ZBW MediaTalk

von Birgit Fingerle und Guido Scherp

Die zehnte Ausgabe der Open Science Conference 2023 fand vom 27. – 29. Juni 2023 online statt. Den 228 Teilnehmenden aus 34 Ländern wurde ein abwechslungsreiches Programm aus 14 Vorträgen, 21 Praxisbeiträgen (Practical Solutions), acht Workshops und einem Panel angeboten.

Eröffnet wurde die Konferenz wie in den Vorjahren von Professor Klaus Tochtermann, Direktor der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Er skizzierte die Entwicklung der Tagung seit 2014, die damals noch Science 2.0 Conference hieß. Ihr thematischer Schwerpunkt lag ursprünglich auf der Nutzung von partizipatorischen Werkzeugen, beziehungsweise auf dem Einfluss von sozialen Medien auf die Forschung und den damit verbundenen Änderungen. Seit 2017 bildet Open Science den Schwerpunkt, anfänglich noch stark geprägt durch Policy-Themen und einen Fokus auf Forschungsdaten, beispielsweise im Kontext der European Open Science Cloud (EOSC). Neben einem erweiterten Themenspektrum wird Open Science auf der Konferenz zunehmend aus globaler Perspektive betrachtet, indem beispielsweise verstärkt Themen wie Inklusion und Gerechtigkeit aufgegriffen werden. Das Programm ist zudem mittlerweile stark geprägt durch erfolgreiche Praxisbeispiele für offene Forschung, aber es werden stets auch aktuelle Herausforderungen aufgegriffen. Von den spannenden Einblicken der Konferenz greift der Blogpost einige auf.

Good-Practices: Open Science strategisch aufgreifen

Mehrere Beiträge zeigten eindrucksvoll, wie offene Praktiken strategisch verankert und mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen umgesetzt werden können.

Ludwig Hülk, Wissenschaftler und Projektleiter am Reiner Lemoine Institut, stellte in seinem Vortrag “Unite behind the (Open) Science – Open Science for a Global Energy System Transformation” vor, wie die Verankerung in der Community der Energiesystem-Forschung gelungen ist. Da energiebezogene CO2-Emissionen einen hohen Anteil am Gesamtausstoß haben, hat die Dekarbonisierung der Energiesysteme eine besondere Relevanz zur Bewältigung der Klimakrise. Und die Zeit drängt. Somit waren Effizienz und hohe Nachnutzbarkeit der Ergebnisse zentrale Trigger, um konsequent offene Praktiken zu verankern. Daraus ist ein kollaboratives Open-Science-Ökosystem entstanden, mit verschiedenen Plattformen und Werkzeugen, mit denen beispielsweise offene und FAIRe Daten geteilt werden. Einige der Werkzeuge können auch von der Öffentlichkeit genutzt werden.

In dem Vortrag “Leading Change in Organizations: Towards an Open Knowledge Infrastructure for Nature” gab Jana Hoffmann, Co-Leiterin des Wissenschaftsprogramms “Zukunft der Sammlung” am Museum für Naturkunde Berlin (MfN), das zugleich ein Forschungsmuseum ist, einen Einblick in einen dort laufenden Transformationsprozess.

Ziel ist es, die gesamte Sammlung zu einer offenen Wissensinfrastruktur auszubauen und insbesondere über digitale Methoden komplett neu zugänglich zu machen. Dies dient der Forschung selbst, bringt aber auch Forschung und Öffentlichkeit enger zusammen. Mit zahlreichen Beispielen zeigte sie, wie Wissen zugänglich gemacht und neue Möglichkeiten der Teilhabe der Öffentlichkeit im virtuellen Raum sowie vor Ort entstehen beziehungsweise wie beide Welten zusammengebracht werden. Hier entstand ein einzigartiges Umfeld, um offene Praktiken auszuprobieren und zu reflektieren.

Open Science gegen verschwendete Forschung und weitere Ineffizienzen

Um die Herausforderungen von Forschenden in der Ökologie ging es in dem Keynote-Vortrag “Meta-Science and Open Science for Ecology: The Revolution We Need” von Antica Culina, leitende Wissenschaftlerin am Ruder Boskovic Institute. Ihre Arbeit zu lokalen und globalen Herausforderungen rund um den Klimawandel, die sie mit Open Science lösen möchte, wird nicht nur durch die extreme Komplexität ökologischer Systeme, sondern auch durch die schlechte Zugänglichkeit und Nachnutzbarkeit vorhandener Forschungsarbeiten erschwert. Dazu präsentierte Antica Culina verschiedene Fallstudien.

So hat sie gemeinsam mit anderen Forschenden die “Wasted Research” in der Ökologie kalkuliert. Ergebnis: von mehr als 10.000 Studien wurden 45% gar nicht erst veröffentlicht. Von den veröffentlichten Studien wies wiederum ein Großteil gravierende Qualitätsmängel auf. Dies führte im best-case Szenario zu 82% und im worst-case Szenario zu 89% Wasted Research. Open Science betrachtet sie als zentralen Enabler, um diese Ineffizienzen zu verbessern und die komplexen Forschungsherausforderungen möglichst schnell zu lösen.

In der Ökologie gibt es zwar ein paar Beispiele für fast sofortiges Data Sharing. Aber generell sind Open-Science-Praktiken dort noch wenig verbreitet. Ein Test von gefundenen offenen Daten in Bezug auf ihre Nachnutzbarkeit war nicht sehr erfolgreich. In vielen Fällen waren die Daten nicht nachnutzbar, weil sie von zu schlechter Qualität waren. In einem anderen Fall konnten sie zu einer Forschungsfrage zwar sehr viel Open Data finden, konnten bei genauerem Hinschauen wegen schlechter Datenqualität aber letzten Endes die geplante Studie nicht durchführen.

Als weiteren Bereich betrachtete Antica Culina Open Code. Angesichts der gravierenden Auswirkungen auf Forschungsergebnisse, die bereits kleine Programmierfehler haben können, verwundere es, dass Code nicht Teil des Peer-Review-Prozesses ist, wie es in der Software-Entwicklung der Fall sei. Durch Teilen von Code lassen sich Analysen besser verstehen, die Schlussfolgerungen evaluieren und der Code nachnutzen, was viel Arbeitszeit sparen kann. Es erhöht auch das Vertrauen in die Wissenschaft, weil es sie besser reproduzierbar macht. Eine Analyse der Daten von 400 zufälligen Papers aus Journals mit Code-Sharing-Poli zeigte jedoch, dass bei 73% der Papers dennoch kein Code verfügbar war. Zusammen mit weiteren Problemen führte dies dazu, dass nur 21% potentiell computationally reproducible waren.

Motivation und Commitment als Treiber offener Forschung

Erstmals gab es auf der diesjährigen Tagung so genannte “Highlight Talks” zu den neuesten Forschungserkenntnissen über Open Science.

Ronny Röwert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technische Bildung und Hochschuldidaktik der Technischen Universität Hamburg, stellte in seinem Beitrag “What Drives Open Science Pioneers? Evidence from Open Science Award Winners” eine Studie im Rahmen seiner Doktorarbeit vor, in der er 13 Gewinner:innen von Open-Science-Awards nach ihren Beweggründen für offene Forschung befragt hatte. Die am meisten genannten Gründe waren die Nachnutzung der eigenen Forschungsergebnisse (Nutzen für die Wissenschaft), Zitationsvorteile (Nutzen für Forschende) und öffentliches Interesse beziehungsweise die gesellschaftliche Relevanz der Forschung (Nutzen für die Gesellschaft). Trotz vorhandener Unterschiede zwischen den Disziplinen zeigte sich immer ein ausgewogenes Zusammenspiel zwischen egoistischen und altruistischen Beweggründen. Röwert betonte im Fazit, wie wichtig Motivation bei der Umsetzung von Open Science sei und dass für ein starkes Commitment entsprechende Rahmenbedingungen vorhanden sein müssen. Ansonsten gelte:

“Research culture eats open science strategy for breakfast.”

In dem Beitrag “Results of Monitoring on Open Science and Research in Finland: Perspective of the UAS Sector” stellte Anne Kärki, Forscherin an der Satakunta Hochschule für angewandte Wissenschaften, die Ergebnisse eines Open-Science-Monitoring für Fachhochschulen in Finnland vor.

Die “Declaration for Open Science and Research 2020-2025”, (PDF) ist eine gemeinsame Vision für die finnische Wissenschaftscommunity, und die 23 Fachhochschulen eint ihr starkes Commitment dazu. Über ein fragebogengestütztes Monitoring (die Daten sind offen) wurde erstmals der Umsetzungsgrad von Offenheit gemessen. Dieser umfasste die Bereiche Kultur für offene Wissenschaft, offener Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen, offener Zugang zu Forschungsdaten und -methoden sowie offene Bildung und offener Zugang zu Bildungsressourcen. Es zeigte sich, dass der Großteil der Fachhochschulen schon sehr gut da steht, insbesondere was offene Zugänge betrifft. Defizite wurden hinsichtlich der Open-Science-Kultur identifiziert, unter anderem weil Konzepte wie Citizen Science noch nicht richtig greifbar sind. Der Bereich offene Bildung zeigte sich im Umsetzungsgrad sehr heterogen; einige Fachhochschulen haben ihn noch gar nicht aufgegriffen. Kärki betonte, dass das erste Monitoring bewusst noch nicht alles umfasste und nicht so streng war.

Einbindung des Nachwuchses zentral bei Reform der Forschungsbewertung

Das aktuell sehr präsente Thema der Reform der Forschungsbewertung, das insbesondere durch CoARA (Coalition for advancing research assessment) vorangetrieben wird, und der Zusammenhang von CoARA mit Open Science wurden auf dem Panel zum Thema “Reforming Research Assessment in the Spirit of Open Science” diskutiert.

Youtube: Podeumsdiskussion mit Lidia Borrell-Damian, Iain Hrynaszkiewicz, Claudia Labisch und Iris Lechner:Reforming Research Assessment in the Spirit of Open Science, zbw©

Mit Lidia Borrell-Damian (Science Europe) als Mitglied des CoARA Steering Board, Iain Hrynaszkiewicz (PLOS) als Vetreter eines Verlags, Claudia Labisch (Leibniz Association) als Vertreterin einer Forschungsorganisation und Iris Lechner als Nachwuchswissenschaftlerin waren verschiedene Perspektiven vertreten.

Nach anfänglichem Zögern haben mittlerweile rund 600 Organisationen die CoARA-Vereinbarung unterschrieben, darunter PLOS und die Leibniz-Gemeinschaft. Es gab und gibt durchaus Bedenken aus der Forschung. Unter anderem wurde befürchtet, dass der von der Europäischen Kommission gestartete Reformprozess zu stark wissenschaftspolitisch geleitet sei und der Wissenschaftscommunity die Kontrolle entziehen würde. Mittlerweile konnten diese Bedenken ausgeräumt werden. Im Panel wurde festgehalten, dass Forschungsbewertung natürlich wissenschaftsgeleitet bleiben müsse und bestehende Systeme berücksichtigt werden müssten.

Der Verlauf der Diskussion zeigte, dass Open Science als integraler Bestandteil von CoARA gesehen wird, gehört sie doch zu den wichtigsten Treibern. Daher müsse die Einbindung von Open-Science-Advocat:innen überall sichergestellt sein, auch bei den einzurichtenden Arbeitsgruppen. Vom Panel gab es eine klare Ansage an die Open-Science-Community:

“Bringt euch ein! Denn letztlich haben CoARA und Open Science ein gemeinsames Ziel, die Forschung zu verbessern.”

Finden muss sich hingegen noch die Rolle der Verlage in diesem Prozess. Derzeit ist sie eher beobachtend. Letztlich sei es Teil des Reformprozesses, die Anerkennung von diverseren Forschungsleistungen durchzusetzen, beispielsweise von Daten und Code. Dies werde Auswirkungen auf zukünftige Publikationsformate, ihre Verknüpfung miteinander und ihre Begutachtung haben.

Als wichtigster Aspekt wurde mehrfach die Berücksichtigung von Nachwuchsforschenden betont. Im CoARA Steering Board sind sie bereits repräsentiert und dies wird auch für alle Arbeitsgruppen sichergestellt. Im Rahmen der Reformen müsse auch breit diskutiert werden, was ein:e zukünftige:r Forscher:in eigentlich ist und welche Leistungen anerkannt werden, beispielsweise auch Teamführung, Wissenschaftskommunikation und die Einbindung der Öffentlichkeit. Betont wurde im Panel auch, dass dieser Prozess Zeit brauchen werde und Nachwuchsforschende nicht die Geduld verlieren sollten. Um so wichtiger sei es, die Übergangsphase der Forschungsbewertung so zu gestalten, dass Nachwuchsforschende stets Orientierung bekommen. In einem Statement ausgedrückt gelte für den Reformprozess:

“Generation of young researchers must be the winners.”

We cannot turn the wheel back

Zur Zusammenfassung der Konferenz lässt sich gut ein Statement aus dem Panel aufgreifen: “We cannot turn the wheel back”. Auch wenn der Weg noch lang ist, Open Science ist auf dem besten Weg zum modus-operandi der Wissenschaft zu werden und mit jedem Jahr werden weitere Weichen gestellt. Die Open Science Conference hat in 2023 wieder gute Einblicke gegeben, wie Open Science in der Praxis aussehen kann.

Sämtliche Vorträge und das Panel wurden aufgezeichnet und sind auf YouTube zu finden. Die Folien zu den Vorträgen liegen auf Zenodo.

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Über die Autor:innen:

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem “Open Economics Guide”.Birgit Fingerle ist auch auf LinkedIn zu finden.
Porträt, Fotograf: Northerncards©

Dr. Guido Scherp ist Leiter der Abteilung “Open-Science-Transfer“ der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Er ist auch auf LinkedIn und Twitter zu finden.
Porträt: ZBW©, Fotograf: Sven Wied

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