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von Doreen Siegfried

Welchen Innovationsschub in Richtung Digitalisierung hat der Coronavirus in Bibliotheken auf der ganzen Welt ausgelöst? Wie war der Stand der Digitalisierung zu Beginn der Corona-Pandemie? Was war die größte Herausforderung für Infrastruktureinrichtungen? Wie wurden sie gelöst? Was war Ihr Highlight? Was ist der größte “Life-Hack”, den eine Einrichtung aus der Corona-Krise im Bereich der Digitalisierung mitgenommen hat? Und was haben Sie daraus gelernt?

Diese und weitere Fragen haben wir kürzlich den Partner:innen aus dem internationalen EconBiz-Netzwerk gestellt. Acht Infrastruktureinrichtungen aus Singapur, Frankreich, Deutschland, den USA, Dänemark, Malaysia und der Türkei haben uns in dem ausführlichen Überblick ihre Erfahrungen und wichtigsten Learnings aus der Pandemie geschildert: Digitalisierung in Bibliotheken: Inwiefern hat Corona einen Schub gegeben? Heute stellen wir in einem Kurzbericht die fünf wichtigsten Trends und Learnings aus dem Netzwerk vor, die sich sicher auch überall anders auf der Welt wiederfinden lassen.

Learning #1: Virtuelle Zusammenarbeit erleichtert standortübergreifende Kooperation

Digitale Kommunikationstechnologien haben die Teamarbeit in wissenschaftlichen Bibliotheken grundlegend verändert. Es sind weltweit neue Verhaltensmuster entstanden. Virtuelle Meetings, Break-Out-Sessions, Diskutieren mit Höflichkeitspausen, Chats und das Arbeiten mit Distanz sind erlernt und gehören jetzt zum Standardrepertoire der Zusammenarbeit in Bibliotheken.

Die Aarhus University Library / Royal Danish Library beispielsweise mit ihren 900 Mitarbeiter:innen, die über verschiedene Standorte in Dänemark verteilt sind, hat den sozialen Abstand zwischen den Zweigstellen durch digitale Tools nachhaltig verringert. Durch das virtuelle Arbeiten mit Videokonferenzsystemen sind die Beschäftigten zusammengewachsen und werden nicht mehr auf die neuen Werkzeuge verzichten. Susanne Dalsgaard Krag, Library Manager, schreibt:

„Die Pandemie hat uns gelehrt, abteilungsübergreifend und landesweit auf eine Art und Weise zusammenzuarbeiten, die wir uns nie hätten vorstellen können. Man kann viele verschiedene Dinge nennen, die wir während der Pandemie gelernt haben, aber ich denke, das ist einer der größten Vorteile und etwas, das wir in die Welt nach der Pandemie mitnehmen werden, auf die wir uns alle freuen.“

Learning #2: Investitionen in Personalentwicklungen zahlen sich aus

Was weltumspannend allen EconBiz-Partner:innen deutlich geworden ist: Wir leben in einer neuen Zeit. Es gibt auch kein Zurück in eine Prä-Corona-Ära. Arbeiten nach vorgefertigten Workflows ist gestrig. Was die Bibliotheken vorangebracht hat, waren kreative Mitarbeiter:innen mit der Fähigkeit, sich schnell mit immer wieder neuen Rahmenbedingungen abzufinden und diese Unstetigkeit zu akzeptieren. Dieses Bewusstsein für das Arbeiten und Leben in einer VUCA-Welt, d.h. einer Welt bestimmt durch volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit), wird auch in einer Post-Corona-Zeit das Personalmanagement in wissenschaftlichen Bibliotheken bestimmen.

Rajen Munoo, Head of Learning and Engagement at Singapore Management University Libraries, streicht heraus:

„Unser größter “Life Hack” war die Weiterbildung – um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter:innen mit digitalen Fähigkeiten “geimpft” wurden, um widerstandsfähig und agil zu sein, indem wir ihnen Möglichkeiten zum Lernen, Verlernen und Umlernen durch kontinuierliche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten in dieser VUCA-Welt boten.“

Corey Seeman, USA, University of Michigan, Kresge Library Services, resümiert:

„Die Bibliotheken werden am Ende dieser Pandemie die Wahl haben, die eingeführten Änderungen beizubehalten oder zu ihren bisherigen Gewohnheiten zurückzukehren. Der Weg in die Zukunft wird wahrscheinlich eine Kombination aus beidem sein, aber es ist wichtig, diese Veränderungen als einen Weg zu einer moderneren Bibliothek anzunehmen.“

Learning #3: Gute Netzwerke sind entscheidend für schnelle und stabile Lösungen

Seit dem Ausbruch der Pandemie müssen die Einrichtungen ständig neue Lösungen erarbeiten, um Hygienevorschriften und Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten. Dazu treten sie nicht nur mit den Behörden, sondern auch mit den anderen Einrichtungen auf dem Campus oder in der Welt in den Dialog. Wer hier gut vernetzt ist, kann unkompliziert und einfach zu gemeinsamen Lösungen finden. Rajen Munoo von den Singapore Management University Libraries, erörtert:

„Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie und den sich ständig ändernden Richtlinien verschiedener Behörden lag unsere Priorität in der Zusammenarbeit mit den Partner:innen auf dem Campus, um die Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen einzuhalten.“

Learning #4: Empathie für Nutzer:innen macht kreativ

Wer sich empathisch mit den Bedarfen und Wünschen von Nutzer:innen auseinandersetzt, findet auch kreative Lösungen. Dies legt zumindest eine Studie der University Cambridge nahe. Auch die Erfahrungen der EconBiz-Partner:innen zeigen auf, dass dort kreative Lösungen gefunden werden, wo sich die Bibliotheken mit Mitgefühl für die Ängste und Unsicherheiten von Studierenden interessieren, sei es für Erstsemester oder fortgeschrittene Studierende. In Singapur beispielsweise setzten die Bibliotheken “Peer Advisor” ein, um mit einem Peer-to-Peer-Lernprogramm die Ängste der neuen Studierenden, die zum ersten Mal ein Online-Semester absolvierten, zu zerstreuen.

Christine Okret-Manville von der Université Paris Dauphine-PSL in Frankreich schreibt:

„Um unseren Leser:innen zu helfen, das Beste aus all diesen Ressourcen zu machen, stellten wir eine Reihe von Tutorials zum Selbststudium online (zweisprachig) zur Verfügung. Wir richteten schnell virtuelle Schulungen ein. […] In dieser schwierigen Zeit mussten wir ein besonders unterstützendes Verhalten untereinander an den Tag legen, um die Anpassung an die ungewohnten Arbeitsbedingungen schnell zu bewältigen. Dennoch gab sie uns die Möglichkeit, unsere Dienstleistungen zu erweitern und zu diversifizieren, indem wir die Digitalisierung dort einführten, wo wir sie noch nicht genug oder gar nicht nutzten, und uns neue Anhaltspunkte für die Ausweitung unserer Tätigkeit suchten.“

Auch Corey Seeman von der Kresge Library aus Michigan kann neuen digitalen Lösungen über den aktuellen Lockdown hinaus etwas abgewinnen:

„Bibliothekseinweisungen und -beratungen via Zoom werden wahrscheinlich fortgesetzt. Eine der Herausforderungen, die wir hatten, ist es, einen Raum zu finden, der für Meetings geeignet ist. Durch die Nutzung von Zoom entfällt diese Notwendigkeit größtenteils.“

In einer von der Koç University (Türkei) organisierten internationalen Online-Poster-Session wurden viele Ideen präsentiert, wie man mit Beschäftigten aber auch mit Studierenden in Kontakt bleiben kann – von Motivationsmails bis zur Online-Tier-Therapie, einer Session mit diversen Haustieren.

Learning #5: Digital first zahlt sich messbar aus

Viele Bibliotheken aus dem EconBiz-Partnernetzwerk haben bereits vor dem Lockdown eine große Menge an elektronischen Ressourcen zugänglich gemacht. Getrieben durch COVID-19 verbesserten sie aber noch einmal ihre digitalen Dienste und fanden Lösungen für noch mehr zugängliche e-Medien. Christine Okret-Manville aus Paris:

„Unsere Priorität war es, den Umfang und die Verfügbarkeit unserer elektronischen Sammlung zu erweitern: Wir boten Fernzugriff auf die Finanzdatenbanken, die nur vor Ort verfügbar waren, testeten neue Lehrbuchdatenbanken und andere Quellen. Wir widmeten einen Bereich unserer Website den Ressourcen, die Verlage in dieser Zeit frei zugänglich gemacht haben.“

Auch Vasiliki Mole von der Koç University in der Türkei berichtet von erheblichen Anstrengungen, um zum einen den Studierenden den Zugriff auf elektronische Medien zu ermöglichen und um zum anderen für neue Möglichkeiten zu begeistern.

„Manchmal ist die Komfortzone jahrelanger alter Praktiken schwer zu überwinden, da sie eine etwas steife Akzeptanz für eine neue Perspektive schafft. Ein ziemlich schwieriges Thema, bei dem wir aber schließlich zu einem Punkt gekommen sind, an dem wir etwas ändern können, waren die traditionellen gedruckten Lehrbücher und deren Ersatz durch Online-Publikationen.“

Deborah Wallace von der Harvard Business School’s Baker Library (USA) hebt hervor, dass sich die Anstrengungen in ganz klaren Kennziffern auszahlen:

„Infolgedessen sind die Nutzungszahlen fast aller unserer Dienstleistungen und Informationsprodukte gestiegen. Zum Beispiel die Nutzung der Baker Library Website durch MBA-Student:innen +73% und Alumni +43%, die Datenbanknutzung +76%, Working Knowledge, die Leserschaft +51% und die Books@Baker -Teilnehmer:innen +90%.“

Die Erfahrungen der einzelnen EconBiz-Partner:innen im Detail können hier nachgelesen werden: Digitalisierung in Bibliotheken: Inwiefern hat Corona einen Schub gegeben?

Über das EconBiz-Partnernetzwerk:

Das EconBiz-Partnernetzwerk ist ein internationales Netzwerk von wirtschaftswissenschaftlichen Bibliotheken und Forschungsinstituten. Es verfolgt das Ziel, Studierende und Forschende weltweit besser bei ihrer Recherche nach wirtschaftswissenschaftlichen Fachinformationen zu unterstützen. Das Netzwerk fördert den Wissenstransfer und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern weltweit. Seine Mission ist es, Spitzenforschung in den Wirtschaftswissenschaften durch einfachen Zugang zu hochwertigen Fachinformationen in Kombination mit modernsten Suchfunktionen zu ermöglichen. Das Netzwerk hilft, den Service auf internationaler Ebene zu fördern und die Sichtbarkeit von Forschungsergebnissen und Konferenzen in allen Partnerländern zu erhöhen. Außerdem bietet es ein Forum für die Diskussion von Themen, die für die Partner:innen relevant sind. Über das Netzwerk können sowohl Antworten auf Fragen als auch Partner:innen für gemeinsame Projekte gefunden werden.

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Dieser Artikel ist auch im ZBW-Jahresbericht erschienen, in dem es u.a. um Forschungsdatenmanagement, Open Science und organisiertes Wissen geht: “open” – Der ZBW Jahresrückblick als PDF zum Download.

About the Author:

Dr. Doreen Siegfried ist die Leitung der Abteilung Marketing und Public Relations. Sie ist auch auf LinkedIn and Twitter zu finden.
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