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Die Bibliothek als analoger Raum mit ihren diversen Funktionen ruht während der Corona-Pandemie. Nutzer:innen finden Informationen, Beratung und Seminare digital. Austausch, Netzwerken und kooperatives Lernen können hingegen kaum stattfinden. Wie soll der Lern- und Veranstaltungsort in der Bibliothek für unsere Nutzer:innen zukünftig aussehen? Ist hybrid die neue Lösung? Mit diesen Fragen beschäftigen sich aktuell Nicole Clasen und Alena Behrens aus der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Die ZBW betreibt Bibliotheken in Kiel und Hamburg.

Interview mit Nicole Clasen und Alena Behrens

Der Hamburger Standort der ZBW zieht in ein paar Jahren in ein neues Gebäude um. Aus diesem Anlass habt ihr kürzlich definiert, welche Räume und Raumelemente für den modernen Bibliotheksbetrieb in all seinen Facetten benötigt werden und was nicht mehr gebraucht wird. Was war euch wichtig?

Wichtig ist uns, einen attraktiven Ort zu schaffen, der zum Austausch und zu kooperativem Arbeiten und Lernen anregt. Dazu gehört grundlegend eine offene und moderne Architektur, die zum Betreten der Bibliothek einlädt.

Neues Gebäude für die ZBW – Hamburg (Außenansicht) auf dem Campus der Universität. Bildnachweis: Andreas Heller Architects & Designers

Außerdem wird es Bereiche geben, in denen die Möblierung flexibel ist. Das ist durch Rollen an den Stühlen und Tischen möglich, oder indem man leichte Möbel wählt. Die Nutzer:innen können sich so die Arbeitsbereiche nach ihrem momentanen Bedarf gestalten: Es können kleine oder größere Möbelgruppen gebildet werden, Gruppentische oder eine Aufstellung im Kreis – so wie man eben gerade arbeiten möchte.

Neues Gebäude für die ZBW – Hamburg auf dem Campus der Universität. Bildnachweis: Andreas Heller Architects & Designers

Grundlegend wichtig ist zudem eine gute technische Ausstattung. Es wird natürlich flächendeckendes WLAN geben und an allen Arbeitsplätzen ausreichend Steckdosen, sodass mit den eigenen Geräten gearbeitet werden kann. Zusätzlich werden wir verschiedene große Monitore anbieten, um das kollaborative Arbeiten zu ermöglichen und zu unterstützen.

Neues Gebäude für die ZBW – Hamburg auf dem Campus der Universität. Bildnachweis: Andreas Heller Architects & Designers

Woher wusstet ihr, was für die Nutzer:innen der ZBW wichtig ist?

Seit 2016 führen wir jährliche Studien mit Methoden der User Experience (UX) durch. Vier Best-Practice-Beispiele haben wir in diesem Artikel vorgestellt. UX beschäftigt sich vor allem mit dem tatsächlichen Handeln der Nutzer:innen, die Ergebnisse unterscheiden sich also deutlich von denen klassischer Fragebögen. Dadurch haben wir einen guten Eindruck von den Arbeitsweisen und Wünschen unserer Nutzer:innen. Durch Beobachtungsmethoden wird auch unbewusstes Handeln der Menschen untersucht. Das sind Dinge, die sie selbst nie so in Fragebögen angeben könnten oder würden. Im Beitrag „User Experience für Bibliotheken: die besten Werkzeuge und Methoden für Einsteiger:innen“ verraten wir, wie Bibliotheken in die User Experience einsteigen können. Unsere Nutzer:innen partizipieren so also in der Weiterentwicklung der Bibliothek.

User Journey Map, eine Methode der User Experience, bei der die Gefühle von Nutzer:innen bei bestimmten Aufgaben visualisiert werden. (UX Libs Konferenz 2018)

Dazu kommt der tägliche Kontakt mit Nutzer:innen, sei es an der Servicetheke, dem zentralen Anlaufpunkt in der Bibliothek, oder über unsere digitalen Beratungsangebote, wie Chat oder Schulungen.

Gab es Elemente aus der klassischen Bibliothek, die für das neue Gebäude nicht mehr benötigt werden?

Etwas, was man klassischerweise mit Bibliotheken verbindet, sind scheinbar endlose Regalreihen mit Büchern. Auf so eine Freihandaufstellung verzichten wir aus verschiedenen Gründen schon länger, und es wird auch im neuen Gebäude keine frei zugänglichen Regale geben. Dadurch haben wir mehr Raum für Arbeitsplätze. Alle Bücher sind für Nutzer:innen erstmal unzugänglich im Magazin verstaut. Nach einer Bestellung sind die Bücher innerhalb einer Stunde verfügbar. Zudem verwenden unsere Nutzer:innen bei der Recherche in EconBiz so analoge und digitale Bestände gleichermaßen.

Wir werden auch weniger Computer anbieten. Die Nutzer:innen bevorzugen ihre eigenen Geräte, und wir werden diese lediglich durch Monitore etc. ergänzen. Der Zugriff auf lizenzierte Literatur ist mittels Remote Access möglich.

Außerdem werden wir mehr Gruppenräume statt nur Gruppenarbeitsplätze anbieten. In den Räumen können sich die Nutzer:innen zum gemeinsamen Arbeiten treffen. Durch den geschlossenen Bereich werden andere Gruppen nicht gestört, und jede Gruppe kann für sich diskutieren und arbeiten. Dies ermöglicht etwa auch das Arbeiten per Video-Tools aus der Bibliothek heraus mit anderen, ohne dass jemand durch Geräusche gestört wird oder im Hintergrund Personen herumlaufen.

Einen extra eingerichteten Beratungsplatz an der Servicetheke wird es auch nicht mehr geben. Natürlich sind wir dort weiter ansprechbar bei Fragen und Problemen. Aufwendigere Beratungen bezüglich Recherchen werden dann aber durch digitale Angebote abgedeckt.

Corona hat uns gelehrt, dass Vieles digital geht. Braucht man also überhaupt noch Bibliotheken vor Ort? Wozu? Für wen? Und wer wird Bibliotheken zukünftig nur noch digital nutzen?

Bibliotheken als Ort sind weiter wichtig. Sie sind einer der wenigen Orte, an denen man kein Geld ausgeben muss, um zu sein. Die Nutzung der Bibliothek vor Ort bietet zudem einen entscheidenden Mehrwert als Lern- und Veranstaltungsort.

Als Lernort ist sie weiter wichtig, da sie einen Treffpunkt bietet, an dem man zusammen arbeiten kann. Vielen Menschen ist dies zu Hause nicht unbedingt gegeben, da zum Beispiel nicht genügend Platz in der Wohnung ist, um mit mehreren zusammen zu arbeiten, oder die Ausstattung wie Monitore fehlen, um das Arbeiten entspannter zu gestalten. Auch Studierende, die in WGs oder bei den Eltern wohnen, finden dort nicht immer unbedingt die gewünschte Ruhe für konzentrierte Einzelarbeit. Für alle diese unterschiedlichen Arbeitsbedürfnisse bietet die Bibliothek Raum.

Auch als Veranstaltungsort wird die Bibliothek weiter ihren Platz haben, um für den Austausch von Wissen und die Vernetzung zusammen zu kommen.

Bibliotheksführungen werden wir in Zukunft digitaler gestalten. Zurzeit bieten wir diese rein virtuell über Video-Tools an. Dies werden wir in Zukunft weiter kombinieren und ausbauen. Bereits vor Corona haben wir angefangen, eine Bibliotheksführung mit Hilfe von Augmented Reality zu entwickeln. Dabei wird der physische Bibliotheksraum durch digitale Angebote erweitert. Weitere solche Projekte sind in Zukunft denkbar. Bei solchen digitalen Angeboten ist die Partizipation der Nutzer:innen wichtig. Sie sollen dabei ja etwas mitnehmen und lernen. Im besten Fall kommt man wieder in den Austausch miteinander.

Was waren eure Positivbeispiele für Bibliotheken als Orte? Welche anderen (Bibliotheks-)Orte haben euch inspiriert? Warum?

Wir haben uns sehr von skandinavischen und niederländischen Bibliotheken inspirieren lassen. Dort sind in den letzten Jahren beeindruckende Neubauten entstanden, die nicht unbedingt immer den klassischen Bibliotheken entsprechen, wie wir sie in Deutschland erwarten. Diese Länder denken Bibliotheken unkonventioneller und moderner. Davon wollten wir Elemente bei uns aufnehmen.

Ein Positivbeispiel war das Dokk1 in Aarhus (Dänemark) english. Beeindruckt hat uns das unkomplizierte Nebeneinander. Die lernenden Studierenden sitzen neben dem Veranstaltungsbereich, ein paar Meter weiter befindet sich der Kinderbereich, in dem die Kleinen toben. Doch keine Partei wird durch die anderen gestört, dort wird die Akustik sehr gelungen gesteuert. Insgesamt ist die Bibliothek sehr spielerisch. Durch Poster und andere Präsentationen wird auch gezeigt, an welchen Projekten die Bibliothek beteiligt ist und welche Themen gerade in der Arbeit relevant sind.

Eine weitere inspirierende Bibliothek ist die Utrecht University Library (Niederlande). Dadurch, dass es eine wissenschaftliche Bibliothek ist und die Universität einen Open-Science-Schwerpunkt hat, ist sie von den Anforderungen mit denen der Bibliothek der ZBW vergleichbar.

Ihr habt kürzlich auf der re:publica 2021 eine Session zu „Lernort Bibliothek – hybrid und partizipativ?” gemacht. Was waren eure drei interessantesten Erkenntnisse daraus? Was bewegt die Bibliothekscommunity gerade?

  • In Bibliotheken besteht großes Interesse, die eigenen Nutzer:innen besser kennenzulernen.
  • Sie haben den aktiven Wunsch, Räumlichkeiten umzugestalten und an die Bedürfnisse anzupassen.
  • Uns allen ist bewusst, dass es Veränderungen geben wird, dass wir nach Corona nicht direkt da weitermachen können, wo wir im März 2020 aufgehört haben.

Wir haben gemerkt, dass zu diesem Thema Austausch wichtig ist. Deshalb werden wir einen Roundtable zu UX in Bibliotheken starten. Dabei sollen sich Interessierte zu Nutzerforschungsprojekten austauschen und brainstormen können, um dies weiter in Bibliotheken zu verbreiten und so besser auf die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzer:innen eingehen zu können. Bei Interesse an dem Austausch, kann unter Kontakt zu uns aufgenommen werden.

Warum wird in diesem Zusammenhang Medientechnik in Bibliotheken in Zukunft eine wichtige Rolle spielen?

Die Medientechnik ist ein Kriterium, das den Mehrwert von Bibliotheken ausmacht. Wenn sich dort Medien finden, zu denen Nutzer:innen zu Hause keinen Zugang haben, wird der Besuch direkt reizvoller. Dies können große Monitore zum gemeinsamen Arbeiten an Präsentationen und Projekten sein. Aber auch zum Beispiel die Makerspaces in vielen öffentlichen Bibliotheken. Diese bieten viele Dinge, die man zu Hause nicht hat, und werden so attraktiv für neue Zielgruppen.

Gute Hard- und Software sind auch für die Bibliotheksbeschäftigten wichtig, um digitale Angebote angemessen umsetzen zu können. Eine digitale Coffee Lecture sollte mit gutem Ton, Bild und ohne Ruckler durch schlechtes Internet abgehalten werden. Und auch vermeintlich kleine Dinge, wie die Bildstabilisierungshilfen bei Kameras, helfen, um das gedrehte Video besser zu machen.

Wie wichtig Medientechnik in Bibliotheken ist, lässt sich auch daran erkennen, dass es inzwischen zu den (praktischen) Ausbildungsinhalten zählt. Auszubildende zu Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (kurz FaMI) und Studierende werden so besser auf den Arbeitsalltag vorbereitet.

Wird hybrid die neue Normalität in Bibliotheken? Wie kann das aussehen?

Bibliotheken werden in Zukunft viele hybride Elemente haben. Es wird den physischen Ort geben für das Zusammenkommen, das gemeinsame Lernen und den Austausch.

Die Literatur wird jedoch überwiegend digital verfügbar sein. Ebenso werden vermehrt Angebote, Schulungen und Workshops digital angeboten werden.

Vor Corona gab es bereits Überlegungen, diese Angebote digitaler zu gestalten. Jedoch gab es da noch viele Unsicherheiten und Zweifel, wie dies funktionieren kann und umzusetzen ist. Nicole hat dazu mal etwas im Podcast erzählt: Digitale Bibliothek erleben. Die letzten Monate, in denen man wenig andere Möglichkeiten hatte und einfach ausprobiert hat, haben gezeigt, dass es möglich ist. Die Pandemie hat dem Feld neue Dynamiken und Möglichkeiten gebracht.

Wir sprachen mit Nicole Clasen und Alena Behrens.

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