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Manchmal wird das Rauschen zu stark. Benachrichtigungen aus Social Networks, Erreichbarkeit rund um die Uhr; die zunehmende Digitalisierung unseres Lebens hat auch ihre Kehrseiten. Ablenkungsfreies, konzentriertes Arbeiten wird für viele zur Mangelware. Der Digitale „Entzug“ verspricht Abhilfe – und setzt möglicherweise auf einer Kernkompetenz von Bibliotheken auf.

„Digital Detox“ ist ein aus dem Silicon Valley nach Europa herüberschwappender Trend. Als Gegenbewegung zur Informationsüberflutung, den Möglichkeiten der Vernetzung und der Angst, etwas zu verpassen, geht es darum, ablenkungsfreies Arbeiten und Leben zu ermöglichen. Laut Oxford Dictionary bezeichnet der “Digital Detox” einen Zeitraum, in dem eine Person darauf verzichtet elektronische Geräte wie Smartphones oder Computer zu nutzen, um Stress zu reduzieren und mehr mit der physischen Welt zu interagieren. Mehr im Hier und Jetzt leben, die Beziehungen zu den Menschen vor Ort zu verbessern, statt Nachrichten zu schreiben, konzentriert arbeiten, die eigene Gesundheit pflegen oder einfach auftanken ist es, was Menschen sich vom Digital Detox versprechen.

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Denn psychische Probleme, stressbedingte Krankheitsausfälle, Abhängigkeit und ineffektives Arbeiten sind die „dunkle Seite“ der digitalen Vernetzung. Und können ihre positiven Effekte beeinträchtigen. Fakten zu weiteren negativen Auswirkungen, mit Fokus auf die USA, sind im Digital Detox Manifest – Disconnect to Reconnect zusammengestellt.

Auszeiten im oder vom Alltag können Konzentration, geistige Ruhe, psychische Gesundheit und Kreativität stark fördern. Apps, spezielle Veranstaltungen oder Orte wollen dabei unterstützen.

Zum Abschalten ins Digital Detox Camp

Veranstaltungen, oft als „Digital Detox Retreats“ oder „Digital Detox Camps“ bezeichnet, bieten neben einer störungsfreien Zeit das Reflektieren über den eigenen Umgang mit Smartphone & Co. an. Smartphones, Notebooks etc. werden beim Check-In abgegeben. Die Dauer beginnt bei wenigen Stunden, wie etwa einem Digital Detox Abend, den Unplugged Weekend in London veranstaltet hat. Retreats oder Camps umfassen mehrere Tage. Beispiele sind die Digital Detox Retreats in den USA oder Unplug & Recharge – Auftanken im Offline-Camp oder die Offtime Retreats in Deutschland.

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Handyfasten mittels Apps

Auf den ersten Blick mag es merkwürdig klingen: ausgerechnet eine Reihe von Apps möchte beim digitalen Entgiften unterstützen. Dazu blockieren Apps wie Digital Detox, Pause App oder Moment die Handy-Funktionen bis auf Notrufe oder filtern Social Media-Kanäle. Einfach den Aus-Knopf drücken oder das Smartphone in den Ruhemodus zu versetzen, ermöglicht es zwar, eingehende Störungen auszuschalten. Oft ist aber unser eigener Umgang mit dem Smartphone problematisch: „Automatisch“ checken wir immer wieder, was an neuen Nachrichten nun eingegangen ist. Unser eigenes Verhalten kritisch zu überprüfen, dabei möchte etwa die App OFFTIME unterstützen.

Einen anderen Weg geht Pocket Points, das Studentinnen und Studenten bestimmter US-Universitäten mit Punkten belohnt, die sie in lokalen Geschäften einlösen können. Wenn sie es schaffen, ihr Smartphone während der Vorlesung für mindestens 20 Minuten nicht zu nutzen, gibt es einen Punkt.

Zum Entgiften ins Flugzeug, ins Hotel – oder in die Bibliothek?

Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich auch sogenannte Digital Detox Areas, Orte, die sich dauerhaft dem Digital Detox widmen. Zu „Klassikern“ wie Klöstern, in denen Schweigewochen angeboten werden, gesellen sich mit dem Trend weitere Anbieter. So ist eine Reihe von Hotels auf den Trend aufgesprungen und unterstützt in ihren Häusern das „Abschalten“ im doppelten Sinne. Und während andere Fluganbieter die Erreichbarkeit im Flugzeug feiern, preist die isländische Fluglinie WOW Offline-Flüge für den Digital Detox an.

Jenseits aller positiven Errungenschaften durch die Technik könnten sich auch Bibliotheken verstärkt als Ort des „Digital Detox“ etablieren, mit Ruhe und ablenkungsfreiem Arbeiten als große Pluspunkte. Schließlich gelten sie traditionell als Orte für konzentriertes Arbeiten. Vielleicht könnten auch sie spezielle Angebote ins Leben rufen, die dabei helfen, effektiver zu arbeiten und das eigene Verhalten zu optimieren. Ihre Räumlichkeiten könnten sie teilweise zu Orten des Digital Detox machen oder selbst entsprechende Apps entwickeln, die das ungestörte Arbeiten in der Bibliothek unterstützen.

Einzelne Bibliotheken haben den Digital Detox bereits erprobt. So haben die Novi Public Library und die University of Minnesota Libraries zeitweilig bereits den Stecker gezogen und an einer Digital Detox Week teilgenommen.

Autorin: Birgit Fingerle (ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft; Soziale Medien, Stabsstelle Innovationsmanagement)

Birgit Fingerle ist Diplom-Ökonomin und beschäftigt sich in der ZBW unter anderem mit Innovationsmanagement, Open Innovation, Open Science und aktuell insbesondere mit dem "Open Economics Guide". (Porträt: Copyright

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