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wir sprachen mit Prof. Dr. Heike Neuroth

Prof. Dr. Heike Neuroth ist stellvertretende Vorsitzende von RDA Deutschland und Mitglied des Lenkungsausschusses von GO FAIR. Im Interview teilt sie ihre Einschätzung zur Förderung von FAIR Data und Open Science.
 

Liebe Frau Neuroth, aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im wissenschaftlichen Bereich, wie können ihrer Meinung nach gute wissenschaftliche Praktiken – mit Blick auf Forschungsdatenmanagement – aktuell gefördert werden?

Deutschland scheint mir schon ganz gut aufgestellt zu sein. Aktuell gibt es eine Reihe von Förderprogrammen, sowohl bei der DFG als auch beim BMBF. Hinzu kommt ja nun auch die gerade veröffentlichte Programmförderung für die Nationalen Forschungsdateninfrastruktur. Insgesamt wird damit in Deutschland, analog zu den europäischen und internationalen Ländern, seit über 10 Jahren sehr viel getan. Was sicherlich deutlich hinterherhinkt, ist der Bereich Lehre, Weiterbildung, Schulung und damit ein systematischer Einzug der guten wissenschaftlichen Praktiken im Umgang mit Daten. Es nutzt niemanden, wenn zahlreich befristet eingestellte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich im Rahmen eines drittmittelgeförderten Projekts Expertise im Bereich Forschungsdatenmanagement und FAIR aneignen, um dann irgendwann die akademische Welt wieder zu verlassen. Das ist nicht nachhaltig. Was wir brauchen sind dezidierte Studienprogramme im Bereich Datenmanagement, zusätzlich zu den gerade überall in Deutschland neu entstehenden Studiengängen in den Bereichen Data Science, Data Analyst, Data Engineer etc. Erst dann kann die wissenschaftliche Community in ihrem Alltag so unterstützt werden, dass auch die Vorteile zum Beispiel beim Teilen oder der Nachnutzung von Forschungsdaten gesehen werden können. Und dann kommen wir mit Hilfe von FAIR der Vision der European Open Science Cloud wirklich sichtbar näher.

Momentan werden zahlreiche Initiativen und Projekte aktiv und bearbeiten das Thema Forschungsdatenmanagement. Als stellvertretende Vorsitzende von RDA Deutschland und Mitglied des Lenkungsausschusses von GO FAIR – wie ergänzen sich RDA und die GO FAIR Initiative aus ihrer Sicht in Deutschland?

Der deutsche „Node“ der internationalen „Research Data Alliance – Research Data Sharing without barriers“ versammelt inter- und crossdisziplinäre Expertinnen und Expertinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen von Forschungsdaten. Diese Initiative läuft bereits seit einigen Jahren, die Europäische Kommission fördert ebenfalls seit Jahren EU-Projekte und in Deutschland gibt es nun offiziell seit Anfang 2018 einen deutschen Ableger, analog zu Initiativen in Frankreich, Österreich oder Finnland. Damit haben wir ein herausragendes Beispiel für den sogenannten „bottom-up“ Ansatz: ganze Fachdisziplinen und Communities wurden „engaged“, sich breit und tief mit verschiedenen Aspekten rund um Forschungsdaten und -management auseinander zu setzen. Die GO FAIR Initiative ist relativ jung und hat sich zum Ziel gesetzt, die FAIR-Prinzipien zu implementieren, das heißt mit Leben zu füllen und umsetzbar zu machen. Wir haben also auf der einen Seite weltweit eine dynamische und aktive Community und auf der anderen Seite konkrete FAIR-Prinzipien. Es wird sehr spannend zu sehen, wie schnell und aktiv die deutsche RDA-Community FAIR aufgreift, welche Erfahrungen jeweils gemacht werden und welche Empfehlungen für die zukünftige Implementierung – die unter anderem gezielt in den GO FAIR Implementierungsnetzwerken erfolgen wird – daraus erwachsen.

Der Aufbau einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) hat durch die bekannt gegebene Bund-Länder-Vereinbarung an Fahrt gewonnen. Welche Rolle kann GO FAIR aus ihrer Sicht beim Aufbau der NFDI spielen?

Mit dem Aufbau der NFDI haben wir sehr große Chancen in Deutschland, die FAIR-Prinzipien konkret umzusetzen, jede Fach-Community und jedes (potentielles) NFDI-Konsortium in der jeweiligen Geschwindigkeit und angepasst an die Fachkultur. Dabei sind spezielle Unterstützungsmaßnahmen von GO FAIR sicherlich hilfreich und willkommen. Darüber hinaus wäre es optimal, wenn GO FAIR die Etablierung der FAIR Prinzipien, insbesondere im Kontext der NFDI, in Deutschland koordinieren könnte, um sogenannte „Lessons Learned“ ableiten zu können, die dann wieder in europäische Diskussionen und Entwicklungen im Rahmen von EOSC (European Open Science Cloud) beziehungsweise auch international einfließen können. Auch wenn jedes FAIR-Kriterium für sich genommen sehr konkret ist, mag es doch von Fachdisziplin zu Fachdisziplin unterschiedliche Ansätze bei der Implementierung geben, die aus der jeweiligen Sicht der Fachkultur sinnvoll sind.

Darüber hinaus brauchen wir sicherlich eine, ich will es mal „überparteiliche“ Sichtweise oder Begleitforschung nennen, die sich mit Fragen beschäftigt wie: Wieviel fair ist fair? Was kostet es uns als Gesellschaft, alles (Dienste, Daten, Metadaten) fair bereitzustellen und verlieren wir dabei etwas? Wie kann ein Prozess hin zu Fairification jenseits der Fächerkulturen unterstützt werden, gibt es generische Dienste und (Schulungs-) Maßnahmen, die fair befördern? Diese Liste an Fragen ist natürlich nicht vollständig. Aber GO FAIR könnte hier den Kommunikations- und Diskussionsprozess anstoßen beziehungsweise begleiten. Konkrete Empfehlungen für darauffolgende Förderschwerpunkte oder Begleitforschung würden helfen, die Bedeutung und den Kulturwandel, der durch FAIR initiiert wird, besser zu verstehen und die Akzeptanz jenseits von Förderkriterien zu erhöhen. Wünschenswert wäre es auch, über die Grenzen der wissenschaftlichen Community hinweg relevante Stakeholder aus Industrie, Bürgergesellschaft etc. einzubeziehen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger erst ihre lokalen, städtischen Datenportale richtig nutzen können, wären sie zum Beispiel selbst in der Lage, sich ein Bild über bestimmte regionale Fragestellungen mit Hilfe optimal bereitgestellter Daten zu machen.

Parallel laufen auch länderübergreifend Anstrengungen – sowohl von wissenschaftlicher Seite beispielsweise auf der EU-Ebene mit der EOSC als auch von kommerzieller Seite, wie zum Beispiel Google Data Search. Welche Herausforderungen sehen sie für die Wissenschaft, sich mit ihren Angeboten hier durchsetzen zu können?

Ich glaube gar nicht mal so sehr, dass es hier um „durchsetzen“ geht. Natürlich müssen wir aufpassen, dass FAIR nicht bedeutet, dass auf Seiten der Wissenschaft Erkenntnisse und Ergebnisse zum Beispiel in Form wertvoller Forschungsdaten ohne Kosten nachgenutzt werden können, um einseitig zum Beispiel bessere Angebote in der Wirtschaft zu generieren. Ich fände es generell sinnvoller, wenn es hier zu Kooperationen auf Augenhöhe kommt. Google Data Search wird die NFDI nicht ersetzen und ihnen auch keine Konkurrenz machen. Und es ist nun mal so, dass die Wissenschaft in erster Linie an Publikationen (Artikel und Daten) interessiert ist, weil es DIE Währung in unserer Community darstellt. Und die Wirtschaft hat naturgemäß ein Interesse, den Gewinn durch gute Dienste zu maximieren. In diesem Spannungsfeld gibt es aber viele Themenfelder, die gemeinsam erforscht und entwickelt werden und somit beide Seiten profitieren können. Die digitale Datafizierung stellt uns alle vor große Herausforderungen, eine der größten dürfte in Zukunft zum Beispiel die Qualität und Vertrauenswürdigkeit von Erkenntnissen sein, die auf großen Datenmengen und deren (automatischer) Prozessierung beruhen.

Heike Neuroth ist W3-Professorin für Informationswissenschaften an der Fachhochschule Potsdam. Zuvor arbeitete sie von 1997 bis 2015 an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen als Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung. Während dieser Zeit war sie außerdem Mitarbeiterin der Max Planck Digital Library (MPDL) für die Max Planck Gesellschaft. Seit dem Start des Projekts TextGrid im Jahr 2005 ist sie an der Entwicklung digitaler Forschungsumgebungen beteiligt und seit 2008, dem Start des Infrastrukturprojektes DARIAH, an der Entwicklung digitaler Forschungsinfrastrukturen. Sie leitet verschiedene Projekte im Bereich digitale Geisteswissenschaften und Forschungsdaten(-management) und ist Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Expertengremien. Jüngst setzte sich Heike Neuroth für die Einrichtung des Masterstudiengangs „Digitales Datenmanagement“ als Kooperation zwischen der Fachhochschule Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) ein.

GO FAIR Initiative: Deutschland, Frankreich und die Niederlande haben die Initiative ergriffen, die Umsetzung der European Open Science Cloud (EOSC) und den „FAIR use of research data“ voranzutreiben. Sie sehen die GO FAIR Initiative als einen geeigneten Wegbereiter und haben ein Internationales Koordinierungs- und Unterstützungsbüro eingerichtet. Das Büro hat die Aufgabe, weltweit ein Netzwerk aus wissenschaftlichen Fachcommunities und Forschungsinfrastrukturen aufzubauen und die Akzeptanz und Anwendung der FAIR Prinzipien voranzubringen.

Die FAIR Prinzipien formulieren die Grundsätze, die die nachhaltige Wiederverwendbarkeit von Daten maximieren. FAIR steht für Findable, Accessible, Interoperable und Reusable. Ihre Anwendung gewährleistet den disziplinen- und länderübergreifenden Zugang zu Daten und ihre Nutzbarmachung.

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