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Dr. Maximilian Heimstädt von der Universität Witten/Herdecke erstellt im Team ein Lehrbuch zum Thema „Organizing Openness“ als Open Educational Resource (OER). Im Interview stellt er das Buchprojekt “Organizing Openness: Concepts and Cases” vor und berichtet von seinen Erfahrungen und seinen Forschungserkenntnissen.

An wen richtet sich das OER-Lehrbuch Organizing Openness: Concepts and Cases”, und welche Themen werden behandelt?

Unser Hochschullehrbuch behandelt Fragen rund um offene Organisationen und das Organisieren von Offenheit. Kern des Lehrbuches sind sechs Kapitel zu theoretischen „Concepts“ von Offenheit sowie sechs Kapitel zu empirischen Phänomenen „Cases“. Als Konzepte behandeln wir beispielsweise Transparenz, Partizipation oder Inklusion. Als Phänomene behandeln wir unter anderem Open-Source-Communities, Open-Innovation-Projekte oder Open-Government-Initiativen. Studierenden soll es durch diese modulare Aufteilung ermöglicht werden, ein differenziertes Verständnis offener Organisationen zu entwickeln.

Das Lehrbuch ist in vielerlei Hinsicht ein Experiment mit Offenheit. Somit bemühen wir uns auch, es disziplinär so offen wie möglich und an verschiedene Disziplinen anschlussfähig zu gestalten. Primär richtet sich das Lehrbuch an Studierende der Betriebswirtschaftslehre, vor allem in den Schwerpunkten Management, Organisation und Strategie. Allerdings werden große Teile des Buches auch für Lehrende und Studierende anderer Sozialwissenschaften interessant sein. Ich denke hier beispielsweise an die Soziologie oder die Bildungs-, Politik- und Verwaltungswissenschaften.

Wie organisieren Sie die Entstehung des Lehrbuchs“?

Das Lehrbuch erstelle ich nicht allein, sondern gemeinsam mit Prof. Dr. Leonhard Dobusch von der Universität Innsbruck. Unterstützt werden wir dabei von unseren studentischen Mitarbeiterinnen Hanna-Sophie Bollmann und Milena Leybold. Zuletzt wurde das Lehrbuchprojekt außerdem durch ein OpenScienceFellowship der Wikimedia Deutschland, der Volkswagen Stiftung und des Stifterverbands gefördert.

Das Buch behandelt nicht nur Offenheit als Organisationsprinzip, sondern ist auch in sich offen organisiert. Die fertigen Buchkapitel werden sukzessive als OER über das Projektblog “Organizing Openness” veröffentlicht, bis schließlich das ganze Lehrbuch offen zur Verfügung steht. Der Prozess der Bucherstellung wird über das Blog möglichst transparent dokumentiert. Bevor wir eine „stabile“ Version jedes Kapitels auf dem Blog veröffentlichen, öffnen wir das Manuskript für Feedback der Community. Aktuell ist bereits unser erstes Kapitel zu „Open Science & Education“ für Feedback geöffnet.

Was haben Sie in dem Zuge Neues über OER gelernt?

Eine ganze Menge! Bisher hatte ich vor allem zu OER geforscht und Szenarien für eine systematische Förderung von staatlicher Seite entwickelt. Durch das Lehrbuch wechsele ich nun die Perspektive und erstelle erstmals im größeren Stil selbst OER. Eine meiner deutlichsten Lernerfahrungen dabei: Offenheit tut nicht weh! OER-Neulinge zieht es anfangs doch immer wieder zu Lizenzen, die Veränderung oder kommerzielle Nutzung der Inhalte ausschließen (z.B. CC BY-ND oder CC BY-NC). Grund dafür sind Ängste der Zweckentfremdung, die meiner Meinung nach jedoch rein theoretischer Natur sind. Diese Ängste kann ich deutlich zurückweisen. Ganz im Gegenteil: Selbst für wirklich offen lizenzierte Lehr- und Lernmaterialien (im Sinne der 5 V-Freiheiten) muss heute noch die Werbetrommel gerührt werden.

Unser erstes Buchkapitel steht frei im Netz, wir werden bisher aber noch nicht mit Community-Feedback überrannt. OER ist weiterhin ein Pionierthema.

Welche Empfehlungen würden Sie potentiellen OER-Autorinnen und –Autoren geben?

Neben einer möglichst offenen Lizenzierung der eigenen Inhalte (beschrieben in unserem Buchkapitel zu Open Science & Education) lohnt es ungemein, sich mit anderen OER-Neulingen und -ExpertInnen zu vernetzen. Ich selbst war 2014 das erste Mal auf einem OER-Event in Berlin und besuche seitdem regelmäßig Tagungen und Festivals wie beispielsweise die OERcamps. OER steht mittlerweile für eine Community, in der man sich austauscht und hilft. Sehr aktiv ist auch die Facebook-Gruppe „Open Educational Resources im deutschsprachigen Raum“.

OER definieren sich formal über offene Lizenzen, sind aber letztlich viel mehr als das. Innerhalb der Community wird deshalb auch gerne von Open Educational Practices gesprochen. Hierdurch soll verdeutlicht werden, dass jeder seinen eigenen alltäglichen Umgang mit OER finden muss, vor allem in Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden. OER können zwar auch für klassischen Frontalunterricht eingesetzt werden, viel spannender ist es aber, das offene Material mit „Remix“-Experimenten zu verbinden.

Wie könnte die Entstehung von OER noch stärker gefördert werden?

Hier müssen wir zwischen OER im Hochschulbereich – wie unserem Lehrbuch – und OER im Schulbereich unterscheiden. Im Hochschulbereich sollte das Thema OER innerhalb der Doktorandenausbildung stattfinden. Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler erstellen jede Menge Foliendecks und andere Lehrmaterialien. Aufgrund des raschen Personalwechsels leider oft immer wieder „from scratch“. Wenn dieses Material offen lizenziert online auffindbar wäre, würde das viel Aufwand sparen, der wiederum in die eigene Ausbildung und Forschung gesteckt werden könnte.

Für den Schulbereich ließe sich OER noch deutlich großflächiger fördern. Gemeinsam mit Leonhard Dobusch habe ich dazu kürzlich mehrere OER-Szenarien für das Land NRW entwickelt.

Für vielversprechend halten wir zum Beispiel die gezielte öffentliche Ausschreibung und Vorfinanzierung von OER-Büchern. Auch denkbar wäre eine nutzungsbasierte Refinanzierung von OER-Büchern, vergleichbar mit dem Modell von Verwertungsgesellschaften wie der GEMA. Eine umfassende Verfügbarkeit von OER-Schulbüchern ließe sich auch über eine Kopplung der Schulbuchzulassung in NRW an eine OER-Klausel erreichen.

Was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um die Wissenschaft noch stärker zu öffnen und Open Science zu fördern?

Ich halte ich es für wichtig, bereits im Studium, spätestens aber in der wissenschaftlichen Ausbildung, an das Thema Open Science heranzuführen. Am besten, indem in einem geschützten Rahmen mit Offenheitspraktiken experimentiert wird. Einen wichtigen Schritt fände ich es zudem, Open-Science-Bemühungen in der Stellenvergabe und in Berufungsverhandlungen als Engagement für bessere Lehre und eine Weiterentwicklung der eigenen Fachcommunity anzuerkennen und wertzuschätzen. Hierbei sind explizit auch gescheiterte Open-Science-Experimente miteinzubeziehen, denn letztendlich ist Offenheit ein Mittel und kein Selbstzweck.

Unsere Fragen beantwortete Dr. Maximilian Heimstädt

Dr. Maximilian Heimstädt (@heimstaedt) ist Postdoktorand am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke. Er interessiert sich dafür, wie Organisationen mit stetig zunehmenden Forderungen nach Transparenz umgehen und diese bisweilen kreativ nutzbar machen. Aktuell forscht er zur Regulierung algorithmischer Entscheidungssysteme und engagiert sich für die Förderung von Open Educational Resources im Schul- und Wissenschaftsbetrieb.

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