Das Openness Profile von Knowledge Exchange: Was können Infrastruktureinrichtungen tun?

von Claudia Sittner

Knowledge Exchange (KE), ein kooperativer Zusammenschluss von sechs nationalen forschungsunterstützenden Organisationen in Europa, hat sich 18 Monate lang im Kontext der Forschungsevaluation für offene Wissenschaft mit der Entwicklung eines Openness Profile beschäftigt. Kürzlich wurde nun der finale Projektbericht “Openness Profile: Modelling research evaluation for open scholarship” veröffentlicht. In dem Prozess wurden 80 Personen aus 48 Organisationen eingebunden und befragt, die sich auf alle Ebenen des offenen wissenschaftlichen Ökosystems verteilen.

Bereits im Januar 2020 hatte die Gruppe einen Zwischenstand zum Konzept des Openness Profile veröffentlicht. Im Blogpost zu diesem Zwischenbericht haben wir uns damals angeschaut, was Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen daraus ableiten können.

Wir stellen das Konzept des Openness Profile kurz vor und werfen einen Blick darauf, welche Handlungsempfehlungen für Bibliotheken und Informationsinfrastrukturen interessant sein könnten, um offene Forschungspraktiken und deren Anerkennung zu fördern und somit die Open-Science-Community zu unterstützen.

Warum ein globales Openness Profile sinnvoll ist

Der Abschlussbericht bezieht sich letztlich auf ein bekanntes Problem offener Wissenschaft: offene Aktivitäten werden oft nicht sichtbar und nicht gewürdigt. Für die Karriereplanung für Forschende spielen sie deshalb im Grunde kaum eine Rolle. Dies betrifft auch Aktivitäten von zum Teil nicht-wissenschaftlichem Personal, die wichtig für offene Wissenschaft sind, aber im wissenschaftlichen Bewertungssystem gar nicht berücksichtigt werden. Dazu gehören beispielsweise das Kuratieren von Forschungsdaten, die Entwicklung von Infrastrukturen oder die Durchführung von Trainings für offene Praktiken. Das führt auch dazu, dass solche qualifizierte Fachkräfte – aus Mangel an Würdigung und von fehlenden Anreizen – aus dem wissenschaftlichen System in die Industrie oder in kommerzielle Bereiche abwandern.

Des Weiteren findet Wissenschaft zunehmend global und vernetzt statt. Damit sich eine offene Wissenschaft also final durchsetzen kann, bedarf es einer umfassenden globalen Reformierung des wissenschaftlichen Anreizsystem, bei dem mehr Akteur:innen und offene Aktivitäten eine (größere) Rolle spielen.

Offene Aktivitäten und Akteur:innen sichtbar machen: das Openness Profile

Hier setzt das Openness Profile an. Das Openness Profile ist eine Art Portfolio, das Aktivitäten im Bereich der offenen Wissenschaft (im Bericht wird statt Open Science der Begriff „open scholarship“ mit einem breiteren Verständnis verwendet) sichtbar macht und damit das Bewusstsein der wissenschaftlichen Community und aller Beteiligten für den aktuellen Mangel an Anerkennung von Open-Science-Aktivitäten und -Akteur:innen im wissenschaftlichen Evaluierungssystem schärft. Das Openess Profile soll dabei im ersten Schritt an bestehende persistente Identifikatoren (PIDs), zunächst an ORCID (Open Researcher and Contributor ID), angedockt werden. Der Vorteil ist, dass viele Wissenschafter:innen ohnehin bereits eine ORCID-ID haben.

Ein ORCID-Eintrag würde dann also durch das Openness Profile ergänzt, und es könnten offene Aktivitäten und mehr Akteur:innen wie Datenverwalter:innen oder Projektmanager:innen sichtbar gemacht werden, die im aktuellen wissenschaftlichen System nicht wahrgenommen und dementsprechend nicht für offene Aktivitäten belohnt werden. Damit würde gleichzeitig ein Anreiz für offene Aktivitäten geschaffen. Dabei ist das Openness Profile nicht nur für Einzelpersonen, die es selbst pflegen müssten, interessant, es könnte auch von Förderer:innen, die Fördergelder zu vergeben haben, oder beispielsweise von Instituten, die Stellen zu besetzen haben, aufgegriffen werden.

Offene Aktivitäten können im Openness Profile strukturiert durch vorhandene Identifikatoren wie DOI, ORG iD oder Grant iD aufgenommen und verknüpft werden, aber auch manuelle Einträge mit URLs und deskriptivem Text sind möglich. Das Openness Profile soll somit der zentrale Knotenpunkt zum Sammeln und Verknüpfen von Open-Science-Aktivitäten und -Ergebnissen werden.

Allgemeine Empfehlungen zur Realisierung des Openness Profile

KE gibt am Ende des Berichts Empfehlungen für gemeinsame Aktivitäten, die nötig sind, um das Openness Profile tatsächlich umzusetzen, und dies für vier unterschiedliche Gruppen von Beteiligten:

  1. Forschungsfördernde,
  2. nationale Forschungseinrichtungen,
  3. Institute und
  4. Infrastrukturanbieter.

Im Folgenden schauen wir uns vor allem die allgemeinen Empfehlungen sowie die für die Infrastruktureinrichtungen etwas genauer an.

Diese allgemeinen Empfehlungen sind:

  1. An einem Strang ziehen: Im Wissenschaftssystem sind auf allen Ebenen diverse Akteur:innen involviert. Diese verfolgen oft eigene Ziele und Interessen. Die Umsetzung des Openness Profile setzt jedoch voraus, dass Einzelinteressen dem Gemeinschaftsziel untergeordnet werden. Dazu müssten sich alle Beteiligten bereit erklären. Ziel dabei wäre es, offene Projekte anschlussfähig (interoperable) und nachhaltig (sustainable) zu machen, was zu einer größeren Transparenz, Reproduzierbarkeit und letztendlich Forschungsqualität führen würde.
  2. Alle Beteiligten an einen Tisch bringen (stakeholder summit): Um die Interessen und Erfahrungswerte aller im Blick zu behalten, schlägt KE ein Treffen (Summit) aller Beteiligten zum produktiven Austausch und zur Zusammenarbeit vor. Mit allen Beteiligten sind hierbei zum Beispiel gemeint: Wissenschaftspolitiker:innen, Institutsleitungen, Technolog:innen, Anbieter von Forschungsinformationssystemen, Forschende aller Karrierestufen oder Infrastrukturexpert:innen.
  3. Eine permanente Arbeitsgruppe etablieren: Diese Arbeitsgruppe (AG) sollte wieder aus allen Beteiligten bestehen und sich im Wesentlichen um fünf Themenfelder kümmern:
    1. ein Community-Governance-Modell,
    2. die Validierung des Openness-Profile-Referenzmodells,
    3. eine Taxonomie für offene Beiträge und Beitragende,
    4. die technische Realisierung von Forschungsmanagement-Arbeitsabläufen sowie
    5. die Analyse von Infrastrukturen und deren Lücken.

    Bei der technischen Umsetzung wird besonders die Einbindung persistenter Identifikatoren und die Anschlussfähigkeit der Systeme durch die Verwendung von APIs hervorgehoben. In Bezug auf die Analyse der Infrastrukturlandschaft stellt KE heraus, dass viel bereits vorhanden ist, was das Openness Profile unterstützen könnte. Es wäre sehr sinnvoll, wenn Mitarbeitende aus Bibliotheken oder sonstigen Infrastruktureinrichtungen Teil dieser permanenten Arbeitsgruppe würden.

  4. Geldgebende finden: Um das Openness Profile umzusetzen, bedarf es eines:r oder mehrerer Sponsor:innen, die eine dauerhafte Finanzierung gewährleisten und damit die Nachhaltigkeit des Projekts sicherstellen. Einmal abgesehen von der finanziellen Unterstützung hätten diese vielfältige Aufgaben, wie die Entwicklung von Software zur Anbindung von Informationssystemen unter Verwendung von PID-Metadaten oder das Koordinieren von Trainingsprogrammen für Open-Science-Communities. Diese Rolle würde sich sicher gut für Infrastruktureinrichtungen eignen, die selbst persistente Identifikatoren in ihre Systeme (zum Beispiel eigene Open-Access-Repositorien) einbinden können oder ihre ohnehin oft bereits bestehenden Trainingsprogramme ausweiten und weitergeben könnten.

Empfehlungen für Infrastruktureinrichtungen

KE sieht die Rolle von Infrastruktureinrichtungen in Bezug auf das Openness Profile vor allem darin, die Interoperabilität zwischen Forschungssystemen zu vergrößern und zu gewährleisten. Dies kann durch persistente Identifikatoren gelingen. Das wäre ohnehin nachhaltiger und würde zu einer Weiterentwicklung des Openness Profile führen. Dabei wurden im letzten JISC-Bericht zu persistenten Identifikatoren (PIDs) fünf große Player identifiziert: ORCID, Crossref, Datacite, ARDC (RAiD) und RoR. Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen könnten sich also darauf fokussieren, sich um die Anschlussfähigkeit ihrer bestehenden Systeme durch PIDs zu kümmern.

Folgende Empfehlungen werden im Abschlussbericht außerdem speziell für Infrastruktureinrichtungen ausgesprochen:

  • Sie sollten eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Forschungsinfrastruktur und den entsprechenden Arbeitsabläufen einnehmen und auf nationaler Ebene eng mit anderen Beteiligten wie Forschungsorganisationen, Verlagen oder Geldgebenden zusammenarbeiten.
  • Da das Openness Profile über ORCID eingebunden wird, muss zunächst dessen Verwendung stärker fokussiert werden. Um die Verwendung von ORCID-Datensätzen und von Programmierschnittstellen (APIs) zu fördern, wird empfohlen, sie stärker in institutionelle Forschungsinformations- und Fördersysteme einzubinden und, wo nötig, Kapazitäten aufzustocken.
  • Es wird des Weiteren empfohlen, die eigenen Governance-Strukturen zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich auf die Bedürfnisse der Community und nicht auf Interessen einzelner ausgerichtet sind.

Darüber hinaus regt der Bericht an, die Kooperationen von nationalen Forschungsorganisationen und Infrastrukturanbieter:innen auszuweiten und zu vertiefen und damit eine offene Wissenschaft voranzutreiben.

Fazit: Openness Profile und Bibliotheken – wird es ein Match?

Das Openness Profile ist ein ambitioniertes Projekt zur Sichtbarmachung offener Wissenschaft und aller daran beteiligter Akteur:innen. Die tiefgreifende Reformierung des monokulturell ausgerichteten wissenschaftlichen Anreizsystems ist dabei schon lange fällig. Ob das Openness Profile tatsächlich realisiert wird, hängt letztlich stark davon ab, ob sich ausreichend Geldgebende unter den Stakeholder:innen finden, die bereit sind, sowohl finanziell als auch personell in das Projekt zu investieren.

Bibliotheken und Infrastruktureinrichtungen wären hierbei mit ihren Kompetenzen ein wichtiger Akteur, und deren eigenen (offenen) Aktivitäten und Beiträge könnten durch die Berücksichtigung in einem Openess Profile selbst auch besser erfasst und anerkannt werden. Sie sollten also sicherstellen, bei dem Treffen der Beteiligten vertreten zu sein und auch engagierte Open-Science-Enthusiast:innen in die dauerhaft einzurichtende Arbeitsgruppe schicken, damit ihre Interessen vertreten sind und ihr umfassendes Know-how genutzt werden kann. Praktisch können sie schon jetzt sicherstellen, persistente Identifikatoren in ihre Systeme zu integrieren und diese damit anschlussfähig und nachhaltig zu machen.

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Über die Autorin:
Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. Sie ist auch auf LinkedIn, Twitter und Xing zu finden.
Porträt: Claudia Sittner©
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Claudia Sittner studierte Journalistik und Sprachen in Hamburg und London. Sie war lange Zeit Referentin beim von der ZBW herausgegebenen Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und ist heute Redakteurin des Blogs ZBW MediaTalk. Außerdem ist sie freiberufliche Reise-Bloggerin. (Porträt: Claudia Sittner©)

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