Neue Studie des Stifterverbandes: Was gewinnen wir durch Open  Science und Open Innovation?

von Birgit Fingerle

Die Studie „Was gewinnen wir durch Open Science und Open Innovation? – Das Konzept der strategischen Offenheit und seine Relevanz für Deutschland“ wurde Ende Januar 2019 veröffentlicht. Sie entstand im Rahmen der Initiative für Offene Wissenschaft und Innovation des Stifterverbandes und wurde zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dem Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft und der Winnovation Consulting durchgeführt.

Die Studie zeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich enormen Aufholbedarf aufweist und eine strategische Öffnung des deutschen Forschungs- und Innovationssystems zu gesamtgesellschaftlichen Gewinnen und Standortvorteilen führen würde. Die Autoren beleuchten, wie eine strategische Öffnung von Wissenschaft und Innovation gelingen kann. Dafür haben sie erstmals ein Modell für strategische Offenheit entwickelt.

Die Studie gliedert sich in zwei grundlegende Teile. Im ersten Teil steht das Potenzial strategischer Öffnung im Zentrum, im zweiten Teil die politischen Rahmenbedingungen. Im zweiten Teil der Studie wird die Situation auf europäischer Ebene untersucht sowie in drei ausgewählten Ländern (Österreich, Großbritannien und Niederlande). Dies wird der Situation in Deutschland gegenüber gestellt. Am Ende stehen vier Handlungsempfehlungen für Deutschland.

Open Innovation und Open Science werden noch nicht gemeinsam gedacht

Der Bericht enthält im ersten Teil unter anderem eine bibliometrische Studie. Sie zeigt, wie sehr die Bereiche Open Science und Open Innovation in der wissenschaftlichen Literatur gewachsen sind und an Bedeutung gewonnen haben, wobei Open Innovation einen deutlich höheren Publikationsoutput aufweist.

Gleichzeitig zeigt sie, dass die zugehörigen wissenschaftlichen Diskurse systematisch getrennt voneinander verlaufen, obwohl es deutliche Parallelen, wie die Einbeziehung von Externen, zwischen beiden gibt. Dies weist darauf hin, dass beide Bereiche konzeptionell nur wenig miteinander verknüpft sind. Auf Basis der bibliometrischen Studie wird gezeigt, wie Open Science und Open Innovation zusammengedacht werden können.

Ein Modell für strategische Offenheit

Zur Strukturierung der unterschiedlichen Aspekte von Open Science und Open Innovation wird in der Studie ein neues Konzept der strategischen Offenheit vorgeschlagen. Dabei schaffen drei Dimensionen einen einheitlichen Rahmen für Open Science und Open Innovation: erstens „Inklusivität und Kooperation“, zweitens „Zugänglichkeit und Nachnutzung“, drittens „Transparenz und Überprüfung“.

Die Dimension der „Inklusivität und Kooperation“ bedeutet prinzipielle Bereitschaft zur Offenheit im Innovationskontext und die Einbindung neuartiger Akteure, zum Beispiel von Personen aus anderen Positionen, Sektoren oder Regionen. Hiervon werden positive Effekte wie die Erhöhung des Grads der Neuartigkeit, die Beschleunigung der Wissensproduktion, die Erhöhung der Problemlösungskapazität und die Intensivierung des Wissensaustausches erwartet.

Die zweite Dimension des Modells umfasst die „Zugänglichkeit und Nachnutzung“ und bezeichnet die Offenlegung von zuvor nur eingeschränkt zugänglichem Wissen (etwa von Daten) mit dem Ziel, dass dies zur wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Effizienzsteigerung beiträgt, da es so (leichter) verwertbar wird. Ein weiterer positiver Aspekt ist die erhöhte Sichtbarkeit der Akteure, was auch zur Überwindung von Wissenschaftsskepsis in der Zivilgesellschaft beitragen kann.

In der dritten Dimension, „Transparenz und Überprüfung“, wird thematisiert, wie Wissen generiert wurde. Die Offenlegung des Prozesses der Wissens¬generierung macht ihn nachvollziehbar und erhöht die Überprüfbarkeit für Außenstehende. Dies trägt zu einer gesteigerten Glaubwürdigkeit der Akteure sowie des von ihnen generierten Wissens bei.

Ambivalentes Bild: Große Fortschritte und geringe Kooperationsneigung in Deutschland

Betrachtet man die Situation in Deutschland entlang dieser drei Dimensionen, so zeichnet die Studie ein ambivalentes Bild. Deutschland weist ein weit ausdifferenziertes Forschungs- und Innovationssystem vor. Zudem sind neue Akteure und Verbünde einer digitalen Forschungs- und Innovationspolitik entstanden, die die Entwicklung befördern (zum Beispiel der Rat für Informationsinfrastrukturen, der Rat für Sozial- und WirtschaftsDaten (RatSWD), die Unternehmensvereinigung bitkom oder der Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0).

Insbesondere in der Wissenschaft wurden in der Dimension Zugänglichkeit im Bereich von Open Access große Fortschritte erzielt. Andererseits wird die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Typen von Forschungsaktivitäten in Deutschland immer unüblicher, wofür die Ursache in der Versäulung des Forschungssystems zu suchen ist. Sie bedeutet eine starke institutionelle Trennung in Grundlagen- und Anwendungsforschung sowie Produktentwicklung und führt dazu, dass dem Gesamtsystem wichtige Wertschöpfungspotenziale entgehen. Open Science und Open Innovation könnten auch hier Abhilfe schaffen.

Weitere strukturelle Probleme stehen der Verbreitung und damit auch der Ausnutzung des Potenzials in Deutschland entgegen. Hier ist die unzureichende, eher stagnierende Kooperationsneigung von Wissenschaft und Wirtschaft zu betrachten sowie die geringe Bereitschaft zur Integration unüblicher Wissengeber, obwohl diese die Chance bieten, neue Lösungen und Erkenntnisse zu schaffen, die stärker gesellschaftliche Werte und Nutzen berücksichtigen. Der geringe Anteil der kooperierenden KMU zeigt, dass eine wichtige Gruppe nicht am Innovationsprozess beteiligt ist, die aus gezielten Öffnungsstrategien am stärksten einen Nutzen ziehen könnte. Allerdings ist dies wenig verwunderlich, da zwei Probleme der Förderpolitik darin bestehen, dass die Förderprogramme insbesondere auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sowie von Großunternehmen ausgerichtet sind. Dienstleistungsbereiche und neue, digital gestützte Methoden des offenen Innovierens werden deutlich weniger systematisch gefördert.

Wie die Studie zeigt, stellt die Verbreitung und Förderung von offenen Wissenschafts- und Innovationsstrategien ein wichtiges politisches und gesellschaftliches Handlungsfeld dar. Deutschland spielt hier derzeit international keine führende Rolle und sollte daher gezielte Maßnahmen ergreifen, um das Forschungs- und Innovationssystem durch Öffnung und Weiterentwicklung von Förderprogrammen zu stärken, die eine vermehrte Nutzung des Potenzials offener Wissenschafts-und Innovationspraktiken fördern.

Vier Handlungsempfehlungen für die Umsetzung des Modells

Für die erfolgreiche Umsetzung ihres Modells der strategischen Offenheit definieren die Autoren vier Handlungsempfehlungen für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik:

  1. Entwicklung eines nationalen politischen Handlungsrahmens für strategische Offenheit: Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sollten Potenziale und Handlungsfelder in diesem Strategiebildungsprozess gemeinsam definieren.
  2. Erweiterung des nationalen Forschungs- und Innovationsmonitorings: Somit soll die Wirkung offenen Forschens besser gemessen werden können.
  3. Einbindung unüblicher Akteure in Forschungs- und Innovationsprojekte: Insbesondere geht es hier um die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Zudem ist die Integration von Nutzerorganisationen oder -repräsentanten in Gremien zur Beurteilung wissenschaftlicher Programme und Projekte interessant, um frühzeitig die Relevanz von Forschungsvorhaben zu validieren.
  4. Weiterentwicklung der Transferstrukturen zu Kooperationszentren: Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen nicht nur in die Wirtschaft und Gesellschaft getragen werden, sondern andersherum auch neue Forschungsfragen in die Wissenschaft transferiert werden. Wissenschaftliche Einrichtungen sind gefordert, ihre Absorptionsfähigkeit für externes Wissen weiterzuentwickeln und Open-Innovation-Kompetenzen aufzubauen, um sich zu Open-Innovation-Hubs mit großer Bedeutung weiterzuentwickeln und trotz der massiven Konkurrenz durch neue Akteure der Wissensgenerierung eine zentrale Position im Innovationsökosystem einzunehmen.
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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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