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Jodel ist eine seit Oktober 2014 kostenlos erhältliche App für Android und iOS. Hier könnte Wirklichkeit werden, was oft als quasi unmöglich eingestuft wird: Ein deutsches Start-Up hebt zu einem internationalen Höhenflug an. Denn die vor allem von Studierenden genutzte App mit lokalem Fokus scheint sich nicht nur in rasantem Tempo in deutschen Universitätsstädten zu verbreiten, sondern auch in denen anderer europäischer Länder, wie t3n in ihrem Artikel “Viral auch im Ausland: Campus-App Jodel schreibt deutsche Startup-Geschichte” berichtete.

Gejodelt wird anonym und nur für den Umkreis sichtbar

Die Veröffentlichung von Kurznachrichten bei Jodel erfolgt anonym. Ein “Jodel” ist auf 240 Zeichen begrenzt und ausschließlich in einem Umkreis von 10 km sichtbar. Andere Nutzerinnen und Nutzer können zurückjodeln (kommentieren) und bewerten (Upvotes oder Downvotes). Fotos können geteilt werden. Sie werden im Nachrichtenstream verschwommen angezeigt – zum Betrachten muss der Finger auf das jeweilige Foto gelegt werden. Die eigene Jodel-Aktivität wird in Karma-Punkten gemessen.

Jodel ist einfach und übersichtlich gehalten. Derzeit hat es etwa 900.000 Nutzerinnen und Nutzer. Vor allem in Universitätsstädten wird es stark genutzt. Neben dem deutschsprachigen Raum ist es besonders in Dänemark, Norwegen und Schweden beliebt.

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Gute Stimmung zu erhalten ist die Hauptaufgabe

Auf den ersten Blick wird Jodel wohl vor allem von gelangweilten Studierenden genutzt, um Sprüche zu klopfen, über Lehrveranstaltungen zu lästern, jemandem ein Kompliment zu machen oder scheinbar sinnlose Inhalte zu verbreiten. Auch sexistische Inhalte, Mobbing oder Drohungen kommen vor. Dagegen geht Jodel jedoch vor. Denn gute Stimmung ist das Credo von Jodel. Dafür sollen die zehn Jodel-Gebote sorgen, die alle Teilnehmenden akzeptieren müssen: sowohl Moderatoren wie auch die Community, die einen Beitrag abwerten (Downvotes) und damit zum Verschwinden bringen kann.

Anonymität + Regionalität = Unterhaltung, die süchtig macht

Mit seinen oft kurzweiligen Inhalten besitzt Jodel einen großen Unterhaltungswert. Ein Teil der Jodels hat dabei auch ernstgemeinte Fragen oder Inhalte mit Nutzwert zum Inhalt. Dass man nur Inhalte zu sehen bekommt, die “aus der Nachbarschaft” stammen, macht den besonderen Reiz aus. Jodel erscheint als eine Art anonymes, regional verankertes Gegenstück zu Diensten wie Twitter oder ein öffentlich-anonymes WhatsApp oder Threema. Lokaler Bezug schlägt Internationalität; Anonymität sorgt für einen großen Unterhaltungswert. Jodel bietet den Flurfunk in der Teeküche, aber ohne dass man einander ins Gesicht schauen muss. Die Anonymität führt dabei möglicherweise zu einerseits besonders ehrlichen, andererseits zu überzogenen Aussagen.

Anonyme Messenger und regionale Social Networks auf dem Vormarsch

Generell scheinen anonyme Messenger auf dem Vormarsch zu sein. Was Jodel in Europa ist, ist in den USA schon ein wenig länger Yik Yak. Es wird dort von mehreren Millionen Menschen an über 1.000 Universitäten genutzt und von manchem als Vorbild von Jodel angesehen. Auch auf den Arbeitsplatz greift diese Entwicklung nun über. Den anonymen Austausch innerhalb von und zwischen Unternehmen soll TeamBlind.com befördern. Das “Yik Yak für den Arbeitsplatz“ soll durch den anonymen Austausch unter anderem für eine größere Transparenz, Gleichbehandlung und bessere Verbreitung von Ideen sorgen. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle derartige Apps am Arbeitsplatz Bibliothek zukünftig spielen werden.

Andere Apps deuten wiederum darauf hin, dass lokal begrenzte Informationen an Beliebtheit gewinnen. Spayce oder Tinder sind Beispiele hierfür. Bei aller Internationalität heutzutage, scheinen Menschen nach wie vor ein großes Bedürfnis zu haben, sich mit Personen in ihrem Umfeld zu vernetzen und zu erfahren, was vor Ort los ist.

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Lohnt sich jodeln für Bibliotheken?

Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Zum einen ist es schwierig zu ermitteln, wie groß die passive und aktive Nutzung von Jodel überhaupt ist, zum anderen schwankt sie je nach Standort beträchtlich. In Kiel beispielsweise scheint Jodel derzeit lebhaft von Studierenden genutzt zu werden. Vorausgesetzt, am eigenen Standort wird Jodel von einer bedeutenden Community genutzt, könnten folgende Einsatzszenarien in Betracht gezogen werden:

Jodeln für die Marktforschung

Schon mein allererster Blick auf Jodel zeigte auf Anhieb zwei Jodels, die sich mit der lokalen Universitätsbibliothek befassten. Für Bibliotheken könnte es spannend sein, solche Monologe, Dialoge oder Diskussionen zu “belauschen”. Damit könnte Jodel eventuell eine passive Marktforschung unterstützen. Zu beachten ist allerdings, dass die Qualität der Beiträge bei Jodel sehr heterogen ist und dass man eben nicht weiß, von wem eine Äußerung stammt. Da man nicht nach bestimmten Inhalten suchen kann, sondern nur den lokal begrenzten Stream durchsehen kann, sind die Auswertungsmöglichkeiten zudem sehr eingeschränkt.

Eigene Fragen zur aktiven Marktforschung zu stellen, könnte eine andere Strategie sein. Bei einer versuchsweise gestellten Frage wurde mir allein binnen einer Stunde 15 Mal zurückgejodelt. Dies zeigt auch, dass ein großer Vorzug von Jodel darin besteht, dass es leicht Engagement erzeugt. Gleichwohl dürfte die Anzahl der Personen, die nicht zurückgejodelt haben, deutlich höher liegen.

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Jodelservice gibt aktuelle Auskünfte

Dieses Potential könnte möglicherweise auch für Veranstaltungshinweise, Mundpropaganda oder Guerilla-Marketing-Aktionen von Bibliotheken genutzt werden.

Ein Jodler macht vor, wie sich die App zum News-Dienst umfunktionieren lässt. Mit seinem Jodelservice postet er jeden Morgen um 9 Uhr das Wetter, eine Mensaempfehlung und wie voll die Bibliothek gerade ist. Bibliotheken könnten ähnliche Services anbieten. Die momentan stark steigende Verbreitung von Jodel und sein Kultstatus unter Studierenden könnten ein Experimentieren damit insbesondere für Universitätsbibliotheken interessant machen, beziehungsweise generell für Bibliotheken in Universitätsstädten.

Jodeln Sie schon? Wie sind Ihre Erfahrungen oder wie ist Ihre Einschätzung hinsichtlich eines Nutzens für Bibliotheken?

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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