INCONECSS 2019: Ein Blick in die Zukunft wirtschaftswissenschaftlicher Bibliotheken

von Karin Wortmann und Ralf Toepfer

Vom 06. bis 07. Mai 2019 trafen sich in Berlin wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie Informationsspezialistinnen und -spezialisten der Wirtschaftswissenschaften zur zweiten internationalen Fachtagung INCONECSS (International Conference on Economics and Business Information).

Das Besondere, dieser von der ZBW gestalteten Konferenz, liegt in der Ausrichtung auf ein internationales Fachpublikum sowie der Fokussierung auf die Wirtschaftswissenschaften. Dass diese Kombination auf großes Interesse traf, zeigte die Teilnahme von mehr als 100 Personen aus 33 Ländern; überwiegend aus Europa sowie Nord- und Südamerika, aber auch aus Asien und Afrika. Zu den unter dem Tagungsmotto „Digital Transformation: Scoping the evolving world of information challenges and business information“ behandelten Themen gehörten Vorträge zu forschungsunterstützenden Dienstleistungen, Forschungsdatenmanagement und Open Access, aber auch Strategien, Strukturen und Qualifikationen für den digitalen Wandel.

Bibliotheken sollen den gesamten Forschungsprozess unterstützen

Mikael Laakso von der Hanken School of Economics (Helsinki, Finnland) eröffnete die Tagung mit einer Keynote zum Thema „Customer Voices“ (PDF). Was benötigen Forschende wirklich und welche Unterstützung erwarten sie von der Bibliothek und den Informationswissenschaften?

Seine Analyse, die sich unter anderem auf den Ithaka S+R US Faculty Survey 2018 stützte, sah wissenschaftliche Bibliotheken als Akteure zwischen institutionellen und individuellen Interessen der Forschenden in einer sich verändernden Forschungslandschaft. Zusammenfassend zitierte Laakso das “Dilemma of Collective Action” von Wenzler, das besagt:

“For academic libraries to continue to achieve their traditional role of storing, organizing, preserving, and providing access to the scholarly record, they increasingly will have to take responsibility for the entire cycle of scholarly communication from publishing and editing through preservation, but it is unlikely that they will succeed in doing so through the uncoordinated actions of individual institutions and will require new experiments in cooperation and coordination.“

— (Wenzler, 2017)

Damit war der Rahmen der INCONECSS 2019 treffend abgesteckt. Bibliotheken sollen die Forschenden im gesamten Forschungs- und Publikationsprozess (Discovery, Analysis, Writing, Publication, Outreach, Assesment) unterstützen, was nur in enger Kooperation mit den Stakeholdern zu leisten ist. Auf der INCONECSS 2019 wurden dementsprechend eine Vielzahl neuer Services vorgestellt und diskutiert, sowie die damit einhergehende Frage der in Bibliotheken benötigten neuen Kompetenzen.

Digitale Badges können Bibliotheken sichtbarer machen

So präsentierte die Baker Library der Havard Business School ein Pilotprojekt, das sprachbasiert Informationsanfragen zu beantworten versucht. Die Teilnehmenden eines Management-Workshops hatten Gelegenheit, Amazons virtuellem Assistenten Alexa allgemeine Fragen etwa zu Wetter und Umgebung oder zu Themen des Workshops zu stellen, um auszuloten, inwieweit moderne Technologien im Bibliotheksalltag sinnvoll eingesetzt werden können. Auch die Erfahrungen mit dem “Digitale Badging” (PDF) als eine Form des E-Learning an der University of New Hampshire stießen auf reges Interesse.

Ein Digital Badge ist ein überprüfter Nachweis für definierte Leistungen oder Fähigkeiten, der in verschiedene digitale Umgebungen eingebunden werden kann. Er unterstützt die Modularisierung von digitalen Lerninhalten. Für Bibliotheken liegt der Vorteil darin, Ressourcen für Informationskompetenzschulungen zu sparen und besser in die Curricula der Fakultäten eingebunden zu werden. So werden der Nutzen und die Innovationskraft der Bibliothek sichtbarer und das Teilen und Kommentieren der Badge-Informationen in sozialen Netzwerken ermöglicht eine große Reichweite.

Wie wirkt die digitale Transformation auf das Konzept von Bibliotheken?

Timothy Tully berichtete über ein Projekt zur Messung von Bibliotheksdienstleistungen für Campus Incubators (PDF) an der San Diego State University.

Anschließend ging Bernard Bizimana auf die Entwicklung eines neuen Business Models an der HEC Montreal Library (PDF) ein, das den Anforderungen der digitalen Transformation Rechnung trägt.

Am Anfang stand dabei die Frage, ob Bibliotheken noch benötigt werden und wenn ja, wie diese aufgestellt sein müssen. Forschungsdaten- und Wissensmanagementservices, Data Science, Programmieren, Data Mining sowie Datenvisualisierung- und präsentation sind neue Kompetenzfelder, welche die Bibliothek für das neue Geschäftsmodell entwickeln muss. Entscheidend ist dabei, Projekte gemeinsam mit der Fakultät zu entwickeln, so dass Nutzenorientierung und Akzeptanz gewährleistet sind.

In einer Poster-Session hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, Projekte zur digitalen Transformation in ihren Institutionen vorzustellen. Die Bandbreite der Themen reichte von Digital Staff Training, interaktivem OER Tutorial und dem Einsatz von Robotern bis hin zur Gamification. Lebhafte Diskussionsgruppen an den Postern zeigten, dass gerade dieses Format zum praktischen Austausch sehr gut angenommen wurde.

Predatory Journals und die Rolle der Bibliothek als Gatekeeper

Da neue Serviceangebote nicht im luftleeren Raum entwickelt werden, sondern im Umfeld des wissenschaftlichen Forschungs- und Publikationsprozesses, beschäftigte sich eine Session mit negativen Auswüchsen des Publikationsprozesses: “Predatory / Fake Journals und Fake Science”. In zwei Vorträgen wurde die Rolle der Bibliothek als Gatekeeper und Informationskompetenz-Spezialist beleuchtet und wie sie mit diesen negativen Erscheinungen umgehen sollte. John Willinsky, Stanford Graduate School of Education, USA betonte in seinem Vortrag “What is to be done about predatory journals?”, dass sich die Raubverlage auf das Publikationsgebühren-basierte Geschäftsmodell stützen, das auch von vielen Open-Access-Zeitschriften genutzt wird. Bei einer qualitätsgesicherten Open-Access-Zeitschrift wird diese Gebühr jedoch erst nach der Entscheidung über die Annahme einer Publikation auf Basis der Ergebnisse der Peer-Review-Verfahrens erhoben und stellt daher einen Ansatzpunkt zur Bekämpfung von Predatory Journals dar. Anschließend stellten Karin Lackner und Clara Ginther diesbezügliche Aktivitäten und Erfahrungen der UB Graz (PDF) vor.

Als erste Institution bot die Universität Graz ab 2017 Informationen, Beratungen und Workshops zu Predatory Publishing an, die 2018 in einer Sensibilisierungskampagne gipfelten. Während Willinsky das Predatory Publishing im Wesentlichen als eine Form des “Eyeball Business” sah, betonten Lackner und Ginther die zunehmende Professionalisierung der Predatory Journals. Der Vortrag schloss mit einer Reflexion über die Herausforderungen, die Predatory Journals für Universitäten und Bibliotheken darstellen, vor allem angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Gefahr, dass wissenschaftliche Forschung zu einer Meinung unter vielen degradiert wird.

Genaue Betrachtung der Open Access-Landschaft erforderlich

Dass Open Access nicht mit mangelnder Qualität gleichzusetzen ist, wurde in der Session “Open Access Landscape and Access to FED Services” deutlich. Bezugnehmend auf die Keynote von Laakso, wonach nur etwa 5,5% der Journals in “Business, Management & Accounting” und nur 8,2% in “Economics, Econometrics and Finance” Open Access seien, stellte Christian Zimmermann von der Federal Reserve Bank of St. Louis die These auf, dass dies auch der ausgeprägten Pre-Print-Kultur in den Wirtschaftswissenschaften geschuldet sein könne. Diese führe dazu, dass viele Forschungsergebnisse vor der “formalen” Publikation in Journals als Working Paper im Open Access zugänglich gemacht werden. Als zentrale Plattform für den Austausch von Working Papers hat sich Research Paper in Economics (RePEc) etabliert, die von Zimmermann unter anderem vorgestellt wurde.

Anna Mette Morthorst von der Royal Danish Library aus Dänemark berichtete über Ergebnisse des dänischen nationalen DEFF-Projekts Open Access Monitor – DK (OAM), der die Datenlage zu Open Access verbessert hat und so strategische Entscheidungen und Preisverhandlungen mit Verlagen unterstützt.

Obwohl sich Dänemark einer nationalen Open Access-Strategie verschrieben hat, die auf den grünen Weg von Open Access setzt, zeigten die Monitor-Daten, dass auch der goldene Weg mit etwa 25% des realisierten Open-Access-Anteils in Dänemark eine große Rolle spielt.

Wie sehen die Forschungsdaten-Policies von Zeitschriften aus?

Dass neue Bibliotheksangebote zunehmend auf Basis eigener Forschung entwickelt werden, wurde in den Sessions zu „Journal Data Policies“ und „Research Data Mining and Visualization“ deutlich. In den Präsentationen von Melody Chin und Danping Dong, “The Quest for Replicability: A review of research data policies in economics journals” (PDF), Singapore Management University sowie “Data Policies of Economics Journals – Shifting Boundaries?” (PDF) von Sven Vlaeminck und Olaf Siegert von der ZBW wurden die Anzahl an wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften mit Regelungen für die Data Availability sowie die jeweilige Qualität dieser Regelungen beleuchtet.

Beide Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass inzwischen circa 70% der wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften über eine Data Availability Policy verfügen. Allerdings sind diese Regelungen unterschiedlich stark verpflichtend ausgelegt; die meisten haben eher einen empfehlenden Charakter. Im Vergleich zu einer Untersuchung aus dem Jahr 2014 zeigte sich bei Vlaeminck und Siegert, dass der Anteil an Zeitschriften mit einer Data Availability Policy im Jahr 2018 um 41,4% und der Anteil an Journals mit einer Author Responsibility Policy um 5,1% zugenommen habe.

Der deutliche Zuwachs sei im Wesentlichen auf die Einführung von Muster-Policies durch die großen Verlagshäuser zurückzuführen. Neben dem erfreulichen Aspekt der Zunahme an Data Availability Policies habe dies aber auch dazu geführt, dass die Policies diverser geworden seien.

Spaß an Kooperation und lebenslangem Lernen macht Bibliotheken digital fit

In einer Podiumsdiskussion zum Thema “Digitale Transformation“, an der Chris Erdmann (Library Carpentry), Ragna Seidler-de Alwis (University of Applied Sciences,TH Köln), Frank Seeliger (TU Wildau) und Suzanne Wones (Harvard University, USA) teilnahmen, wurde das Thema Kompetenzen und Personal erneut aufgegriffen. Alle Diskutierenden waren sich einig, dass die digitale Transformation neben den alten vermehrt neue Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten sowie eine hohe Flexibilität erfordere. Diesen Anforderungen trügen zum einen neugestaltete Ausbildungsgänge Rechnung, zum anderen sei lebenslanges Lernen und Training-on-the-Job wichtig. Die zum Abschluss der lebhaften Diskussion vom Moderator David Patrician gestellte Frage, was das Wichtigste für Bibliotheken sei, um auf die Digitalisierung vorbereitet zu sein, wurde unterschiedlich beantwortet: Einerseits solle die Bibliothek noch mehr mit den Forschenden kommunizieren und kooperieren, um deren Bedürfnisse und Anforderungen zu verstehen, andererseits solle der Spaß an der innovativen und abwechslungsreichen Arbeit in einem interdisziplinären Bibliotheksteam vermittelt werden. Zusammen mit der Möglichkeit, die Vorstellungen der jungen Generation über flexible Arbeitszeitmodelle zu realisieren, könnte dies helfen, auf dem Arbeitsmarkt geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren.

Zum Abschluss der Konferenz wurde noch einmal herausgestellt, wie wichtig die hohe Motivation und Qualifikation der Beschäftigten für die Transformation der Services einer Bibliothek seien. Wenn sie vorhanden sind, kann die Bibliothek auch in Zukunft die hohe Qualität ihrer angebotenen Daten und Dienstleistungen gewährleisten.

Weiterführende Informationen:

Foto: Ralf Rebmann©

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