ZBW MediaTalk

von Birgit Fingerle

Die Corona-Pandemie hat große Teile unseres Lebens auf den Kopf gestellt und zu neuen Trends und Nutzungsmöglichkeiten von Technologien geführt. Das Gefühl der kollektiven Standortverschiebung ist ein Trend, der all dies überschattet: Durch die COVID-19-Pandemie hat sich 2020 geändert, wo und wie wir Tätigkeiten erleben. Um unsere Aufgaben dennoch erfüllen zu können, wurden viele von ihnen an andere Orte verlagert. Neue Orte und neue Wege werden benötigt, um unseren Pflichten, genau wie unseren Hobbys, weiterhin nachgehen zu können. Dementsprechend müssen Organisationen neue Möglichkeiten finden, um die Beziehung zu ihren Kund:innen zu gestalten. Dazu müssen sie sich bewusst sein, wie sich die Informationsbeschaffung verändert hat, und sie müssen auch physische Kontaktpunkte auf digitale Weise replizieren oder ersetzen. Einkaufen ist zum Beispiel zu einer atomisierten Aktivität geworden, aufgeteilt in viele Mikromomente, die sich über Geräte, Plattformen und über den Tag verteilen. Darüber hinaus müssen Marken neue Wege finden, wie sie für ihre Kunden:innen auch zu Hause Freude im Rahmen des Einkaufserlebnisses liefern können.

Einzelhandelstrends als mögliches Vorbild: liquid, virtuell und mit Termin

Aufgrund des oben erwähnten Trends der kollektiven Standortverschiebung hat sich der Ort, an dem wir Produkte kaufen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen, verändert. Daher müssen Organisationen ihre Lieferkette und ihre gesamte physische Infrastruktur neu überdenken. Dieser Trend wird als Liquid Infrastructure (liquide Infrastruktur) bezeichnet. Um schnell auf veränderte Bedingungen reagieren zu können, müssen Organisationen mehr Agilität und Widerstandsfähigkeit entwickeln, was sie auch zukunftssicher macht, wenn es beispielsweise darum geht, auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren. Während sie an neuen Lieferketten und physischen Infrastrukturen arbeiten, sollten sie nachhaltige Alternativen in Betracht ziehen, um gleichzeitig nachhaltiger zu werden. Darüber hinaus sollten die Organisationen neue Geschäftsmodelle und Wertangebote, wie Abonnementmodelle und Personalisierung, erkunden.

Der E-Commerce boomt. So ist es wenig verwunderlich, dass sich durch die Pandemie auch traditionelle Märkte und Marktplätze in die digitale Welt verlagert haben und nun virtuell stattfinden. Von dieser Verschiebung sind Bauern- oder Weihnachtsmärkte betroffen. Auf diese Weise können sich die Verbraucher:innen zumindest ein wenig von der Normalität bewahren, die sie seit Beginn der Pandemie größtenteils verloren haben.

Ein weiterer wachsender Trend ist der Robotereinzelhandel (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report), wobei Roboter helfen, den Kontakt zwischen Mitarbeiter:innen und Kund:innen zu begrenzen. Beispiele sind: Roboter als Buchhandelsassistenten wie der “AROUND B”-Roboter, der Bücher zum Durchblättern und Kaufen trägt, oder kontaktlose Lieferroboter, die in neue Städte gebracht werden, wie die Lieferroboter von Starship Technologies.

Um den Kontakt von Mensch zu Mensch zu reduzieren und die Sicherheit beim Einkaufen zu erhöhen, werden auch kontaktlose Schließfächer (vgl.TrendHunter‘s 2021 Trend Report) in der Einzelhandelswelt installiert. Einkaufsschließfächer werden zum Beispiel für die Abholung von Lebensmitteln und für die Rückgabe im Geschäft eingesetzt.

In Bezug auf den persönlichen Kontakt bedeutet der Trend “Appointment Retail”, dass Einkäufe nur nach Terminvereinbarung (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report) angeboten werden. Dies sorgt für ein sicheres persönliches Shopping-Erlebnis vor Ort, da es zur Wahrung der Distanz beiträgt. Könnte es auch für Bibliotheken sinnvoll sein, beispielsweise Schließfächer und weitere Dienstleistungen nach Vereinbarung anzubieten, um der Angst der Nutzer:innen vor gesundheitlichen Risiken besser zu begegnen?

Events und neue Kontaktpunkte: Virtuelles Publikum und In-Game-Erlebnisse

Der Trend der kollektiven Standortverschiebung zeigt sich auch bei Events und Ausstellungen. Unternehmen schaffen technologisch integrierte Lösungen, die es dem Publikum ermöglichen, an Live-Events teilzunehmen, zum Beispiel an Live-Konzerten. Dieses virtuelle Publikum (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report) wird nun durch den Einsatz von Videokonferenztechnik sowie Virtual-Reality-Technologie geschaffen. Die Teilnahme an einer Live-Veranstaltung als Teil einer virtuellen Menschenmenge bringt den Zuschauenden auch ein gewisses Maß an Normalität in ihr Leben.

Gaming ist eine immer beliebtere Form der Unterhaltung und die Verbraucher:innen erwarten, dass sich Marken nahtlos in ihre Gewohnheiten integrieren, was im Bereich Social Media schon gut funktioniert. Da Marken außerhalb des Gamings nach neuen Möglichkeiten suchen, an diesen Entwicklungen zu partizipieren, vermarkten immer mehr ihre Produkte und Angebote mit In-Game-Erlebnissen (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report). Ein Beispiel sind In-Game Art Galleries wie die vom Getty Museum angebotene. Mit diesem Tool können Spieler:innen Kunst in das Spiel Animal Crossing importieren. Außerdem bietet das Monterey Bay Aquarium in einer In-Game-Museum-Tour virtuelle Rundgänge durch das Museum von Animal Crossing an.

Schulungen und Tools: Gamification und Förderung des Wohlbefindens

Verschiedene Trends besitzen das Potenzial, die Tools und das Schulungsangebot für das Bibliothekspersonal einerseits und für die Kund:innen andererseits zu beeinflussen. Aufgrund der Erfahrung der kollektiven Verlagerung und der Arbeit von zu Hause aus, wird das mentale Wohlbefinden zu einem neuen Schwerpunkt beim Überdenken von Produkten und Dienstleistungen. So wird beispielsweise Microsoft Teams neue Funktionen integrieren, um die Work-Life-Balance der Nutzer:innen im Homeoffice zu verbessern.

Das Training und Onboarding von Mitarbeitenden wird zunehmend durch gamifizierte Technologien beschleunigt. Dieser Trend namens Gamified Profession (gamifizierter Beruf, vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report), bei dem Plattformen zur Verbesserung der Qualifikationen und des Engagements im Trainingsprozess eingesetzt werden, könnte wichtiger werden, da das Arbeiten von zu Hause aus zur Norm wird und Manager:innen neue Wege zur Verbesserung des Engagements und der Interaktionen unter neuen Mitarbeiter:innen ausprobieren. Das Training für Personen, die in neue Rollen wechseln, erfordert Interaktivität, um Fähigkeiten und Herangehensweisen effektiv zu erlernen. Somit ist Gamification ein interessanter Ansatz für die Weiterbildung.

Um bedeutsame Verbindungen zwischen Mitarbeitenden im Homeoffice aufzubauen, wenden sich Organisationen neuen Werkzeugen zu, die ihnen helfen, teambildende Maßnahmen und Belohnungen zu erleichtern. Indem sie das Remote-Engagement (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report) fördern, tragen sie dazu bei, Gefühle der sozialen Isolation zu verringern, die sich sonst negativ auf die Zusammenarbeit auswirken könnten. Um sicherzustellen, dass sich Mitarbeiter:innen, die von zu Hause aus arbeiten, verbunden und wertgeschätzt fühlen und auf diese Weise auch mehr dazu ermutigt werden, Ideen zu teilen und zusammenzuarbeiten, werden innovative Tools benötigt.

Zeichen von Open Science: digitale Parität, Teilen von digitalen Abos und Do-it-yourself-Innovationen

Die COVID-19-Pandemie hat Trends in Richtung Open Science begünstigt. Neben der offensichtlich größeren Aufmerksamkeit für Preprint-Veröffentlichungen gibt es auch einige andere Trends außerhalb des Wissenschaftssystems, die im Kontext von Open Science interessant sind.

Gleicher Zugang ist nach wie vor ein Traum, da wir immer noch in einer Welt leben, die von digitaler Ungleichheit geprägt ist. Ein WhatsApp- und Facebook-Chatbot wie Foonda Mate zeigt uns, wie Ungleichheit aufgrund des Fehlens einer stabilen Internetverbindung überbrückt werden kann, um südafrikanischen Schüler:innen den Zugang zu Bildungsmaterialien zu ermöglichen. So waren und sind sie in der Lage, ihre Schularbeiten zu erledigen, wenn die Schulen geschlossen sind. Dieses Beispiel ist Teil des Trends, Online-Zugang für alle zu ermöglichen, genannt digitale Parität.

Ein weiterer interessanter Trend: Marken im Technologiebereich helfen Nutzenden beim Teilen von Abonnements, indem sie Plattformen schaffen, die das Teilen von Abonnement-Passwörtern auf eine sichere und kontrollierte Weise ermöglichen. Diese Plattformen (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report) für das sichere Teilen von digitalen Subskriptionen für digitale Güter reichen von Web-Extensions bis hin zur Passwort-Verwaltung.

Da Innovationen zunehmend ein Produkt talentierter Menschen sind, die unter herausfordernden Umständen agieren, sollten Organisationen Wege finden, sich dieser Do-it-yourself-Innovationsrevolution anzuschließen und ihre Herangehensweise an Innovationen zu überdenken. Der Schwerpunkt von Organisationen sollte sich von der Co-Kreation mit den Menschen darauf verlagern, den Menschen die Werkzeuge und Plattformen zu geben, um selbst innovativ zu sein und bessere Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Mitglieder der Generation Z (Gen Z), die etwa zwischen 1997 und 2012 geboren sind, streben auch zunehmend danach, neue Fähigkeiten außerhalb des traditionellen Schulsystems zu entwickeln. Sie tun dies, indem sie sich Plattformen, Diensten und Räumen zuwenden, die ihnen helfen, ihre Weltsicht und Fähigkeiten ohne die Zwänge der traditionellen Schulbildung zu erweitern. Der Kreativtrend der Gen Z (vgl. TrendHunter‘s 2021 Trend Report) versetzt sie in die Lage, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Bereitschaft, sich außerhalb des traditionellen Bildungssystems zu qualifizieren, speist sich aus zwei Hauptquellen: Erstens hat sie die Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Themen von klein auf zu kritischen Denker:innen gemacht, die eher bereit sind, alternative Lernoptionen in Erwägung zu ziehen. Zweitens geben ihre Social-Media-Gewohnheiten der Gen Z mehr Motivation, Fähigkeiten zu entwickeln und Hobbys nur zum Vergnügen und zum Teilen auszuüben.

Mehr als nur Schattenseiten: Neue Chancen und Hoffnungsschimmer in der Krise

Die Pandemie hat viele unserer Pläne und die Art, wie wir leben und arbeiten, durcheinandergebracht. Ein Blick auf die Trends, die sich aus dieser Krise ergeben, offenbart einige Chancen, die in diesem erzwungenen Wandel stecken. Zu diesen Hoffnungsschimmern gehört, dass Open Science, insbesondere Open Access, ein Gewinner der Krise zu sein scheint. Darüber hinaus kann die Beschäftigung mit aktuellen Trends im Einzelhandel oder im Gaming-Bereich neue Impulse für weitere Veränderungen in Bibliotheken auslösen.

Weitere Informationen zu wichtigen Trends und Technologien für 2021:

Bei diesem Text handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen.

Über die Autorin:

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem “Open Economics Guide”.Birgit Fingerle ist auch auf Twitter zu finden.
Porträt, Fotograf: Northerncards©

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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