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Das Ereignis erzeugte mächtig Druckwellen: Kurz nachdem bekannt wurde, dass die USA ihren Erzfeind Osama bin Laden aus der Welt geschafft hatten, wurde ein Medienfeuerwerk entzündet. Es gab Informationsbedarf, der gestillt werden musste und die knappen Botschaften, die das Pentagon zum Sachverhalt durchsickern ließen, eröffnete eine große Spielwiese der Spekulationen. Was wurde nicht alles geschrieben, gesendet, gesprochen!

Bei großen Ereignissen wie diesem wird publiziert, was das Zeug hält: Die Online-Medien waren die schnellsten und hielten mit Live-Tickern und ständigen Updates die Leser auf dem Laufenden. Doch es fehlte an halbwegs in die Tiefe gehenden Analysen, weshalb erst der “Focus”, dann der “Spiegel” analoge und digitale Sonderhefte auf den Markt warfen. Zeitabläufe wurden beschleunigt, das Prinzip “Ein Heft pro Woche an einem bestimmten Tag” erwies sich als untauglich. Bleibt bislang einer auf der Strecke: die Buchverlage.

Laut dem “Wall Street Journal” herrscht derzeit hektische Betriebsamkeit in den Verlagshäusern rund um den Globus: Osama-Biographien, Al Qaida-Erklärbücher, Terroranalysen und Militär-Hintergrundbeleuchter warten massenhaft auf ihre Fertigstellung. An Print denkt hier derzeit kaum jemand – die Zeit ist knapp und ehe die Druckerpressen warmgelaufen sind, ist der Hype bereits vorübergezogen:

The rush demonstrates how publishers continue to turn to digital outlets for new revenue streams. E-book sales are the fastest growing segment of the publishing business. Still, non-fiction digital sales lag behind fiction works because many readers continue to value the physical editions of biographies and histories.

Bei Richard Gutjahr bin ich vorhin auf einen neuen Trend aufmerksam geworden, der sich im Zuge der Osama-Tötung offenbar vollends durchgesetzt hat: Instant E-Books.

Anders als mit gedruckten Büchern, machen es iPad, Kindle & Co nun möglich, einen Markt zu erschließen, der noch gar nicht existiert: der Markt des Augenblicks. Um in diesem neuen Markt erfolgreich zu sein, bedarf es mehr denn je aktueller Produktangebote: Titel, die punktgenau zu dem Zeitpunkt erscheinen, in dem ein Thema seine fifteen-minutes-of-fame durchläuft. Publikationen, die zu früh oder zu spät erscheinen, verfehlen ihr Ziel, den kurzzeitigen Konsumwunsch der Masse.

Random House hat ein solches E-Book für den Amazon Kindle mit dem Titel “Beyond Bin Laden: America and the Future of Terror” in beeindruckender Geschwindigkeit zusammengeschrieben: Keine Zeile ist älter als eine Woche, ein ganzes Team an Co-Autoren hat dafür Beiträge eingereicht. Der Preis für das Buch beträgt 1,28 Euro, zur Stunde belegt es Platz 3 der meistgekauften englischsprachigen Politiksachbücher.

Verkauft wird hier die schnelle Information – weniger die Qualität. Aus ökonomischer Sicht macht das Sinn, da die Aufmerksamkeitsspanne der Leser und damit die Bereitschaft, Geld auszugeben, punktuell an solche Ereignisse gebunden sind. Zu keinem späteren Zeitpunkt wird Osama-Literatur so oft veräußert, wie es in diesen Tagen geschieht. Die in ein paar Wochen produzierten Papierbiographien können vielleicht pro Exemplar höhere Preise erzielen, die Leserschaft ist dann jedoch zu einem nischeninteressierten Hardcore-Publikum geschrumpft.

Das obige Beispiel wollte ich als Aufhänger nennen, um uns in Gedanken zu rufen, was die Leser heute eigentlich interessiert. Qualität – sicher! Aber die Globalisierung stellt uns täglich vor neue Herausforderungen: Täglich müssen mehr Sachverhalte erklärt, Hintergründe expliziert werden. Die Semantik des so oft benutzen Begriffs “Relevanz” hat eine neue Dynamik bekommen. Darüber sollten wir vielleicht vermehrt nachdenken…

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