ZBW MediaTalk

von Birte Sindt

Auf der re:publica treffen an drei Tagen etwa 8.000 Menschen aufeinander, darunter Blogger*innen, Wissenschaftler*innen und Forscher*innen, Start-up-Unternehmer*innen, Social Media- und Marketing-Experten*innen, Journalisten*innen, Hacker*innen, Geeks und Nerds, um sich über die Digitalisierung zu unterhalten. Im Mittelpunkt stehen Innovationen und Synergien zwischen Netzpolitik, digitalem Marketing, Netz-Technologie, der Online-Gesellschaft und auch der (Pop-)Kultur. Die re:publica ist nicht nur die Internetkonferenz, sondern auch eine Gesellschaftskonferenz – und vielleicht auch die Konferenz der Fortschrittsfreundinnen und -freunde. Auch Open Science- und Bibliotheksthemen sind in den Sessions vertreten. Dieses Jahr lautete das Motto: LOVE OUT LOUD! (angelehnt an die in Kurznachrichten beliebte Abkürzung LOL, die für “Laughing out loud” steht).

“Ein Tag auf der re:publica – und Go!”

Am Montag, den 8. Mai 2017, nahm ich die Herausforderung freudig an! Kaum auf dem Gelände, einem alten Postbahnhof, angekommen, warf ich meinen zuvor minutiös ausgearbeiteten Sessionplan aber direkt wieder über Bord. Denn gleich die erste Session “Ein Plädoyer für anständiges Community Management”, war restlos überfüllt. Ich nutze die Zeit, um mich auf dem Gelände umzusehen, denn in der großen Halle, der Exhibition Area, gab es viel zu entdecken. Google war mit einem VR-Angebot vor Ort, ebenso das ZDF, beim WDR gab es das Virtual-Reality-Projekt „Der Kölner Dom in 360° und VR“ zu bestaunen. Weitere Stände und Anbieter, wie Microsoft, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die Hans-Böckler-Stiftung und auch das Wissenschaftsjahr 2016*2017 Meere & Ozeane waren vor Ort.

Love Out Loud – Appell für Zivilcourage im Netz

Zum Motto “Love out Loud“, welches auch ein Appell für mehr Zivilcourage im Digitalen ist, sprach Autorin Carolin Emcke (Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels) auf Stage 1, der größten Bühne. Reflexion: Love Out Loud

Sie nahm das Motto genauestens unter die Lupe, sprach über Empathie, on-und offline, über Hass und seine Auswirkungen. Sie betonte, dass eine bedachte Umgangsform wichtig wäre, für eine gute digitale Gesellschaft:

„Wer gedemütigt und verachtet wird, soll sich nicht selbst wehren müssen. Es braucht andere, die widersprechen.“

Die Autorin erhielt stehende Ovationen und ich ging mit Gänsehaut (der guten Gänsehaut!) aus dem Vortrag.

“Das kulturelle Gedächtnis und die digitalen Geisteswissenschaften”

Ich verpasste “Autovideographien und wissenschaftlicher Film als partizipative Formate qualitativer Forschung”, weil ich noch im “Darknet – Das Internet der Zukunft?” feststeckte – und stolperte anschließend zu Stage 4. Dort ging es um „Das Kulturelle Gedächtnis und die Digitalen Geisteswissenschaften” und damit um Fragen zur Archivierung und Chancen der Digitalisierung.

In der Session waren sich alle Panelsprecher*innen von Anfang an einig: Die Aufgabe, das kulturelle Gedächtnis in unserer digitalen Gesellschaft zu erhalten, sollte nicht ausschließlich kommerziellen Anbietern wie Google zufallen. Das Archivieren sei in erster Linie ein Job von Museen und Bibliotheken. Jedoch bringt dieses Projekt einige Probleme mit sich.

Anne Klammt war überzeugt, dass es vor allem Forschungsdaten sind, denen bei der Archivierung eine besondere Relevanz zukommt. Die Betreuung dieser Forschungsdatenzentren sollte von Bibliotheken ausgehen, da diese seit hundert Jahren flankierend exzellente Metadaten erstellen und pflegen und somit für diese Aufgabe prädestiniert seien. Es sei genau die Qualität dieser beschreibenden Daten, die Archive erst wertvoll und nutzbar werden lässt, so Johannes Theurer. Das Online-Digitale biete mit den vielfältigen Vernetzungsoptionen beste Voraussetzungen für diese Herausforderung. Durch die direkte Netzanbindung würden Archive immer offener und rückten näher an die Nutzer*innen heran; ein Beispiel dazu ist die von Ellen Euler erwähnte Kunst-Extension für Chrome, welche die Europeana kürzlich veröffentlicht hat. Außerdem verwies sie auf die im vergangenen Jahr veröffentlichte Strategie 2020 der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Bei der Archivierung spielt allerdings auch der Selektionsprozess eine Rolle: Welche Inhalte sollten priorisiert werden, wenn es um die Speicherung von Content aus dem Web oder den sozialen Medien geht? Spielt Qualität eine Rolle? “Shakespeare first or Popsongs first?”, fragte Luciano Floridi. Luca Giuliani gab hingegen zu bedenken, dass jedes Sammeln und Sichern auch immer einen blinden Fleck hat.

Bleibt ein weiteres Problem: das der Lebensdauer. Obwohl sich Infrastruktureinrichtungen schon lange mit dem Erhalt von Archiven herumschlagen und die Speichertechnologie ständig Fortschritte macht, gab es beim Panel zum Abschluss auch noch Kritik: “Tontafeln, Pergament, Papier, digitale Speicher – bei jedem Umstieg verringert sich die Halbwertzeit”, sagte der Archäologe Luca Giuliani und fügt als gleich noch hinzu” – das nennt man Forschung!”

Hier gibt es noch Weitere Eindrücke und Zitate von der spannenden Session.

Start-ups, Meetups und Digital Media Women bei der re:publica

Nach der Session “Offen für Neues – Start Ups in Deutschland”, in der sich Brigitte Zypries, Ministerin für Wirtschaft & Energie Fragen aus dem Publikum stellte, ging es im Anschluss in die Networking Area. Das passte perfekt, denn dort fand das Meetup der Digital Media Women e.V. statt und es konnte Networking betrieben werden.

Die Digital Media Women arbeiten für mehr Sichtbarkeit von Frauen auf allen Bühnen. Sie unterstützen und vernetzen Frauen, die den digitalen Wandel vorantreiben. Deutschlandweit gibt es verschiedene Quartiere und auch Schleswig-Holstein hat mittlerweile ein eigenes Quartier, wo ich Mitglied im Orga-Team bin.

Forschungsdaten für die Zukunft nutzbar machen

Anschließend ging es in der Session von Ulrike Prange und Uwe Schindler auf Stage T um “Daten von früher und heute für die Zukunft nutzen”.

“Die Verfügbarkeit von Daten fördert die Wissenschaften”, sagte Uwe Schindler und stellte zusammen mit Ulrike Prange das Informationssystem PANGAEA vor.

PANGAEA ist eine Open Access-Bibliothek, mit der Geo- und Biodaten aus der Erdsystemforschung archiviert, veröffentlicht und verteilt werden. “Man kann in den Datensätzen suchen, wie in einer Bibliothek”, sagte Ulrike Prange und fügte hinzu, dass sich durch den wissenschaftlichen Workflow auch eine Qualitätskontrolle ergibt. Sie schilderte auch die Unterschiedlichkeit von Datensätzen, zum Beispiel können Daten über die Anzeige einer Zeitangabe etwas Besonderes herausstellen, wie eine Veränderung der Temperaturen.

Auch auf das sehr wichtige Thema der Haltbarkeit von Medien wurde eingegangen, etwa auf das Problem wenn Daten auf Disketten gesammelt wurden und irgendwann nicht mehr gelesen werden können. Damit Daten aber lesbar bleiben, habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dazu einen Fahrplan erstellt, so Uwe Schindler.

Auch Daten-Recycling ist effektiv, man muss beispielsweise nicht immer mit dem Schiff raus fahren, so Uwe Schindler. Er erwähnte, dass sich ein RDA-Team regelmäßig trifft und überlegt, wie man Daten verfügbar macht. (Wie sehen die perfekten Metadaten aus?)

Die meisten Daten sind – abhängig von Lizenzen und Moratorien innerhalb bestimmter Forschungsfelder – frei verfügbar und mit einem Tool einfach herunterladbar und teilbar. Durch Donald Trump, der wissenschaftliche Klimadaten ignoriert und durch eine sich verändernde Weltpolitik, steige das weltweite Interesse an PANGAEA und seiner Open Access Datenbank – vor allem aus den USA werden immer mehr Daten dort abgelegt. Auch Journalisten*innen können PANGAEA nutzen, so können sie die ausgewählten Daten selbst analysieren oder sie setzten sich mit den jeweiligen Wissenschaftlern*innen in Kontakt. “Wissenschaftliche Daten sind publizierbar” und Wissenschaftler*innen wollen unbedingt auch zitiert werden, sagte Uwe Schindler.

Respektvolle Diskussionen für eine bessere Netzkultur

Die letzte Session des Tages fand auf Stage 1 statt, “Vom Reden im Netz”.

“Man muss auch kreuzdämliche Meinungen aushalten können.” sagte Sascha Lobo

und schlug in seiner Rede ein anderes (offeneres) digitales Diskussionsverhalten vor, um ein Abdriften von immer mehr Menschen in rechtsnationale Kreise zu verhindern.
Er sieht eine Lösung darin, respektvoll im Digitalen (und Analogen) zu diskutieren und gleichzeitig aber auch klare Grenzen aufzuzeigen.

Im Laufe der Zeit werden alle Videos und Mitschnitte der re:publica ergänzt und so kann man sich die eine oder andere Session nochmal in Ruhe ansehen.

Birte Sindt ist Teil des Social Media Teams an der ZBW und arbeitet im Community Management am Standort Kiel. Ihre Lieblingshashtags sind #SocialMedia #digitalbegeistert und #Otterpower. (Copyright: Birte Sindt ©)

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