Digitalisierung der Hochschulbildung: Systemische Rahmenbedingungen und politische Stellschrauben

von Birgit Fingerle

Der HoF-Arbeitsbericht „Disruption oder Evolution? Systemische Rahmenbedingungen der Digitalisierung in der Hochschulbildung“ (PDF) des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) wurde Ende Juni 2019 veröffentlicht.

Der Report hat die Digitalisierung der Bildung an Hochschulen zum Thema. Da die Forschung an Hochschulen nicht Gegenstand des Reports ist, werden forschungsbezogene Themen wie Open Data und Open Science nicht betrachtet. Demgegenüber wird Open Access als wichtiger Einflussfaktor für die Hochschulbildung einbezogen. In dem Report werden die Kontextbedingungen ermittelt und analysiert, die für die Digitalisierung der Hochschulbildung systemisch besonders relevant sind, und die zugleich von Seiten der Politik beeinflusst werden können.

Vielfältige Faktoren systemisch relevant für die Digitalisierung

Die so gefundenen 40 Faktoren wurden in fünf Dimensionen systematisiert (Finanzierung, Recht, Technik und Infrastruktur, Organisation sowie Sozial-kulturelles).Zehn der Faktoren wurden als besonders wichtige Einflussfaktoren identifiziert:

  • Finanzierung: 1. Befristete Förderungen als Anschubfinanzierung für die digitale Transformation der Hochschulbildung und 2. Erlöse aus kostenpflichtigen Weiterbildungsangeboten.
  • Recht: 3. Open Access, 4. Datenschutz und 5. Harmonisierung der Landeshochschulgesetze.
  • Technik und Infrastruktur: 6. Daten-/Netzinfrastruktur sowie 7. Schnittstellen/Integration.
  • Organisation: 8. Steuerungsinstrumente und 9. Hochschulstrategien.
  • Sozial-kulturell: 10. Akzeptanz durch Lehrende.

Für diese zehn Faktoren wurden gegenseitige Wirkungsabhängigkeiten sowie die zu den Faktoren zugehörigen Handlungsbedarfe für die Zukunft ermittelt. Da Open Access und die Akzeptanz durch Lehrende für das Thema Open Science besondere Bedeutung besitzen, haben wir uns die hier genannten Handlungsbedarfe angesehen.

Open Access als komplexes Handlungsfeld erfordert staatliche Interventionen

Zum Thema Open Access wird in dem Arbeitsbericht darauf eingegangen, dass die Debatte insgesamt sehr komplex und durch die teilweise stark divergierenden Interessen der Anspruchsgruppen gekennzeichnet sei. Zudem besitze Open Access Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Faktoren, wie der Finanzierung und der Akzeptanz durch die Lehrenden. Als Handlungsbedarfe werden genannt: Lizenzgebühren, die freie Nutzung wissenschaftlicher Literatur, Wissenschaftspublikationsnetzwerke und die Sicherung wissenschaftlicher Artikel.

Top-down-Interventionen des Staats zur Förderung von Open Access werden als notwendig angesehen. Konkret werden Gesetzesanpassungen als erforderlich genannt, um Open Access voranzubringen. Als weitere Interventionsmöglichkeiten werden aufgeführt: der Ausgleich für den Eingriff in Eigentumsrechte von Verlagen, Online‐Lizenzplattformen, wie ein One‐Stop‐Shop zur Ermöglichung von komfortablen Einzelabrechnungen, und die Evaluation von Uploadfiltern gegen Urheberrechtsverstöße.

Akzeptanz durch Lehrende muss erhöht werden

Die vielschichtigen Veränderungsprozesse an Hochschulen haben in den vergangenen Jahren bei Hochschullehrenden Unsicherheit und Widerstände ausgelöst. So zeigen aktuelle Befragungen vorhandene Skepsis und Widerstandspotenziale innerhalb von Hochschulen gegenüber digitalisierten Prozessen und digitalen Angeboten. Zudem sehen sich Lehrende über alle Bildungsbereiche hinweg für die Digitalisierung und die damit einhergehenden erheblichen Veränderungen in der Hochschulbildung nicht hinreichend gerüstet. Die Erlangung von digitaler Souveränität der Lehrenden stellt somit eine große Herausforderung für die digitale Hochschulbildung dar – und diese muss zudem laufend weiterentwickelt werden. Das bedingt – ebenso wie die Erstellung und Arbeit mit digitalen Lehrangeboten – einen erhöhten Zeitaufwand.

Jedoch sind staatliche Interventionsmöglichkeiten begrenzt und die Stellschrauben für diesen Faktor überwiegend auf Hochschulebene angesiedelt. Dennoch können die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie die Akzeptanz erhöhen, indem sie zu positiven Erfahrungen führen. Als Handlungsbedarfe zur Schaffung der Akzeptanz der Lehrenden werden gesehen: Die Schaffung von Ausgleichsmöglichkeiten für den Mehraufwand und die Verbesserung der Reputation der Lehre.

Zukunftsszenarien: Bedrohung von Hochschulstandorten?

Zudem wurden drei Zukunftsszenarien für die Entwicklung des Hochschulsystems abgeleitet. Diese sind:

  1. Eine Disruption durch Zurückdrängung der Präsenzlehre, was mit einer deutlichen Reduktion der Hochschulstandorte, vor allem in ländlichen Regionen, einhergehen würde.
  2. Eine evolutionäre Entwicklung mit der verstärkten Inklusion von Blended Learning, in der nur wenige Standorte von Schließung bedroht wären.
  3. Sowie eine Diversifizierung, bei der Hochschulen unterschiedliche Profile mit mehr oder weniger digitalem Bildungsangebot weiterentwickeln. Somit würde eine sehr heterogene Hochschullandschaft entstehen, in der absehbar kein Hochschulstandort bedroht wäre.

Weiterführende Informationen:

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Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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