ZBW MediaTalk

von Olaf Siegert

Im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der volkswirtschaftlichen Fachgesellschaft „Verein für Socialpolitik“ (22. – 25.09.2019 an der Universität Leipzig) war die ZBW ebenfalls im Konferenzprogramm vertreten, konkret mit einem Panel zum Thema „Open Science als Leitmotiv für die Wirtschaftswissenschaft?“.

Dabei diskutierte Willi Scholz als Moderator das Thema Open Science in seinen verschiedenen Facetten mit vier Vertreterinnen und Vertretern aus der Forschungscommunity:


 

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde zunächst die Frage aufgeworfen, welches Potenzial offene Forschungsansätze für die Wissenschaftskommunikation innerhalb der Wirtschaftsforschung bieten? Die Panelists sehen übereinstimmend mit Open Science die Chance, die Glaubwürdigkeitskrise der Wirtschaftsforschung, vor allem die sogenannte Reproducibility Crisis zu überwinden. Dabei verwies Joachim Gassen auf die im Sommer veröffentlichten Ergebnisse einer Gallup-Umfrage (Link in englischer Sprache), die den Glaubwürdigkeitsverlust auch auf internationaler Ebene klar belegt.

Joachim Winter ergänzte dazu, dass Open Science aus Autorensicht zunächst in der Regel mehr Aufwand zur Erfüllung der jeweiligen Standards bedeutet, dass dieser Aufwand aber in der aktuellen Doktorandengeneration auch investiert wird. Dies liege vor allem daran, dass die tonangebende Fachgesellschaft American Economic Association mit ihren Journals, aber auch wichtige Förderer ihre Vorgaben in Richtung Open Science forciert haben. Gleichwohl vermuten vielen Forschende bei Open Science auch die Gefahr eines Ideenklaus, wenn z.B. andere Wissenschaftler*innen die von einem selbst veröffentlichten Datensätze oder Manuskripte verwenden und damit früher als man selbst zu Zeitschriftenveröffentlichungen kommen.

Danach wurde beleuchtet, welche Konfliktlinien zwischen dem Open-Science-Ansatz und anderen wissenschaftspolitischen Vorgaben oder etablierten Prozessen der Wissenschaftskommunikation bestehen bzw. welches die Hindernisse für die Etablierung von Open Science sind? Sarah Necker betonte hier vor allem den starken Publikationsdruck, der die Wirtschaftsforschenden auf ihrem wissenschaftlichen Karrierepfad begleitet und bei dem die Notwendigkeit, möglichst schnell in hochgerankten Journals zu veröffentlichen, als Anreiz wirken, von den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis abzuweichen und z.B. eigene Forschungsergebnisse wie aufbereitete Daten oder Textmanuskripte so spät wie möglich zu veröffentlichen, um einem vermeintlichen Ideenklau vorzubeugen. Demgegenüber begrüßte Sarah Necker das aus der Psychologie stammende Verfahren, Datensätze zu präregistrieren und damit auch die Eigentümerschaft für sich zu reklamieren. Dies wird mittlerweile auch in der Wirtschaftsforschung vermehrt angewandt. Allerdings gibt es auch hier schon wieder missbräuchliche Strategien wie z.B. das „Parking“ („pre-registering after the results are known“) (Link in englischer Sprache). Dabei wiederholen Forschende solange ihr Experiment (bzw. ihre Datensatzanalyse), bis es Ergebnisse gibt, die zu ihrer Hypothese passen. Erst danach werden die Daten registriert.

Als nächstes befragte Willi Scholz die Panelists dazu, welche Indikatoren für Open Science etabliert werden sollten, die sich auch besonders gut für die Wirtschaftswissenschaften eignen.
Dazu führte Ulrich Fritsche aus, dass zunächst einmal ein Indikatorensystem für Open Science gut bedacht werden müsste, um keine falschen Anreize zu setzen. Als Beispiel für solch einen möglichen falschen Ansatz benannte Ulrich Fritsche, das unreflektierte Zählen von Tweets zu Forschungsergebnissen auf Twitter. Dabei falle auf, dass in der Regel nicht besonders hochwertige Papiere geteilt werden, sondern eher solche zu populären Themen (die unter Umständen aber für die Wissenschaft eher randständig seien). Hier sei die Notwendigkeit einer Qualitätskontrolle bzw. die Etablierung von qualitativen Indikatoren notwendig.

Des Weiteren wurde diskutiert, in welcher Dimension von Wissenschaft (Forschung, Lehre, Transfer) die größten Fortschritte durch Open Science zu erwarten seien. Dabei gab es sich ergänzende Einschätzungen der Panelists. So sieht Joachim Gassen den größten Vorteil von Open Science innerhalb der Forschungscommunity selbst, wo zukünftig auch die Vorarbeiten zu wichtigen Forschungsergebnissen, wie etwa die Aufbereitung eines Datensatzes honoriert werden könnten; dabei sprach er dezidiert vom „Maschinenraum der Forschung“. Die Honorierung könnte dabei so aussehen, dass sich größere Forschungsgruppen als bisher in den Wirtschaftswissenschaften üblich zusammentun, um gemeinschaftlich als Autorengruppe ein Forschungsergebnis in einem wichtigen Journal zu veröffentlichen. Joachim Winter unterstrich dies und sah weiteres großes Potenzial von Open Science in der Lehre und erwähnte dabei den noch stark ausbaufähigen Bereich der Open Educational Resources. Ulrich Fritsche erwartete wiederum den größten Fortschritt im Bereich Transfer und verwies dabei auf die verschiedenen Social-Media-Kanäle, mit denen heutzutage bereits sehr schnell aktuelle Forschungsergebnisse verbreitet werden können und die zudem die Möglichkeit einer direkten Interaktion mit der Zivilgesellschaft oder auch politischen Entscheidungsträgern ermöglicht.

Welche Rolle sollte die Wissenschaftspolitik bei der weiteren Umsetzung von Open Science spielen? Hier waren sich die Panelists weitgehend einig, dass die Veränderung hin zu offeneren Kommunikationspraktiken aus der Community selbst kommen solle und auch müsse. Dabei spielen die Fachzeitschriften, aber auch bestimmte Forschungsförderer wie die DFG eine zentrale Rolle.
Von der Politik möchte Joachim Gassen umgekehrt eher weniger Zahlendruck und Leistungsvergabe nach verknappten Kriterien. Für ihn ist Open Science vor allem Kollaboration und das ließe sich nicht perfekt in Zahlen abbilden, davon solle die Wissenschaftspolitik die Finger lassen. Zudem sollte die Politik gegen den Trend steuern, dass Daten derzeit stark kommerzialisiert werden, obwohl sie direkt von den Bürgern oder staatlichen Einrichtungen stammen. Hier sollte wissenschaftspolitisch eingegriffen werden (Vorbild US Federal Commission).

Zum Abschluß fasste Willi Scholz die wichtigsten Erkenntnisse des Panels folgendermaßen zusammen: In der Wissenschaft hat bereits ein kultureller Wandel in Richtung Open Science eingesetzt, der das Geschäftsmodell der letzten fünf bis zehn Jahre in Zukunft nicht mehr erlauben wird. Die jüngeren Forschenden haben dies erkannt und investieren bereits in Open-Science- Praktiken. Somit ist Open Science bereits im Maschinenraum der Forschung angekommen und wird nicht mehr nur für den Transfer in die Gesellschaft hervorgehoben. Für die weitere Umsetzung von Open Science ist vor allem die Wissenschaft selbst gefragt und weniger die Wissenschaftspolitik. Preregistrierung, Replikationsstudien großer Forschungsgruppen und qualitative Indikatoren werden als geeignete Mittel angesehen.

Über den Autor:

Olaf Siegert leitet die Abteilung Publikationsdienste der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft und engagiert sich als ihr Open-Access-Beauftragter. Für die Leibniz-Gemeinschaft repräsentiert er den Leibniz-Arbeitskreis Open Access in externen Gremien: So ist er bei der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in der AG Wissenschaftliches Publikationssystem und bei Science Europe für die Leibniz-Gemeinschaft aktiv.

Fehlende deutsche Übersetzung

Next Post