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Megatrends wie die Digitalisierung und Auto­matisierung verändern die Arbeitswelt in fast allen Bereichen. Davon betroffen sind keineswegs nur manuelle Tätigkeiten, sondern auch die Wissensarbeit bis hinein in technikferne, wissensintensive Berufsbilder, etwa in der Bildung oder der Verwaltung. Der Jahresbericht 2016 des Hochschul-Bildungs-Report 2020 des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft mit dem Schwerpunktthema „Hochschulbildung für die Arbeitswelt 4.0“ widmet sich der Frage, welche Anforderungen die Arbeitswelt der Zukunft an Akademikerinnen und Akademiker stellen wird. In den Report sind unter anderem die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 303 deutschen Unternehmen eingeflossen. Der Report enthält acht Thesen in Bezug auf die Arbeitswelt 4.0 und ihre Rückwirkungen auf die Hochschul­bildung:

 

 

  • These: Das Arbeiten mit digitalen Technologien wird zum festen Bestandteil des akademischen Kompetenzprofils.

Künstliche Intelligenz wird Wissensarbeit vermehrt unterstüt­zen oder komplett übernehmen. Akademiker benötigen daher mehr und tiefer gehende digitale Kompetenzen als bisher und werden in Zukunft ihre Schwerpunkte in der Konzeption, Kontrolle und Bewertung von au­tomatisierten Analysen haben. Die Sammlung, Analyse, Aufbereitung, automatische Verknüpfung und Bereitstellung von Daten kann in Zukunft digital gestützt erfolgen. Aufgabe der Hochschulen ist es, Akademiker auf das digitale Erwerbsleben vorzubereiten und während ihres Arbeitslebens  akademisch weiterzubilden.

So lässt sich auch eine Reihe von Managementtätigkeiten durch digitale Technologien unterstützen, beispielsweise das Erfassen, Analysieren, Ver­gleichen und Aufbereiten von Bewerbungs­unterlagen. Selbst juristische Tätigkeiten lassen sich mittels Programmen unterstützen. Diese können die für einen Fall relevanten Daten zusammenstellen und auf dieser Basis eine juristische Beurteilung erstellen. Insofern  rücken Fähigkeiten wie Selbstorganisation, kreatives Nachdenken und Arbeiten, (komplexe) grundlegende Prob­lemlösung und das kritische Hinterfragen und Bewerten von Informationen sowie statistische Kompetenzen in den Fokus. Überfachliche Qualifikationen gewinnen an Bedeutung. Digitale Fähigkeiten werden eine Querschnittskompetenz in der Arbeitswelt 4.0 darstellen.

 

  • These: In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routine­tätigkeiten weg und werden durch komplexere akademische Tätigkeiten ersetzt.

Derzeit lässt sich noch nicht genau abschätzen, welche Entwicklung die Automatisierung von Wissensarbeit nehmen wird. Ein denkbares Szenario besagt, dass ganze Berufsbilder obsolet werden, beispielsweise im Controlling. Ein anderes Szenario geht davon aus, dass nur bestimmte Tätigkeiten digitalisiert werden oder sich durch neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktion verändern. So geht auch nur eine Minderheit der hier befragten Unternehmen (17 Prozent stimmten stark zu) davon aus, dass in manchen akademischen Berufen Menschen vollständig durch Maschinen ersetzt werden.

Gerade administrative Tätigkeiten könnten gut automatisiert werden. Gleichzeitig könnte der Wegfall von Routinetätigkeiten zu einem höheren Niveau der Arbeit mit einem komplexeren Tätigkeitsspektrum führen, zu mehr Zeit für anspruchsvollere Aufgaben. Statt Daten aufbereiten und analysieren zu müssen, könnte sich ein Journalist so beispielsweise intensiver mit deren Interpretation und der investigativen Recherche befassen.

 

  • These: Mit dem Siegeszug von Big Data durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten die Arbeitswelt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig.

Forschungs- und datenba­sierte Tätigkeiten sind in der Arbeitswelt 4.0  weit verbreitet, auch in der Privatwirtschaft. Akademische Qualifikationen werden somit häufiger benötigt. Auch die Art und Weise der Forschung selbst wird sich weiterentwickeln. Beispiele dafür stellen das adaptive Learning, das Online-Gaming sowie eHealth-Apps dar. Die Digitalen Analysetools führen ihrerseits zu Veränderungen der Forschung. Kooperationen zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden wichtiger. Dazu zählen Daten­spenden, bei denen Unternehmen Zugang zu ihren Daten­sätzen ermöglichen. Die Entwicklung von Open Science-Plattformen ist ein Zeichen dafür, dass Forschung zum Alltagsgegenstand wird. Hinter dem Ansatz der Open Science steht der Gedanke, Forschungsergebnisse und -methoden sowie Datensätze öffentlich verfügbar und nutzbar zu machen.

 

  • These: Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker entste­hen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte Berufsbilder.

82 Prozent der deutschen Unternehmen gehen davon aus, dass sich die Arbeitswelt 4.0 wandeln wird, weil neue akademische beziehungsweise akademisierte Berufe entstehen.

 

  • These: Immer mehr beruflich Qualifizierte benötigen akademische Qualifikationen, immer mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen.

Neue Techno­logien führen dazu, dass berufliche und akademische Tätigkeitsfelder zunehmend verschmelzen. Demnach benötigen beruflich Qualifizierte mehr akademische Qualifikationen und Akademiker mehr anwendungsorientiertes Wissen. Dadurch verschwimmen traditionelle Laufbahnkorridore im unteren akademischen und oberen beruflich ausge­bildeten Bereich. Passend zur Verschiebung hin zu höherwertigen Tätigkeiten und vielfältigeren Kom­petenzportfolios ist die Zahl der Studienanfänger in den vergangenen Jahren gestiegen. Zeitgleich erwarten Unternehmen, dass sich das Studium stärker als bisher an den Anforderungen des Arbeitsmarktes ausrichtet.

 

  • These: Lernen prägt das neue Arbeiten und Arbeiten prägt das neue Lernen.

Die Bedeutung von akademi­scher Weiterbildung während der Berufstätigkeit steigt. Lernen und Arbeiten  werden zu einem integrierten System, das aus theoretischen und praktischen Komponenten besteht. Dabei kommen vor allem alternative Formate und Methoden zum Zuge, wie Online-Formate, die flexible Mög­lichkeiten der Weiterbildung bieten, ohne die Arbeit unterbrechen zu müssen.

 

  • These: In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere Eigenverantwortung auf neue Formen der Kollek­tivarbeit.

In Zukunft   erhalten selbstständiges und kooperatives Arbeiten auch innerhalb von Organisationen einen größeren Stellenwert. Wechsel zwischen Phasen der Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung nehmen zu und sind zum Teil mit neuen Formen der Beschäftigung verbunden. Auch die Vernetzung zwischen Institutionen und Branchen nimmt zu, und es zeigt sich ein verändertes Verhältnis von Produzenten und Konsumenten.

Schon jetzt benutzen 40 Prozent der deutschen Unternehmen sogenannte Enterprise Collaboration-Plattformen. 68 Prozent der befragten Unternehmen sind der Ansicht, dass die Fähigkeit zum Umgang mit digi­talen Kooperationswerkzeugen wie GoogleDocs oder Basecamp an Bedeutung gewinnen wird, 76 Prozent sehen dies auch für Tools zur Selbstorganisation oder zum Projektmanage­ment. Aber: Digitale Arbeits­formen können nur dann in der Arbeitswelt Breitenwirkung entfalten, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die entsprechenden digitalen Fähigkeiten verfügen. An diesem Punkt sind wiederum die Hochschulen gefragt. Kooperative und digital gestützte Formen der Wissensgenerierung in Lehr- und Lernformaten der Hochschulen sollten be­reits frühzeitig die Fähigkeit zum kollektiven Arbeiten  vermitteln.

 

  • These: Die Generation junger Akademiker verändert die Arbeitswelt.

Junge Akademikerinnen und Akademiker verändern mit ihren Wertvorstellungen und mit ihrer digitalen Affinität die Arbeitswelt. Sie suchen sich Arbeitgeber, die sinnvolle Arbeit, persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, eine gute Arbeitsatmosphäre und eine Aus­gewogenheit zwischen Beruf und Privatleben bieten.

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Paradigmenwechsel in der Hochschulbildung

Mit der Digitalisierung geht ein Para­digmenwechsel in der Hochschullehre einher, hin zum aktiven oder auch kre­ierenden Lernen. Die Studierenden erlernen so Lernstrategien, die sie für die von schnellen Veränderungen geprägte Arbeitswelt 4.0 dringend benötigen. Gerade das forschende Lernen als didaktisches Prinzip, das quasi einem Forschungsprozess nachempfunden ist, könnte den Schlüssel zum Erfolg der Individualisierung der Hochschullehre darstellen.

Die Hochschule bleibt der zentrale Lernort für Studierende und der Ort, an dem die Prägung zum Fach und die Identifizierung mit methodischem Denken geschehen. Angesichts der vielfältigen zu vermittelnden Kompetenzen und des lebenslangen Lernens wird jedoch eine vermehrte Verteilung der vielfältigen Kom­petenzvermittlung auf verschiedene Lernorte zur Normalität.

Hochschulen könnten auch in der wissenschaftlich fundierten Vermittlung digitaler Kompetenzen eine wichtige Rolle spielen. Sie sollten sich für den Weiterbildungsmarkt in zunehmendem Maße öffnen und hier vor allem auf flexible, digitalisierte Lehrangebote setzen. Dies ist für sie ungewohnt, da sie in der grundständigen akademischen (Aus-)Bildung fast konkurrenzlos am Markt sind und ihr ganzes System auf (grundständige) Vollzeit- und Präsenzangebote fokussiert ist. Um den Anforderungen gerecht zu werden, brauchen Hochschulen die notwendigen personellen Voraussetzungen und eine passende digitale Infrastruktur.

Hochschulabsolventen selbst werden den Wandel vorantreiben

Die Hochschulbil­dung muss sich bemühen, Schritt zu halten, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Andererseits führen größere digitale Kompetenzen der zukünftigen Hochschulabsolventen dazu, dass sich die Arbeitswelt stärker in diese Richtung verändert. Somit sind Hochschulabsolventen selbst Change Agents, die die Digitalisierung der Arbeitswelt voranbringen – oder sie aufgrund geringer digi­taler Fähigkeiten eher ausbremsen.

Welche Perspektiven dies für Bibliotheken bedeutet, bleibt abzuwarten. Besonders stark werden die Auswirkungen dabei für Hochschulbibliotheken sein, die die Ausbildung der Akademiker und in Zukunft eventuell noch verstärkt die Weiterbildung unterstützen. Alle Bibliotheken wiederum müssen sich fragen, wie sie zu Arbeitsorten 4.0 werden, welche Auswirkungen sich durch die Verschränkung von akademischen und berufspraktischen Qualifikationen auf Laufbahnen in Bibliotheken  ergeben und wie sie sich als Arbeitgeber der zukünftigen Absolventen positionieren.

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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