanntmachung von Forschungsergebnissen in den Hintergrund.

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Weiterführende Informationen:

Über die Autor:innen:
Kristin Biesenbender ist Leiterin der Abteilung Wirtschaftsdienst | Intereconomics und stellvertretende Chefredakteurin des Wirtschaftsdienst an der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft sowie Doktorandin an der Universität Hamburg im Bereich Soziologie, insbesondere Wissenschaftsforschung.

Ralf Toepfer arbeitet in der Abteilung Publikationsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, in der er u.a. disziplinspezifische Services für das Management wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsdaten betreut, Publikationsanalysen im Kontext der Open –Access-Transformation erstellt und beim Aufbau der Open Library Economics (OLEcon) unterstützt. Er ist auch auf Mastodon zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied

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