ZBW MediaTalk

von Olaf Siegert

Die EA European Academy of Technology and Innovation Assessment organisiert jedes Jahr Fachtagungen zu unterschiedlichen Themen. Die letzte Tagung fand am 26. und 27.01.2016 in Mainz statt. Unter dem Motto „Innovating the Gutenberg Galaxis – The Role of Peer Review and Open Access in University Knowledge Dissemination and Evaluation” diskutierten etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Europa und Nordamerika, welche Rollen Peer Review und Open Access im Rahmen einer effizienten und qualitätsgeprüften Wissenschaftskommunikation spielen können und sollen. Hier geht es zur Event-Zusammenfassung.

Wissenschaftskommunikation im Übergang und die Rolle von Open Science

Peer Review war das Schwerpunktthema des ersten Tages. Nach einer einleitenden Panel Discussion eröffnete Paul Wouters vom Centre for Science and Technology Studies (CWTS) an der Universität Leiden die Reihe der Vorträge mit einer Keynote zum Thema “How will open Peer Review shape what counts as Quality in Research?”. Dabei beschrieb er den aktuellen Status der Wissenschaftskommunikation als Übergangs- und Krisensituation und zeigte, wie qualitätsgesicherte Forschungsprozesse aussehen könnten und welche Rolle Open Science dabei spielen könnte.

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Danach behandelte Ana Marusic (University of Split, Kroatien) das Thema “Ethics, Research Integrity and Peer Review”. In ihrem Vortrag wies sie darauf hin, dass beim digitalen Publizieren neue Informationsangebote möglich sind, beispielsweise Informationen zu abgelehnten Papers (wie in Pubmed) oder Plagiatssoftware zur Überprüfung von eingereichten Papers auf ihre Originalität. Dies verbessere zum einen das Peer Review und schaffe zum anderen die Chance auf einen insgesamt transparenteren Publikationsprozess im Sinne von Open Science.

Peer Review nicht frei von Fehlern

Joshua Nicholson vom US-amerikanischen Start-Up “Winnower” brachte in seinem Vortrag diverse Beispiele für fehlerhaftes Peer Review und belegte dies anhand von Studien. Seine Schlussfolgerung lautete, dass Peer Review zum einen nicht frei von Bias sei und zum anderen es fehlerhafte Papers immer wieder auch in wichtige Journale schaffen. Daher sollte Peer Review aus seiner Sicht erst nach der Veröffentlichung eines Papers einsetzen und zudem öffentlich im Sinne eines Open Peer Review erfolgen. Die von ihm vorgestellte Publikations-Plattform Winnower setzt genau hier an, indem sie zum Upload von Forschungspapieren und zum öffentlichen Diskurs über diese ermuntert.

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Flaminio Squazzoni (University of Brescia, Italien) stellte in seinem Vortrag „Insights from simulation models of peer review” die Frage, ob es einen Trade-Off zwischen Qualität und Effizienz beim Peer Review gebe. Er untersuchte dies mittels eines Simulationsmodells, das von der Annahme ausgeht, dass sich Gutachter ökonomisch rational verhalten. Gleichwohl betonte er, dass das Peer Review in der Regel ehrenamtlich erfolge und Forscherinnen und Forscher in der Regel beide Rollen in ihrem wissenschaftlichen Alltag ausüben. Aus strategischer Sicht kann es laut Squazzoni für einen Reviewer durchaus Sinn machen, ein Paper nicht objektiv, sondern nach dem eigenen Nutzen zu bewerten. Insbesondere beim Open Peer Review (bei dem Autor und Reviewer einander bekannt sind) sieht er daher die Gefahr des Prinzips „Tit for Tat“ statt einer objektiven Beurteilung. Daher sollte die Scientific Community Mechanismen entwickeln, um egoistischem Verhalten beim Peer Review entgegenzuwirken.

Open Access als Basis von Open Peer Review und Open Science

Ulrich Pöschl vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz betonte in seinem Vortrag “Integrating the strengths of traditional peer review with the virtues of transparency and interactive public discussion in multistage open peer review” zunächst, dass Open Access einen Grundpfeiler für transparente Wissenschaft und für Open Peer Review darstelle. Zudem gebe es selbst in den bestfinanzierten Wissenschaftseinrichtungen nie den Zugriff auf alle Subskriptionsangebote, was insbesondere für interdisziplinäre Forschung von Nachteil sei. Anschließend stellte Pöschl die Zeitschrift „Atmospheric Chemistry and Physics (ACP)“ vor, die seit 2001 als Open Access Zeitschrift erscheint und sich mittlerweile als eines der wichtigsten Journals seiner Disziplin etabliert hat. ACP verfolgt das Prinzip des Open Peer Review, bei dem eingereichte Manuskripte zunächst als Discussion Papers im Open Access auf der Journal-Website veröffentlicht und dann einem zweigleisigen Begutachtungsprozess unterzogen werden: Zum einen bewerten eingeladene Gutachter das Paper im Sinne eines klassischen Peer Review und zum anderen können interessierte Fachkolleginnen und -kollegen das Paper im Open Peer Review öffentlich kommentieren. Das Journal entscheidet dann auf Basis aller vorliegenden Informationen, ob das Discussion Paper als Journal Article angenommen wird. Mit etwa 40.000 Kommentaren auf 10.000 veröffentlichte Papers wird das Open Peer Review dabei offenbar gut angenommen.

Open Access nicht objektiv?

Der zweite Tag widmete sich schwerpunktmäßig dem Bereich Open Access und startete mit einer Keynote von Jeffrey Beall (University of Colorado, Denver, USA) mit dem Titel “Predatory Publishers: Paying the Price for Open Access”. Seine kontroverse These, dass Open-Access-Advokaten keine guten Verleger seien, weil sie wissenschaftlich nicht objektiv agierten, machte er in erster Linie am Thema Autorengebühren fest. Demnach entscheiden sich die Herausgeber eines Journals, das sich über Autorengebühren finanziere, nicht objektiv bei der Annahme oder Ablehnung von Papers, sondern vielmehr nach finanziellen Gesichtspunkten. Dies sei allerdings bei sogenannten Platin-Open-Access-Journals anders, bei denen keine Autorengebühren verlangt würden (diese sind vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu finden). Danach zeigte Beall eindrucksvoll anhand vieler Beispiele, wie findige Geschäftemacher das Internet ausnutzen, um über betrügerische Journals und dubiose Konferenzen Geld aus dem Wissenschaftsbetrieb abzuziehen. Seine Schlussfolgerung: Das Subskriptionsmodell für Fachzeitschriften würde den einzigen sicheren Schutz gegen Betrügereien darstellen, da sich die Journalkosten hier nicht durch Autorengebühren finanzieren und sich die Geschäftsbeziehungen zudem ausschließlich zwischen den etablierten Parteien Wissenschaftsverlage und Bibliotheken abspielen.

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Die nachfolgende Diskussion verlief sehr kontrovers, da einige Teilnehmende Beall eine einseitige Sicht von Open Access unterstellten. Allerdings waren sich alle Rednerinnen und Redner darin einig, dass Beall aktuelle Fehlentwicklungen im Publikationsprozess richtigerweise anprangere und mit seinem Blog http://scholarlyoa.com/ und seiner Black List von fragwürdigen Verlagen und Journals gute Feldarbeit leiste. Man müsse diese Arbeit nun aber in einem nachhaltigen Kontext weiterentwickeln. In diesem Sinne zeigte sich Beall gegenüber Initiativen wie Think.Check.Submit. aufgeschlossen.

Open Data: Eine Frage von Technologien, Organisation und Verhalten
Christoph Bläsi (Institut für Buchwissenschaft, Universität Mainz) referierte zum Thema “Open is always good and so is Open Access – Sometimes it needs Adepts and Institutions, though”, dass die Infrastrukturaspekte des digitalen Publizierens nur im Gesamtkontext des Forschungszyklus insgesamt betrachtet werden könnten. Da die Anforderungen hierbei sehr komplex ausfallen können (etwa die Einbindung von Multimediaelementen), vertrat Bläsi die These, dass nur große Anbieter wie etwa internationale Fachverlage hier der geeignete Partner für wissenschaftliche Herausgeber seien.

In dem Vortrag “Open Access and Digital Technologies: Challenges and Opportunities” richtete Sally Wyatt (University of Maastricht) den Blick vor allem auf Open Data. Sie unterschied drei Ebenen, die bei der Umsetzung der Open-Data-Idee eine Rolle spielen: Technologiefragen, Fragen der Organisation und moralische beziehungsweise Verhaltensfragen. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass es bei der Umsetzung von Open Data weniger an der Technologie hakt, sondern eher an Verhaltensaspekten (zu wenig Anreize für Forschende, ihre Daten freizugeben) und Fragen der Organisation (oftmals gibt es je nach Disziplin oder Land unterschiedliche Stakeholder mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten). Man solle daher aus Best-Practices-Beispielen lernen.

Birgit Schmidt und Tony Ross-Hellauer (beide Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen) berichteten über OpenAIRE als „E-Infrastructure for Open Scholarship”. Sie legten zunächst dar, dass sich OpenAIRE mit mittlerweile 14 Millionen Publikationsnachweisen von 700 Datenquellen weit über einen reinen Open-Access-Nachweisort von EU-Projektpublikationen hinaus entwickelt habe, wenn auch die Dokumentation von EU-Projektergebnissen nach wie vor einen zentralen Aspekt von OpenAIRE darstelle. Danach gingen sie näher auf den geplanten „Open Peer Review Pilot“ ein, bei dem die einzelnen Publikationen in OpenAIRE als Datenbasis dienen, zu denen die Fachcommunity jeweils Gutachten oder Rezensionen verfassen könne, die dann mit Namensnennung zusammen mit der Publikation selbst offen einsehbar sein würden.

siegertIn meinem Vortrag “Library Publishing as an option for innovative Peer Review and Open Access – an example from the field of Economics” stellte ich im Wesentlichen das E-Journal Economics vor, das vom Institut für Weltwirtschaft zusammen mit der ZBW herausgegeben wird.

Im Vordergrund standen dabei das Journal-Konzept und Details zu den Workflows im Rahmen des Open Peer Review. Darüber hinaus habe ich die Performance des Journals dargestellt und abschließend unter Lessons Learned die wichtigsten Erfahrungen beim Publizieren der Zeitschrift zusammengefasst.

Im letzten Vortrag des zweiten Tages berichtete Martyn Rittman vom Konferenzsponsor MDPI über die Aktivitäten des schweizerisch-chinesischen Open-Access-Verlags. Dieser wurde 1998 gegründet und verlegt mittlerweile etwa 140 Open-Access-Journals (einige davon auch mit Open Peer Review), von denen laut Rittman bereits 62 im Web of Science gelistet seien. Mit durchschnittlich etwa 900 Euro Autorengebühren bewege man sich zudem unterhalb des allgemeinen Durchschnitts für kommerzielle Fachverlage.

Auch der zweite Tag wurde mit einer Podiumsdiskussion abgeschlossen, bei der die wichtigsten Thesen der Vorträge noch einmal beleuchtet und erörtert wurden.

Alles in allem eine kleine und feine Tagung mit hochrangigen Referentinnen und Referenten, die sehr gut organisiert war und in den Pausen viele Möglichkeiten zum Austausch bot. Ergänzend zu den Vorträgen gab es zudem eine Posterausstellung.








Autor: Olaf Siegert (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Leitung der Abteilung Publikationsdienste)

The ZBW – Leibniz Information Centre for Economics is the world’s largest research infrastructure for economic literature, online as well as offline.

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