ZBW MediaTalk

von Olaf Siegert

COVID-19 hat nicht nur einen wichtigen Einfluss auf das tägliche Leben, sondern auch auf unsere professionelle Arbeit als Forschende und Dienstleister:innen. Trends zur zunehmenden Digitalisierung des gesamten Forschungsprozesses, insbesondere durch Online-Konferenzen und -sitzungen, haben die Dynamik der Interaktion von Forschungsteams verändert. Die Veränderungen bei den Publikationsmodellen wurden auch durch den einzigartigen Schock der Pandemie für das Wissenschaftssystem vorangetrieben. Aber gibt es Unterschiede im Publikationsverhalten in verschiedenen Forschungsdisziplinen, z.B. in den Wirtschaftswissenschaften?

Ausgehend von diesen Fragen organisierte die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft einen virtuellen Workshop, um aktuelle Studien vorzustellen, die diese Veränderungen im Publikationsverhalten in Reaktion auf COVID-19 thematisieren und untersuchen. So kamen im September 2021 mehr als 50 Teilnehmer:innen zu einem produktiven Gedankenaustausch zusammen.

Die sieben Präsentationen des Workshops waren in zwei thematische Sitzungen gegliedert, an die sich eine offene Diskussion mit allen Teilnehmer:innen anschloss. In der ersten Sitzung ging es um allgemeine Trends im Publikationsverhalten von Forscher:innen in den Wirtschaftswissenschaften. Die zweite Sitzung befasste sich hauptsächlich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden im Publikationsverhalten, d. h. mit den Unterschieden in der Produktivität von Frauen und Männern während der Corona-Krise und mit der Frage, wie diese mit den unterschiedlichen Belastungen zusammenhängen, denen Frauen und Männer ausgesetzt sind (z. B. Kinderbetreuung während des Lockdowns). Die Auswirkungen von COVID-19 auf die Rolle von sozialen Medien und Peer Review im wissenschaftlichen Publikationswesen und ihre allgemeinen Auswirkungen auf das akademische Reputationssystem wurden am Ende des Treffens mit allen Workshopteilnehmer:innen diskutiert.

Allgemeine Trends im Publikationsverhalten während der Corona-Krise

Die erste Sitzung begann mit einem Vortrag von Klaus Wohlrabe (ifo Institut München) zum Thema “Der Einfluss von COVID-19 auf das Publikationsverhalten in den Wirtschaftswissenschaften – Bibliometrische Evidenz aus fünf Working-Paper-Reihen” (PDF). In seinem Vortrag analysiert Wohlrabe, wie die Pandemie das Publikationsverhalten in den Wirtschaftswissenschaften beeinflusst hat. Er betrachtete Artikel, die in fünf Arbeitspapierreihen (NBER, CEPR, IZA, CESifo und MPRA) veröffentlicht wurden, um Fragen zu beantworten wie: “In welchen Bereichen der Wirtschaftswissenschaften wurden COVID-19-bezogene Studien veröffentlicht?” oder “Wurden COVID-19-Beiträge im Vergleich zu anderen Wirtschaftspapieren häufiger heruntergeladen?”.

Der zweite Referent war Nicholas Fraser (ZBW) mit einer Präsentation seines Beitrags “Veröffentlichung von Working Papers während der COVID-19-Pandemie: eine Umfrage unter Wirtschaftswissenschaftler:innen”. Er verglich Repositorien aus verschiedenen Disziplinen (z.B. SSRN, RePEc, BioRxiv und medRxiv), um die Veränderungen im Publikationsverhalten, z.B. hinsichtlich des Publikationsoutputs, zu analysieren.

Danach sprachen Emilia Di Lorenzo (Universität Neapel Federico II, Italien), Gabriella Piscopo (Universität Neapel Federico II, Italien) und Marilena Sibillo (Universität Salerno, Italien) über ihr Papier “Wirtschaftswissenschaften während der Pandemie und danach: neue Forschungstrends” (PDF). Sie konzentrierten sich auf die Entwicklungen der Forschung in den Versicherungswissenschaften, basierend auf einer bibliometrischen Analyse der Web-of-Science-Datenbank.

Die letzte Referentin der ersten Sitzung, Kristin Biesenbender (ZBW), stellte erste Ergebnisse ihrer Doktorandenstudie “Publikationsverhalten deutscher Wirtschaftswissenschaftler:innen angesichts der COVID-19-Pandemie” auf der Grundlage von EconBiz-Daten vor. Gezeigt wurden die möglichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Publikationsformate, Internationalisierung, Ko-Autorenschaft und Open Access. Der Fokus lag dabei auf der Frage, ob es einen Unterschied macht, ob ein:e Forscher:in am Anfang seiner:ihrer wissenschaftlichen Karriere steht oder bereits etabliert ist.

Geschlechterunterschiede im Publikationsverhalten während der Pandemie

Der erste Vortrag in der zweiten Hälfte des Workshops kam von vier Forschenden der Universität Cambridge, nämlich Noriko Amano-Patiño, Elisa Faraglia, Chryssi Giannitsarou und Zeina Hasna zu “Die ungleichen Auswirkungen von COVID-19 auf die Forschungsproduktivität von Wirtschaftswissenschaftler:innen”. Sie verwendeten hauptsächlich Daten aus den NBER- und CEPR-Working-Paper-Reihen, um Veröffentlichungsmuster zu untersuchen. Sie fanden unter anderem heraus, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf der mittleren Karrierestufe besonders deutlich sind.

Die zweite Referentin war Tatyana Deryugina (University of Illinois, USA) zu “Geschlechterdisparitäten und COVID-19”. In ihrer Umfrage unter Akademiker:innen verschiedener Fachrichtungen stellte sie fest, dass alle Akademiker:innen einen beträchtlichen Anstieg des Zeitaufwands für Kinderbetreuung und Hausarbeit zu verzeichnen hatten, wobei der Anstieg bei Frauen noch größer war. Dies führte auch zu einer Verringerung der für die Forschung verfügbaren Zeit im Vergleich zu Männern und zu Frauen ohne Kinder.

Illustration zum Workshop “The Impact of Covid-19”, Detail, Helge Windisch

Simone Chinetti von der Universität Salerno (Italien) stellte seine jüngste Arbeit “Akademische Produktivität und die Pandemie – Erkenntnisse von Wirtschaftswissenschaftler:innen während der COVID-19-Krise” vor. Er untersuchte, wie sich die derzeitige Pandemie auf die Produktivität von Wirtschaftswissenschaftlerinnen auswirkt, einschließlich der plötzlichen Zunahme der von Frauen zu leistenden Hausarbeit und Kinderbetreuung aufgrund von Schulschließungen und sozialen Distanzierungsmaßnahmen. Seine Datenstichprobe stammte aus SSRN-Papieren, die zwischen Januar und November 2020 veröffentlicht wurden. Er stellte fest, dass die Zahl der hochgeladenen Beiträge von Wirtschaftswissenschaftlerinnen im Vergleich zu denen ihrer männlichen Kollegen zurückging.

Diskussion über die Veränderungen des Publikationsverhaltens in Zeiten der Pandemie

Die dritte Sitzung des Workshops war eine offene Diskussion unter den Teilnehmer:innen, die von Isabella Peters (ZBW) geleitet wurde. Folgende Fragen wurden diskutiert:

  • Werden Forschungsergebnisse verstärkt über die sozialen Medien (z.B. Twitter) oder über andere Online-Medien (z.B. in Blogs, News-Artikel) geteilt?
  • Wie ist der Modus und welche Rolle spielt Peer Review bei der Veröffentlichung in einer Pandemie? Gibt es Erfahrungen mit anderen Formaten von Peer Review (z. B. Rapid Reviews, Open Peer Reviews, Open Review Reports)?
  • Wie hat sich die Pandemie auf das wissenschaftliche Reputationssystem in den Wirtschaftswissenschaften ausgewirkt? Welche Positionen und Ansätze gibt es von Fachgesellschaften, Universitäten oder Forschungsfördernden?

Zusammenfassend führte der Workshop zu diesen vier zentralen Schlussfolgerungen:

  1. COVID-19 hat inzwischen zu einem starken Anstieg der Publikationsaktivität geführt, was sich vor allem an der Zahl der veröffentlichten Preprints (in den Wirtschaftswissenschaften meist “Working Papers” genannt) zeigt. Allerdings handelte es sich dabei offenbar um einen temporären Effekt, der sich vor allem im Frühjahr/Sommer 2020 bemerkbar machte und inzwischen wieder abgeklungen ist.
  2. Die Pandemie selbst war ein sehr starkes Thema in wirtschaftswissenschaftlichen Preprints – rund 15% aller Publikationen, die seit Beginn der Corona-Krise erschienen sind, beschäftigen sich auch damit. Auch hier war der Effekt im Jahr 2020 stärker und nimmt nun langsam wieder ab. COVID-19-bezogene Beiträge wurden auch mehr genutzt, d.h. heruntergeladen und zitiert.
  3. Bezogen auf das Geschlecht war bei Männern vorübergehend eine stärkere Publikationsaktivität als bei Frauen zu beobachten. Der Einbruch bei den Frauen zeigte sich vor allem bei Müttern von Kleinkindern, die besonders von Schließungen und Home Schooling betroffen waren. Auch hier scheint der Effekt nun abzunehmen.
  4. Was das Ansehen in den Wirtschaftswissenschaften betrifft, scheint COVID-19 keine größeren Auswirkungen zu haben. Die Pandemie hat vor allem das Publikationsverhalten bei den Preprints positiv beeinflusst – die Bedeutung von Zeitschriftenrankings und das Einreichungsverhalten bei Zeitschriften haben sich wenig oder gar nicht verändert.

Das detaillierte Workshop-Programm inklusive einiger Abstracts finden sich hier: zum Workshop-Programm.
Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

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Über den Autor:

Olaf Siegert leitet die Abteilung Publikationsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und engagiert sich als ihr Open-Access-Beauftragter. Für die Leibniz-Gemeinschaft repräsentiert er den Leibniz-Arbeitskreis Open Access in externen Gremien: So ist er bei der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in der AG Wissenschaftliches Publikationssystem und bei Science Europe für die Leibniz-Gemeinschaft aktiv.
Porträt: ZBW©

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