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Offenheit von Wissenschaft bedeutet, dass Zugang, Nutzung, Bearbeitung und Teilen für alle und für jeden Zweck frei und kostenlos sind. Damit verbunden ist ein Wandel, der das etablierte Wissenschaftssystem fundamental umkrempelt. Trotz zunehmender Beachtung, unter anderem auf europäischer Ebene mit der Open Science Agenda, ist die Umsetzung in der Praxis noch nicht sehr weit fortgeschritten. Daher hat der Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 am 26. Oktober 2015 zum Workshop “Opening Up Science” in Hamburg zum Austausch mit “Open Science-Praktikern” eingeladen (Einführungsvortrag von Prof. Isabella Peters). Die Veranstaltung wurde über ein Pad dokumentiert.

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Ein Jurist, ein Forscher und ein Kind betreten einen Makerspace: Was passiert?

Portraet-Puneet-Kishor-340x312 Mit dieser Frage eröffnete Puneet Kishor (@punkish), seine Keynote “A Lawyer, a Scientist, and a Kid walk into a Makerspace”. Die Antwort: der Jurist, der rechtliche Aspekte wie das Copyright repräsentiert, und der im formalen Wissenschaftssystem institutionell verankerte Forschende fühlen sich fehl am Platz und verlassen den Raum. Die Ursache liegt in der derzeitigen Trennung von formaler und informeller Wissenschaft (formal/informal academy). In jedem dieser Systeme gibt es “Forschende”, Inhalte, Infrastrukturen, Reputation, Community und Rahmenbedingungen für geistiges Eigentum. Die formale Wissenschaft repräsentiert das klassische, in sich geschlossene, Wissenschaftssystem, während die informale Wissenschaft außerhalb davon, durch die Öffentlichkeit, die sich beispielsweise über MOOCs fortbildet und in Makerspaces trifft, repräsentiert wird.

Das Beste aus zwei Welten

Dies gilt es zu ändern, denn beide Welten könnten voneinander profitieren. Dazu muss das gesamte Wissenschaftssystem offen sein, so dass praktisch jeder Zugang zu Wissen hat und zur Entdeckung von neuem Wissen beitragen kann. Neben positiven Ansatzpunkten wie Open Access sollten auch andere Teile des Wissenschaftssystems dafür betrachtet werden, wissenschaftliche Prozesse zur Erlangung neuen Wissens beispielsweise.

Die derzeitige “Copyright”-Kultur baut aber eher Hürden auf, die andere von der Nutzung ausschließen. Das Grundprinzip zur Öffnung der formalen Wissenschaft und deren Verbindung mit der informellen Wissenschaft ist die Bereitschaft, mit offenen Lizenzen zu teilen, also eine “Sharing”-Kultur zu etablieren, die eine Nachnutzung möglich macht.

Vielversprechende Ansätze in der Praxis

Daniel Mietchen (@EvoMRI) betonte in seinem Vortrag “Opening up the research cycle” daher auch den derzeitigen Mangel an offenen Inhalten. Zu den vielversprechenden Beispielen von Open Science zählt Wikidata. Hier wird eine offene Datenbank aufgebaut, deren Inhalte unter einer Creative Commons-Lizenz frei zur Verfügung stehen und auch von Forschenden genutzt werden.

Auch GitHub wird zunehmend von Forschenden genutzt, um beispielsweise Experimentergebnisse abzulegen und mit anderen zu teilen.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist das Open Science Framework, eine Cloud-basierte Arbeitsumgebung, in der private oder öffentliche Bereiche eingerichtet werden können. Mit dem Open Science Prize werden Projekte zur Förderung offener Inhalte finanziell unterstützt. Und zudem gibt es bereits eine Q&A Open Science-Plattform.

Einen persönlichen Praxiseinblick gab Christian Heise (@christianheise) in seinem Vortrag “Scientific writing in an open platform” über seine Erfahrungen, eine “offene Doktorarbeit” an der Leuphana Universität Lüneburg durchzuführen. Der aktuelle Stand ist jederzeit einsehbar.

Neue Technologien könnten Öffnung unterstützen

Sönke Bartling (@soenkeba) skizzierte am Ende seines Vortrag “Opening Up Science – to what end and why?”, welche derzeit aufstrebenden Technologien möglicherweise in Zukunft für die Wissenschaft genutzt werden könnten. Dazu gehört beispielsweise die so genannte Block-Chain-Technologie, auf der auch die digitale Währung Bitcoin basiert. Die neuere Plattform Ethereum nutzt diese Block-Chain-Technologie für digitale Verträge, die als smart contracts bezeichnet werden.

Open Science könnte diese Technologie etwa einsetzen, um fälschungssicher und öffentlich einsehbar festzuhalten (z.B. als smart contract), was jemand wann publiziert hat. Dieses Verfahren könnte auch auf andere wissenschaftliche Aktivitäten angewendet werden. Solch ein Szenario klingt zwar noch stark nach Zukunftsmusik, mit der Blockchain University gibt es aber bereits eine eigene Universität für diese Technologie.

Fehlende Anreize

Bei der abschließenden Diskussion im Plenum wurde es als ein zentrales Problem identifiziert, dass (nicht nur) Forschende nur dann etwas übernehmen, wenn sie einen direkten Mehrwert darin sehen. Diese Mehrwerte werden von vielen Forschenden (noch) nicht gesehen. Die Studie “Sharing Research Data in Academia” im Rahmen des Leibniz-Forschungsverbunds Science 2.0 ergab, dass 76% der befragten Forschenden zustimmen, dass andere Forschende ihre Daten öffentlich zugänglich machen sollten. Aber lediglich 13% haben ihre eigenen Daten bereits öffentlich geteilt. Fehlende Anreize sind auch ein Grund für die schwierige Operationalisierung von Open Science. Was bringt es den Forschenden offen zu sein, wenn es dafür im Wissenschaftssystem keine Punkte gibt, die für die weitere Karriere nützlich wären? Hier sind weitere Akteure gefragt. Open Science muss durch Fördergeber mit entsprechenden Programmen unterstützt und zudem in der wissenschaftlichen Vitae berücksichtigt werden.

Wandel in kleinen Schritten

Mehrfach wurde betont, dass Open Science sich nur in kleinen Schritten umsetzen lässt. Daher bringt es auch etwas, wenn Forschende im kleinen Rahmen “Open Science ausprobieren”, etwa in einem Projekt oder indem sie Studierenden in einem Kurs auferlegen, ihre Arbeitsergebnisse frei zugänglich zu machen. Dabei müssen manchmal auch Workarounds im bestehenden Wissenschaftssystem gefunden werden. Open Science sollte zudem frühzeitig in der wissenschaftlichen Ausbildung verankert sein.

Es ist aber auch klar, dass nicht alles offen sein kann, beispielsweise aus Datenschutzgründen. Zukünftig sollte “offen” aber der Standard sein und “geschlossen” nur mit Begründung eingesetzt werden. Offenheit und die Möglichkeit zur Verbreitung müssen einfach sein, die Privathaltung von Inhalten muss deutlich aufwändiger werden. Die Rolle von Bibliotheken könnte dabei darin bestehen, bei der Erschließung insbesondere auf offene Inhalte zu setzen.

Timeline #OpUpSci

Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer“ der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science. (Porträt: Photographer Sven Wied, ZBW©)

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