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Am 31.05.2018 fand in der Fachhochschule Kiel (FH Kiel) das erste Netzwerktreffen “Künstliche Intelligenz (KI) – Perspektiven für Schleswig-Holstein” statt. Veranstaltet wurde es von Open Campus, der Staatskanzlei von Schleswig-Holstein, Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein (DiWiSH) sowie der FH Kiel.

Mit der Veranstaltung wurde eine erste große Bühne für Künstliche Intelligenz in Schleswig-Holstein bereitet. Rund 200 Gäste lauschten etwa 50 Kurzvorträgen mit einer Länge von maximal vier Minuten. Lange Pausen dienten zur Förderung der Vernetzung. Live-Umfragen mit Sli.do am Beginn und am Ende der Veranstaltung aktivierten das gesamte Publikum.
Grußworte des Ministerpräsidenten Daniel Günther und des Chefs der Staatskanzlei, Dirk Schrödter, verdeutlichten die Bedeutung, die die schleswig-holsteinische Politik dem Thema beimisst.

Viele Facetten Künstlicher Intelligenz

Zu den vielfältigen Themen des Vernetzungsevents zählten unter anderem die Entwicklung von Services in der Cloud (Frederik Bernard, 40° GmbH Labor für Innovation), die Sicherheit von Künstlicher Intelligenz (Prof. Dr. Dirk Nowotka, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)), die Optimierung von Logistik und Services mit KI, von der auch Umwelt und Gesellschaft profitieren (Britta Blömke, FLS GmbH) – sowie die massive Zunahme des Energiebedarfs, die es erforderlich mache, neue Wege zu gehen (Prof. Dr. Hermann Kohlstedt, CAU).

Eike Meyer (IBM) erklärte am Beispiel des in der Veranstaltung ausgegebenen Programmzettels anschaulich, was Künstliche Intelligenz eigentlich ist: Menschen haben Erfahrungen und Kontextwissen. Damit können sie etwa einen solchen Programmzettel erkennen. Hingegen ist eine KI erst einmal wie ein Kind, das noch nichts in seinem Leben gesehen und gelernt hat. So muss auch der KI erst einmal alles antrainiert werden. Für den Einsatz in der Praxis gilt es zu prüfen, wie dadurch ein Mehrwert gewonnen werden kann.

Auto-Annotation, -Klassifikation und -Ghostwriting

Einige Vorträge verdeutlichten, wie sehr KI-Anwendungen für Bibliotheken interessant sind. Frank Benson (VITEC GmbH) sprach über die Auto-Annotation von Videos. Seine Firma extrahiert Thumbnails aus Videos nach bestimmten Regeln, setzt Zeitstempel, analysiert die Thumbnails, indexiert und macht die Thumbnails suchbar, alles automatisiert. Dies ermöglicht deutlich umfangreichere Videoauswertungen und bessere Auffindbarkeit. Auch der direkte wissenschaftliche Einsatz ist möglich. So können Tiere in Videos automatisiert erkannt und klassifiziert werden.

Die “Klassifikation von Sammelkarten mit Hilfe von neuronalen Netzen” war das Thema von Malte Delfs von der Snapp.ai GmbH. Mit der App Snapcardster werden die Sammelkarten per Smartphone-Kamera eingescannt und durch neuronale Netze klassifiziert. Dies funktioniert mit den etwa 35.000 Magic-Sammelkarten, die sich alle recht ähnlich sehen.

Prof. Dr. Ansgar Scherp (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und CAU) stellte drei Projekte vor, die KI für die Wissenschaft einsetzen. Eingesetzt werden dabei einerseits das Text Mining, der Einsatz von KI für die automatische Indexierung, zum anderen das Data Mining, das Auffinden von Metadaten im EU-Projekt MOVING – sowie als drittes die Extraktion von Inhalten aus Bildern, wodurch wissenschaftliche Abbildungen durchsuchbar gemacht werden.

Möglicherweise könnte Künstliche Intelligenz also auch das Problem lösen, das Marc Pickard ansprach: Es gibt riesige Datenmengen im Gesundheitswesen. Das Problem für ihren Einsatz zu Forschungszwecken: Sie sind nicht annotiert.

Frau Prof. Dr. Doris Weßels (FH Kiel) wagte ein unterhaltsames wie alarmierendes Gedankenspiel zu wissenschaftlichem Arbeiten. Anhand von Beispielpersonas spielte sie „Das Duell der KI-Agenten: Wissenschaftliche Arbeiten an Hochschulen vor der Sinnfrage“ durch. Durch KI gestütztes Ghostwriting macht extreme Produktivitätssteigerungen bei wissenschaftlichen Arbeiten möglich. Das Szenario: Thesis-Plattformen, bei denen Plagiatsvermeidung garantiert ist, vermitteln Ghostwriting-Services. Eine KI erarbeitet sehr schnell einen ersten, bereits gut gelungenen Entwurf einer Bachelorarbeit. Auf der anderen Seite ist es denkbar, dass Professorinnen und Professoren nicht nur automatisierte Plagiatserkennung angeboten bekommen, sondern darüber hinaus wissenschaftliche Gutachten, die ihnen quasi auf Knopfdruck geliefert werden. Ein möglicher Produktivitätsgewinn also, der mit dem Verlust des Sinns wissenschaftlicher Arbeiten erkauft wird.

Großer Nutzen von KI für Datenauswertung und Citizen Science

Künstliche Intelligenz verspricht einen großen Nutzen für die Forschung, weil sie es erleichtert, kausale Zusammenhänge aus beobachteten Daten zu erkennen (Prof. Dr. Marciej Liśkiewicz, Universität zu Lübeck). So würde die Nutzbarmachung von klinischen Versorgungs- und Forschungsdaten für KI es ermöglichen, einen großen Gewinn für die Forschung daraus zu ziehen (Prof. Dr. med. Dr. Jens K. Habermann, Universität zu Lübeck und UKSH).

Bei der Sichtung von Bildern können Forschende und Citizen Scientists durch Künstliche Intelligenz unterstützt werden. Johannes Brünger (CAU) berichtete, wie sich damit unter anderem das Tierwohl verbessern lässt. Die für Menschen ermüdende Aufgabe, Bilder von Schlachttieren zu sichten, lässt sich durch neuronale Netzwerke automatisieren. So werden wertvolle Erkenntnisse über und für das Tierwohl gewonnen. Bei dem von Simon-Martin Schröder (CAU) vorgestellten Projekt “Plankton fischen mit Neuronalen Netzen” werden Planktonbilder auf PlanktonID von Citizen Scientists und Expertinnen und Experten durchgesehen. Bislang war die unzureichende Sortierung dabei ein Problem. Eine deutliche Arbeitserleichterung und Zeitersparnis zeigte sich durch die Lösung, künstliche und menschliche Intelligenz zu kombinieren. Dieser Ansatz wird von der Forschergruppe auch auf medizinische Forschungszwecke übertragen.

Die Menschen mitnehmen – Wissen vermitteln, Akzeptanz schaffen

Um die Akzeptanz für Künstliche Intelligenz zu schaffen, ist die Einbindung von Nutzerinnen und Nutzern bei der Entwicklung von Anwendungen ebenso ein Schlüssel zum Erfolg wie Anstrengungen im Bereich der Bildung.

Prof. Dr. rer. nat. Tilo Mentler (Universität zu Lübeck) sprach über die menschzentrierte und partizipative Gestaltung Künstlicher Intelligenz. So kann ein iteratives Vorgehen unter Einbezug der Nutzenden, etwa von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Energieleitwarten im Rahmen der Energiewende Akzeptanz für KI schaffen. „Explainable Artificial Intelligence“ ist ein wichtiges Stichwort in diesem Kontext. Dabei geht es darum, ein Sortiment an Techniken für das Maschinenlernen zu kreieren, die erklärbare Modelle produzieren, um es Nutzerinnen und Nutzern zu ermöglichen, sie zu verstehen, ihnen zu vertrauen und sie zu managen.

Zur Ethik innovativer Technologien sprach Dr.-Ing. Christian Hoffmann (Universität zu Lübeck). Themen sind hier die Verantwortung der Forschung, Stichwort „Responsible Research and Innovation“ (RRI) und ein Bildungsauftrag in Richtung der Gesellschaft.

Dr. Christian Wiele (Atlantic Tech & Candy) sieht derzeit eine große Kluft zwischen Machine-Learning-Expertinnen und -Experten und dem Rest der Gesellschaft: Es gibt kaum populärwissenschaftliche Publikationen darüber, wie etwa ein neuronales Netzwerk funktioniert. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Lücke zu überbrücken. Schließlich liegt der große Teil der Daten bei Menschen, die keine Ahnung von den Potentialen von Machine Learning haben. Sie sollen über Maschinenlernen lernen, damit sie dessen Potential einschätzen und nutzen können.

In eine ähnliche Richtung ging Prof. Dr. Björn Christensen (FH Kiel) in seinem Beitrag “Empirisches Verständnis als Grundlage intelligenter Analysen und Prognosen in der Praxis.” Jeder, der solche Verfahren entwickelt, sollte hinausgehen in die Welt, und in verständlichen Worten erklären, wie diese intelligenten Analysen überhaupt funktionieren. Dafür müsse erst einmal das empirische Verständnis gefördert werden.

Was dafür getan werden muss, damit das Potential von KI genutzt werden kann, wurde in verschiedenen Beiträgen thematisiert. Dafür sind Bildungsanstrengungen auf verschiedenen Ebenen notwendig, unter anderem indem Kinder bereits in der Schule für IT und KI begeistert werden. Hier sind wichtige Beiträge von Wissenschaft und Infrastruktureinrichtungen denkbar.

Weiterführende Informationen:

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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