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im Interview mit Romain Féret

Die Universität Lille hat einen Service eingerichtet, der Forschende (Link in französischer Sprache; kurze Servicebeschreibung in englischer Sprache) von Anfang an bei ihren Forschungsprojekten unterstützt. Wir sprachen mit Romain Féret, der für Open Access und Forschungsdatenmanagement in der Bibliothek der Universität Lille zuständig ist.

(Lire ce texte en français: La science ouverte dans les projets de recherche : la bibliothèque universitaire soutient les coordinateurs du montage des projets jusqu’à leur fin)

Deine Bibliothek hat einen Open-Science-Service speziell für Forschungsprojekte eingerichtet. Was sind die Ziele des Dienstes?

Das erste Ziel unseres Services ist es, die Qualität der Förderanträge unserer Forscherinnen und Forscher zu erhöhen und die Machbarkeit ihrer Projekte zu verbessern. Dies stellt eine Möglichkeit dar, die Förderchancen ihrer Projekte zu erhöhen. Das zweite Ziel ist es, die Einhaltung der Open-Science-Auflagen im Rahmen der Projekte unserer Forschenden zu verbessern und den Koordinatoren zu helfen, diese effizienter und sachdienlicher zu gestalten.

Warum unterstützt Ihr Forschungsprojekte in der Anfangsphase? Welche Probleme löst Ihr damit?

Wir unterstützen Forschende bei der Erstellung ihrer Förderanträge. Weder H2020 noch der wichtigste französische Fördermittelgeber (ANR) verlangen, dass die Projektkoordinatoren bereits in der Phase der Antragseinreichung genau beschreiben, wie sie ihre Daten während des Projekts managen werden. Dies führt oft zu einem Mangel an Vorausplanung in Bezug auf Open Science. Wir wollen unseren Forschenden helfen zu planen, wie sie ihren Open-Science-Verpflichtungen nachkommen und die Open-Science-Aktivitäten bei der Planung ihres Arbeitsaufwands berücksichtigen können.

Mangelnde Vorausschau kann unter anderem zu Problemen zwischen den Partnern führen. So trafen wir beispielsweise einen Forscher, der an einem europäischen Projekt in den Sozialwissenschaften beteiligt war, bei dem Forscherinnen und Forscher Umfragedaten in verschiedenen Ländern sammelten. Die Partner hatten unterschiedliche nationale und methodische Hintergründe und auch unterschiedliche Ansichten in Bezug auf den Level des Datenaustauschs untereinander. Einige wollten, dass alle Projektdaten geteilt werden, andere zögerten deutlich mehr. Wenn dies bereits beim Formulieren des Förderantrags diskutiert wird, haben wir mehr Zeit, um Missverständnisse zu vermeiden und die Regeln zu formalisieren, sie zum Beispiel in einem Konsortialvertrag festzuhalten. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass keine Forscherin und kein Forscher denkt, dass ihre oder seine Daten von den Partnern gestohlen werden. Sobald das Projekt beginnt, läuft die Zeit, der Druck ist stärker und es ist viel schwieriger, eine gemeinsame Basis zu finden.

Welche Probleme können in Bezug auf Open Science auftreten, wenn Beratungsunternehmen an der Erstellung von Projektanträgen beteiligt sind?

Beratungsunternehmen bringen ihre Expertise bei der Erstellung von europäischen Förderanträgen ein, nehmen aber auch als administrative Koordinatoren an Projekten teil. Diese Rolle beinhaltet häufig die Übernahme von Aufgaben mit Bezug zu Open Science, wie etwa das Schreiben des Datenmanagementplans (DMP). Ein Problem ist, dass sie keine Open-Science-Experten sind. Sie wenden oft standardisierte Vorgehensweisen an, ohne Forschende einzubeziehen oder das im DMP Geschriebene in die Praxis umzusetzen.

Ich kenne das Beispiel eines Forschers, der Partner in einem H2020-Projekt war. Während eines Interviews fragte ich ihn, ob er an der Erstellung des DMP des Projekts mitgewirkt habe. Er wusste nicht, was ein DMP ist. Einige Wochen später entdeckte er, dass für dieses Projekt ein DMP geschrieben worden war, aber er verstand nicht, was über die Daten geschrieben worden war, für die er selbst verantwortlich war. Dieses Beispiel mag extrem erscheinen, aber ich fürchte, dass es ziemlich verbreitet ist. Selbst Projektkoordinatoren sind manchmal glücklich, die Open-Science-Aspekte ihres Projekts vollständig an einen administrativen Partner delegieren zu können. Wenn wir nicht wollen, dass diese Partner für Open Science in Forschungsprojekten verantwortlich sind, müssen wir den Forschenden helfen, sobald sie ihre Förderanträge schreiben.

Welchen Problemen begegnen Projektkoordinatoren in späteren Phasen des Projekts und wie geht Ihr damit um?

Wir unterstützen Koordinatoren während der gesamten Laufzeit ihres geförderten Projekts, vom Kick-off-Meeting bis zum Abschlussbericht. Wir wollen, dass sie die Erfüllung ihrer Open-Science-Verpflichtungen verbessern. Die meisten Forschenden sind sich der Vorgaben ihrer Geldgeber nur teilweise bewusst. Manchmal sind sie überzeugt, dass sie aufgrund der H2020-Vorgaben ausschließlich im goldenen Open Access veröffentlichen dürften und wollen nicht dafür bezahlen. Also ziehen sie es vor, überhaupt keinen Open Access zu machen.

Außerdem ist die Koordination eines Forschungsprojektes eine wirklich komplizierte Aufgabe, und die Koordinatoren sind nicht immer gut darüber informiert, was ihre Partner tun. Zum Beispiel war der überwiegenden Mehrheit der Koordinatoren, die ich bisher getroffen habe, nicht alle Artikel bekannt, in denen ihr Projekt als Finanzierungsquelle erwähnt wird. Aus Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen werde, nennen einige Forschende Projekte, an denen sie beteiligt sind, in allen ihren Publikationen. Da diese Publikationen manchmal kaum einen oder gar keinen Bezug zum Projekt haben, erwähnen sie diese nicht gegenüber dem Koordinator. Wenn ein Projektverantwortlicher auf Seiten der Fördermittelgeber jedoch feststellt, dass eine solche Veröffentlichung das Projekt als Finanzierungsquelle nennt und nicht frei zugänglich ist, kann dies für den Koordinator ein Problem darstellen.

Ich traf einmal einen H2020-Koordinator, der davon überzeugt war, dass sich nur zwei Publikationen auf das Projekt berufen, während ich mehr als zwanzig Publikationen gefunden hatte, die dies taten. Forscherinnen und Forscher kennen nicht die Werkzeuge, um Daten über die Ergebnisse ihrer Projekte zu sammeln, oder sie haben nicht die Zeit, sie zu nutzen. Daher helfen wir ihnen, die Einhaltung ihrer Open-Science-Vorgaben systematischer zu überwachen.

Und schließlich, selbst wenn die Koordinatoren wissen, dass ihre Partner die Open-Science-Vorgaben nicht einhalten, empfinden sie es nicht immer als legitim, sie dazu aufzufordern. Sie denken, dass ihre Partner einen guten Grund dazu haben, oder sie fürchten, die Fragen ihrer Partner nicht beantworten zu können, wie zum Beispiel: „Wo soll ich meine Publikation hochladen? Darf ich es veröffentlichen?“. Daher schreiben Koordinatoren ihren Partnern mit uns in Kopie, und wir beantworten diese Art von Fragen.

Was genau bietet der Service?

In der Phase vor der Einreichung des Projektantrags vereinbaren wir ein Treffen mit den Koordinatoren, um das Projekt zu besprechen. Auf der Grundlage dieses Gesprächs tragen wir zu ihrem Antrag bei. Wir unterstützen die Koordinatoren dabei, eine Verbreitungsstrategie für ihre Forschungsergebnisse zu entwickeln. Wir versuchen auch, uns einen Überblick zu verschaffen, welche Arten von Daten während des Projekts entstehen werden und wie sie verwaltet und möglicherweise verbreitet werden können. Einige Forschende haben einen ehrgeizigen Ansatz für die Verbreitung von Daten, während andere einen sehr restriktiven Ansatz verfolgen. Wir passen uns dem Willen der Forschenden an und versuchen, eine Strategie zu entwickeln, die so offen wie möglich ist. Bei Bedarf sprechen wir mit den Partnern, um sicherzustellen, dass alle den Grundsätzen des Datenmanagements in dem Projekt zustimmen. Wir können auch bei der Selbstbeurteilung ethischer Aspekte unterstützen, wenn während des Projekts sensible Daten verarbeitet werden.

Bei laufenden Projekten unterstützen wir das Management ihrer Open-Science-Aktivitäten:

  • Wir nehmen an dem Kick-off-Meeting und/oder anderen Projekttreffen teil, um die Partner über ihre Open-Science-Verpflichtungen zu informieren.
  • Wir beantworten die Fragen der Koordinatoren und Partner.
  • Wir beantworten die Anfragen der Projektbeauftragten von Seiten der Fördermittelgeber in Bezug zu den Open-Science-Vorgaben.

Wir bieten auch Dienstleistungen an, um die Einhaltung der Open-Science-Vorgaben sicherzustellen:

  • Wir haben Alerts in Datenbanken (Scopus, Web of Science) eingerichtet, um Publikationen zu finden, die das Projekt als Finanzierungsquelle nennen.
  • Wir stellen sicher, dass alle Projektpublikationen gut in OpenAIRE und das für die Projektberichterstattung verwendete Teilnehmerportal eingetragen werden.
  • Wir führen ein etwa zweistündiges Interview mit dem Koordinator durch, um das Datenmanagement zu besprechen. Basierend auf den gesammelten Informationen erstellen wir einen grundlegenden DMP, den der Koordinator ausfüllen muss. Wir überprüfen die endgültige Version des DMP, bevor er an den Geldgeber geschickt wird.
  • Wir verbinden die Koordinatoren auch mit den Services unserer Hochschule (zum Beispiel IT-Service, Datenschutzbeauftragter) oder mit externen Diensten (zum Beispiel Plattform zur Speicherung oder Verbreitung von Daten).

Diese Dienstleistungen werden nur Projekten angeboten, bei denen Forschende unserer Universität Koordinatoren sind. Projekte, bei denen sie nur Partner sind, erhalten eine eingeschränktere Unterstützung.

Wie sehen Eure bisherigen Erfahrungen aus?

Wir haben mehr Erfahrung mit Projekten in der Phase der Antragstellung als mit laufenden Projekten, da im Durchschnitt nur ein Viertel der eingereichten Projekte finanziert wird. Forscherinnen und Forscher sind oft positiv überrascht, wenn sie herausfinden, auf welche Weise die Bibliothek ihnen bei ihrem Projekt helfen kann. Sie diskutieren gerne Open-Science-Fragen schon während sie ihren Antrag schreiben, weil es die Dinge klarer macht und sie ihre koordinierende Rolle leichter ausüben können.

Wir treffen uns regelmäßig mit den Koordinatoren der laufenden Projekte, was eine gute Möglichkeit darstellt, eine starke und dauerhafte Beziehung aufzubauen. Diese Forschende, die in ihrem Bereich oft weithin anerkannt sind, sind unsere besten Botschafter. Unsere Unterstützung hilft ihnen, die Einhaltung ihrer Open-Access-Vorgaben deutlich zu verbessern. Darüber hinaus verstehen die Forschenden besser, was von ihnen erwartet wird.

Welche Pläne habt Ihr, diesen Service weiterzuentwickeln? Wie sieht Eure Vision aus?

Wir unterstützen nur einen kleinen Teil der an unserer Universität koordinierten Projekte. Wir würden gerne viel mehr Projekte unterstützen, wenn nicht sogar alle. Im Moment arbeiten wir an verschiedenen Servicelevels, die wir den Projektkoordinatoren anbieten können. Grundlegende Dienstleistungen könnten für jedes Projekt angeboten werden, während die weitergehenden Services nur für Projekte angeboten werden könnten, die wir bei der Erstellung ihrer Anträge unterstützt haben und die uns als Partner mit den dazugehörigen Ressourcen in ihr Projekt aufgenommen haben.

Die Kosten der Datenmanagementaktivitäten sind ein entscheidendes Thema, und es ist wirklich wichtig, dass die Forschenden lernen, diese Art von Kosten zu budgetieren, wenn wir die Services für das Forschungsdatenmanagement nachhaltig gestalten wollen. Viele Bibliotheken arbeiten an diesem Thema, wie Veranstaltungen wie das RDM-Forum 2019 zum Thema “Costing Data Management” zeigen, das vom Digital Curation Centre organisiert wird und im September in London stattfindet. Wir sind beispielsweise sehr an dem Beispiel der Universität Utrecht interessiert, an der Koordinatoren Datenmanager einstellen können, die ihnen helfen. Ich denke, dass ein solcher Ansatz Koordinatoren dabei helfen kann, gute Datenmanagementpraktiken in ihre täglichen Routinen zu integrieren, über das bloße Schreiben eines DMP hinaus, was kein Selbstzweck ist.

Welchen Rat würdet Ihr anderen Bibliotheken geben?

Seit Beginn dieses Projekts haben wir viel von den Projektkoordinatoren gelernt. Ich halte es für wichtig, sie zu fragen, wie sie ihr Projekt leiten wollen und wie stark sie bereit sind, sich für die Open-Science-Prinzipien zu engagieren. Wenn sie nur das Minimum machen wollen, sollten wir ihnen helfen, es effektiv zu tun. Wenn das hilft, dann haben wir die Chance, beim nächsten Mal ein wenig weiter zu gehen. Dies ist eine schrittweise Vorgehensweise.

Einige Forscherinnen und Forscher sprechen immer noch nur unwillig darüber, wie sie ihre Daten verwalten. Mit Forschenden über den Open Access zu ihren Publikationen zu sprechen, ist eine gute Möglichkeit, die Diskussion zu beginnen, da sie sich dieses Themas oft bewusst sind und es auch weniger sensibel ist. Und sicherzustellen, dass alle Partner in einem mehrjährigen Projekt die Open-Access-Anforderungen erfüllen, ist an sich schon keine leichte Aufgabe. Dies kann die Hilfe einer Bibliothekarin oder eines Bibliothekars erfordern! Sobald dies erledigt ist, ist es einfacher, Datenmanagementthemen zu diskutieren.

Weiterführende Informationen:

Unsere Fragen wurden von Romain Féret beantwortet.

Romain Féret (Twitter: @RomainF, N° Orcid: 0000-0002-1527-1482) ist Bibliothekar und zuständig für Open Access und Forschungsdatenmanagement an der Universitätsbibliothek der Universität Lille.

Fehlende deutsche Übersetzung

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