ZBW MediaTalk

Es lohnt sich immer wieder, den Blick rechts und links von der Bibliothekswelt schweifen zu lassen. Dies bewies das Scoopcamp 2016, die Innovationskonferenz für Onlinemedien, veranstaltet von der Initiative nextMedia.Hamburg und der Deutschen Presse-Agentur. Es fand am 29.09.2016 im Theater Kehrwieder in Hamburg statt. Einmal im Jahr kommen beim Scoopcamp fast 300 Teilnehmende der IT- und Medienbranche zur Diskussion (Twitter-Hashtag: #scoop16) über Trends und aktuelle Themen an der Schnittstelle zwischen Redaktion, Programmierung und Produktentwicklung zusammen.

Moderatorin” Eva-Maria Lemke (Journalistin, Reporterin und Moderatorin von ZDF Heute+, das selbst “social first” ist, denn erst erfolgt das Streaming, dann die Ausstrahlung im TV) moderierte passend zur Veranstaltung mit Tablet das Programm.

“Angstrunden” durch “Zukunftsrunden” ersetzen

Die erste Keynote hielt Verena Pausder. Die Gründerin des Kinderspiele- und Lernapp-Entwicklers Fox and Sheep wurde mit dem Scoop Award ausgezeichnet. Digitale Bildung und Unternehmertum gehören zu ihren Themen, wie beispielsweise ihr Blogpost zur “Zukunftsbremse Schule” zeigt. Kindern beizubringen, wie sie mit Digitalem kreativ werden können, und dabei gerade auch kleine Mädchen an Computer und das Programmieren heranzuführen, beschrieb sie als ihre Mission. Da “digitales Basteln” noch nicht etabliert ist, hat sie die HABA Digitalwerkstatt ins Leben gerufen, die gewisse Parallelen zu Makerspaces in (Öffentlichen) Bibliotheken aufweist.

Leidenschaft ist für sie ein Schlüssel zum Erfolg. Hinderlich findet sie, dass es in Deutschland immer nur “Angstrunden” gibt, statt “Zukunftsrunden”. Ihre Tipps fasste sie in ihrer Keynote zusammen:

  • “Steh für etwas und bleib dafür stehen”,
  • “Mach deine Hände schmutzig”. Wenn Du etwas verändern möchtest, ist das harte Arbeit. Erfolg haben die, die bereit sind, sich die Hände “schmutzig” zu machen,
  • “Bau ein geiles Produkt”. Rede nicht nur darüber, mach es einfach. Verbringe nicht zu viel Zeit mit Networking. Nur mit PowerPoints und Klick Dummys kommst du nicht ans Ziel. Am Ende muss das Produkt stimmen,
  • “Stop Doing – Habe den Mut aufzuhören”. Reports, die keiner liest, Meetings, die keiner braucht, Apps, die zwei Sterne im App-Store haben: Damit sollte man einfach aufhören! Sunk Costs gilt es zu akzeptieren. Dies kann wie eine Befreiung wirken,
  • “Behalte deine Ecken und Kanten”. Wenn man nicht überlegt, wie andere das finden, dann hat man mehr Zeit zu überlegen, was man sonst noch machen kann,
  • “Dream big”. In Deutschland ist dies aufgrund der starken Orientierung an der Mitte nicht ausgeprägt. Fox and Sheep hingegen fokussiert nicht auf den deutschen Markt, sondern besonders auf asiatische Märkte wie Japan. Wir sollten zudem nicht nur immer in Richtung Silicon Valley schielen, sondern uns selbst mehr zutrauen. Dann könnten in Deutschland große Innovationen auf Basis unserer Werte entstehen, beispielsweise ein “Facebook”, das unseren Werten entspricht.

Mit Storytelling auf allen Kanälen User zurückgewinnen

Assaf Sagy (Vice President International Markets bei der Content Plattform Playbuzz) erläuterte, dass User das Lesen aufgehört hätten. 80% würden einen Artikel nicht zu Ende lesen, da sie ungeduldig sind und lange Online-Texte für sie gegenüber dem bunten Social Media-Content heutzutage wie Schwarzweißfernsehen wirkten. Daher müsse der Content-Konsum einfacher werden. Die zu große Abhängigkeit vieler Verleger von Facebook, kann sie in existentielle Gefahr bringen. Playbuzz möchte sich damit ins Spiel bringen, dass dort jeder Content kreieren und mit ausgefeilten Datenanalysen lernen könne, hohes Engagement der User zu erzeugen.

Nach Ansicht von Assaf Sagy werden Verleger auf Storytelling fokussieren, das an die verschiedenen Kommunikationsplattformen wie Social Media und Messaging angepasst wird. Messaging Bots sind eine Möglichkeit für das Storytelling in der Nische. So fragt der Sun-Messaging-Bot nach dem Lieblingsverein, um dann täglich aktuelle Nachrichten über ihn zu liefern.

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Jeremy Gilbert, Fotocredit: Johannes Arlt

Eine lange Geschichte ist hilfreich, reicht aber nicht – Die Washington Post erfindet sich neu

Jeremy Gilbert (Director of Strategic Initiatives bei der Washington Post) beschrieb die Transformation der Washington Post zum digitalen Medienanbieter. Diese wurde durch eine Investition von Jeff Bezos erleichtert; das alleine reicht nach seinen Angaben aber nicht, um eine Zeitung mit einer langen Geschichte zu transformieren: “History helps, but is not enough”. So muss sich die Washington Post, die seit 1877 täglich gedruckt wird, seit 20 Jahren eine Website hat, 2008 mit Apps angefangen hat und heute sagt “We make stories”, immer wieder neu erfinden.

Aufgrund sinkender Einnahmen gab es zwischenzeitlich eine Menge Angst in der Nachrichtenredaktion. Seit sie auf Storytelling setzen, haben sie ihren Optimismus wiedergefunden. Seit 2013 ist der Anteil der mobilen Content-User deutlich gestiegen. Von rund einem Drittel auf heute schon 75 Prozent. 200 Journalisten und 95 Entwickler wurden zusätzlich eingestellt. Alle erarbeiten die Stories gemeinsam.

Mehr Engagement beziehungsweise Interaktion der User mit dem Content ist das Ziel der Washington Post, weil dies für Werbetreibende interessanter ist und auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass User zu Abonnenten werden (siehe auch: Washington Post experimentiert mit Slack Communities ).

Die Washington Post hat mit einer einfachen Form der Personalisierung begonnen. Artikel werden an den Standort der Leserinnen und Leser angepasst, beispielsweise zum Ort passende Grafiken eingeblendet. Das Zusammenspiel von Automated Storytelling, also Roboterjournalismus, und menschlichem Journalismus gehört ebenso zum Experimentierfeld wie ein Rundgang auf dem Mars per Oculus Rift oder die Berichterstattung mittels 3D-Druck: Für die US-Wahlen ist geplant, das Weiße Haus in rot beziehungsweise blau für die beiden Parteien schrittweise auszudrucken, und es nach und nach größer werden zu lassen, so wie die Ergebnisse hereinkommen.

Jeremy Gilbert verwies darauf, dass sich der Lebenszyklus eines Reporters sehr dadurch geändert hat, dass Interaktion und Engagement in den Vordergrund gerückt sind. So mündet die Interaktion zu einem Artikel nicht selten in Recherchearbeiten für den nächsten. Damit wandelt sich zudem die Einstellungspolitik: Um bei der Washington Post einen Job zu bekommen, muss man ein großartiger Journalist sein und man muss “social” sein. 45 Follower reichen dabei nicht. Um mehr zu bekommen, ist es wichtig, menschlich rüberzukommen, statt eine Headline nach der anderen zu teilen.

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Innovative Konzepte im Hackathon kreieren

Dem Scoopcamp vorausgegangen war ein 24 Stunden langer Hackathon, bei dem der Design Thinking-Prozess angewendet wurde. Dass Hackathons eine Option darstellen, um Innovationen zu kreieren, zeigten die Konzepte der drei Teams:

  • Der News Ninja steckt einem Informationen zu, wenn man sie braucht, so dass man mit Wissen punkten kann. Die App hört mit, was in der Umgebung gesprochen wird, filtert Schlagworte heraus und liefert per Messaging passende Informationen,
  • Der James-Bot hilft gegen den Nachrichten-Overflow. Der Bot weiß, was die Nutzerin oder der Nutzer gelesen haben. Dank Künstlicher Intelligenz kann er selbst Videoschnipsel mit den für die Nutzerin beziehungsweise den Nutzer relevanten Inhalten extrahieren, zusammenschneiden und zum passenden Zeitpunkt mobil optimiert ausliefern, so dass man nicht alles ansehen muss und Zeit spart,
  • Der ArguBot, “Dein interaktiver Trainer für heiße Debatten-Battles”, ging als Sieger aus der abschließenden Abstimmung hervor. Er liefert Links, Videos und interaktive Inhalte und trainiert einen beim Argumentieren.

Immersives Storytelling mit Virtual Reality oder 360° Grad Videos

Workshops zu Datenjournalismus, Investigativrecherche, immersivem Storytelling, Social Media und Produktinnovation schlossen sich an. Im Workshop “Immersives Storytelling” stellten Isabelle Sonnenfeld (leitet das Google News Lab DACH) und Max Boenke (von der Berliner Morgenpost) verschiedene Optionen von 360° Grad Videos und Virtual Reality vor. In Deutschland gibt es noch sehr viel Raum für Experimente in diesem Bereich.

Dass dies auch schon mit ganz einfachen Mitteln gehen kann, zeigt beispielsweise die vor kurzem veröffentlichte Cardboard Kamera-App. Google Earth kann für Storytelling sehr interessant sein, beispielsweise um die Berichterstattung mit virtuellen Rundflügen über einen Ort anzureichern. Tools für Schiebergrafiken können eingesetzt werden, um mit Street View die Berichterstattung mit Vorher-Nachher-Vergleichen zu ergänzen. Immersives Storytelling kann dabei Transparenz erhöhen, etwa mit der 360° Grad-Story über die Unterbringung von Flüchtlingen durch die Morgenpost.

Workshop Produktinnovation

Das Arbeiten mit Canvases (“Leinwänden”) bei Geschäftsmodell- und Produktinnovationen ist seit der Etablierung von Business Model Canvas sehr angesagt. KP Frahm, Wolfgang Wopperer-Beholz und Michael Schieben haben mit Product Field ein Tool für Produktinnovationen entwickelt. Das Product Field soll dabei unterstützen, gemeinsam zu denken, auch wenn alle Beteiligten verschiedene “Sprachen” sprechen, weil sie unterschiedliche mentale Modelle in sich tragen. Denn bei Komplexität braucht es viele verschiedene Menschen, die miteinander arbeiten. Das Product Field soll zwischen ihnen vermitteln und helfen, ein Gesamtbild zu entwickeln und zu definieren, welches Wertversprechen das Produkt bietet.

Der Reference Guide, in dem das Vorgehen beschrieben ist, erscheint im Herbst 2016; eine App ist in Arbeit. Im Workshop wurde das Tool anhand der Geschichte des Fahrrads erprobt, das vor 130 Jahren innoviert wurde und damals seine heutige Form bekam. Das Tool wirkt durchdacht, unter anderem dank Check-Sätzen für jeden Bereich, und könnte für die Konzeptentwicklung in Bibliotheken interessant sein.

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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